Energiewende: Verheerende Auswirkungen