Energiemarkt: "Regierung sollte sich bei Entlastungen auf Finanzschwache konzentrieren"
Heiko Lohmann über Insider-Diskussionen, unschöne Realpolitik, die zukünftige Kooperation mit Russland und Energiepreissteigerungen von bis zu 90 Prozent
"EnerGate Gasmarkt" ist als Print-Magazin und Online-Portal das zentrale Nachrichten- und Hintergrund-Medium der europäischen Gasmarkt-Branche für Führungskräfte und Top-Entscheider und analysiert Marktentwicklungen, Interna und interkontinentale Entwicklungen auf dem Weltmarkt. Dr. Heiko Lohmann gilt in Deutschland und Europa als führender Fachmann und Insider für den globalen Gas- und Energiemarkt.
Er ist langjähriger Berater in der Branche und ist spezialisiert auf Marktanalysen, Vertragsgestaltungen und Kommunikationsstrategien. Seit 2001 arbeitet er auch für den Kommunikations-Spezialisten Energate, der zur weltweit bestens vernetzten ConEnergy Unternehmensgruppe gehört, als Berater und Analyst. Als Experte, Referent und Autor ist er national und international unter anderem auch tätig für deutsche Landesregierungen und das Oxford Institute for Energy Studies und das Handelsblatt.
Als im Herbst letzten Jahres bereits die Gaspreise auf dem Weltmarkt anzogen, riet die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu, einfach den Wettbewerb auf dem Energiemarkt auszubauen, denn das würde die Probleme lösen. Was sagen Sie rückblickend dazu?
„Es kommen vermutlich noch deutliche Preissteigerungen bei Gas“
Heiko Lohmann: Der Preisanstieg war ja durchaus erst einmal das Ergebnis eines zunehmenden globalen Wettbewerbs bei abnehmendem russischem Angebot, über dessen Ursachen damals viel spekuliert wurde. Und den Wettbewerb innerhalb Deutschlands haben die steigenden Preise ja eher deutlich verringert.
Natürlich kann man rückblickend sagen, die Politik hätte schon 2021 eine bessere Befüllung der Speicher – vor allem der von Gazprom genutzten Speicher - sicherstellen müssen. Aber ich persönlich finde, man sollte mit Markteingriffen zurückhaltend sein. Die damals vieldiskutierten Preissteigerungen vom letzten Herbst sind wohl Peanuts gegen das, was nun bevorstehen könnte. Teilen Sie die allgemeinen Sorgen oder sehen Insider der Energiewirtschaft wie Sie das etwas gelassener, was die Zukunft der Energieversorgung angeht?
Auf die Haushaltskunden kommen vermutlich noch deutliche Preissteigerungen zu, da viele Anbieter, vor allem Stadtwerke, bisher noch von niedrigeren Beschaffungspreisen aus der Vergangenheit profitieren. Im Großhandel wird es sehr davon abhängen, ob und wie schnell russisches Gas tatsächlich aus dem Markt gedrängt wird oder ob Gazprom nicht mehr liefert.
Zumindest bis 2025 werden die Preise vermutlich hoch und schwankend bleiben. Solange Gazprom noch liefert, dürften sie aber vermutlich nicht deutlich weiter steigen. Nach kann zusätzliches Angebot auf den Markt kommen, zudem wird durch die hohen Preise vermutlich auch die Nachfrage mittelfristig sinken. Dann könnten auch die Gaspreise wieder sinken. Aber das Niveau von vor Sommer 2021 wird vermutlich nicht wieder erreicht werden. Im Erdgasmarkt haben sich allerdings schon viele Prognosen als falsch erwiesen. Deshalb betrachte ich auch meine eigenen Einschätzungen mit Vorsicht.
Es ist viel von Vorprodukten, Lieferketten und Logistikproblemen die Rede. In Hamburger Elektronik-Fachgeschäften sind einzelne gängige Produkte von Huawei etwa gar nicht mehr vorrätig, Lieferungen werden erst im Spätsommer wieder erwartet. Sind solche Entwicklungen in den nächsten Monaten und Jahren verstärkt absehbar, oder ist das Panikmache?
Heiko Lohmann: Das wäre reine Spekulation und hat nicht nur etwas mit Energiemärkten zu tun.
"Insider sprechen von einer Re-Monopolisierung des Gasmarktes"
Sie sind bestens vernetzt in der globalen Energiewirtschaft. Herrscht dort wirklich Alarmismus wie in vielen Medienberichten oder sieht man denn Lösungsansätze?
Heiko Lohmann: Was vielen Akteuren im deutschen Energiemarkt ernsthaft Sorgen bereitet, ist ein kurzfristiges Embargo von russischem Erdgas. Die Auswirkungen wären nicht mit Covid vergleichbar, da bestimmte Industrieproduktion von Erdgas abhängig ist. Ein Ausfall würde Anlagen dauerhaft zerstören, etwa Glaswannen, zudem hätte es Einfluss auf Lieferketten.
Sorge bereiten zudem die sozialen Auswirkungen der hohen Energiepreise und die allgemeine Inflationswirkung. Aber natürlich wird an Lösungen gearbeitet. Dies gilt für die beschleunigte Entwicklung von neuem Gas-Angebot, zum Beispiel in den USA, aber auch von Dekarbonisierungsstrategien und damit Alternativen zu Erdgas.
Die hohen Strompreise sind dabei aber nicht hilfreich. Sorge bereitet zudem vielen Stadtwerken, dass insgesamt die Gasbeschaffung anspruchsvoller wird und die Zahl der möglichen Handelspartner kleiner. Einige sprechen von einer Re-Monopolisierung des Gasmarktes.
Welche Folgen dieser potenziellen Entwicklungen würden Sie denn generell abschätzen für die Verbraucher:innen in Deutschland und Europa, was Energiekosten angeht? Sind dramatische Preissteigerungen etwa für Wohnungsnebenkosten tatsächlich realistisch?
Heiko Lohmann: Klar. Die Stadtwerke Wien haben gerade angekündigt, die Fernwärmepreise um 90 Prozent erhöhen zu wollen. Die möglichen Preissteigerungen bei Fernwärme könnten ein unterschätzter Faktor sein.
Falls es solche Preissteigerungen geben könnte, reicht das Entlastungspaket der Bundesregierung dann überhaupt – besonders für die sogenannten "finanzschwachen" Schichten der Bevölkerung?
Heiko Lohmann: Man wird mit Sicherheit nachlegen müssen, sollte sich aber auf finanzschwache Haushalte konzentrieren.
Wird es wirklich allgemein Einbußen für den Wohlstand und den Lebensstil geben? Und wen würde es nach Ihrer Einschätzung am härtesten treffen?
Heiko Lohmann: Das kann ich nicht wirklich abschätzen.
"Eine perspektivische Kooperation mit Russland wäre hilfreich"
Einige in Deutschland forderten ja unter dem Schock kurz nach dem Kriegsbeginn durch Russland ein sofortiges Gas-Embargo gegen Russland, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) handelt aber sehr klug und bedacht und warnt vor Massenverelendung und noch stärkerer Verarmung von Teilen der Gesellschaft. Sind seine Sorgen berechtigt?
Heiko Lohmann: Wie schon gesagt: Wenn selbst ein grüner Wirtschaftsminister sich gegen ein Embargo ausspricht, zeigt dies schon, wie hoch die möglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen sein könne. Habeck spricht sich aber auch dafür aus, den Gasbezug aus Russland bis Ende 2022 um 30 Prozent zu reduzieren und bis zum Sommer 2024 fast komplett aus dem Bezug russischen Erdgases auszusteigen. Einmal davon abgesehen, dass er sagen muss, wie dies angesichts bestehender langfristiger Verträge funktionieren soll, halte ich es für ein sehr "sportliches" Ziel.
Denken Sie, es könnte langfristig wieder eine Zusammenarbeit mit russischen Energieversorgern geben? Oder wird es nach der Transformation und der Energiewende dann damit endgültig vorbei sein, unabhängig vom Krieg und eventuellen demokratischen Entwicklungen in Russland nach Putin?
Heiko Lohmann: Eigentlich muss es langfristig wieder eine Kooperation geben. Der russische Gasbezug würde uns einfach helfen, in Europa die Transformation effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Zudem muss Russland im Grunde in europäische Dekarbonisierungsstrategien mit einbezogen werden.
Ferner gibt es Spezialprobleme, wie tauende Permafrostböden. Ich kenne viele Leute, die sagen, die Energiebeziehungen könnten ein Angebot an Russland in Friedensverhandlungen mit der Ukraine sein. Ob dies realistisch ist, solange es in Russland nicht zu politischen Veränderungen kommt, bleibt abzuwarten. Ich finde, man sollte es nicht ausschließen, Realpolitik ist eben nicht moralisch schön.
Gäbe es eigentlich noch Ideen für den Umbau des Energiemarktes, welche bisher noch gar nicht avisiert wurden?
Heiko Lohmann: Bestimmt, auch wenn mir kein völlig abseitiges Thema einfällt. Kernfusion ist vermutlich ein für Deutschland eher abseitiges Thema, aber davon verstehe ich nichts. Meines Erachtens muss man sich intensiver mit Carbon Capture and Strorage (CCS) beschäftigen. Damit könnte man auch für neue Exploration und Produktion in Erdgas als Alternative zu Russland eine Langfrist-Perspektive schaffen.
Man könnte politisch signalisieren, dass ein Verkauf von Erdgas ohne CO2- abzuscheiden nur für einen begrenzten Zeitraum möglich ist, aber langfristig CH4 eine Option bleibt, wenn entweder vor oder nach der Verbrennung das CO2 abgeschieden und genutzt oder gelagert wird. Auch das ist übrigens ein Thema, bei dem eine perspektivische Kooperation mit Russland hilfreich wäre.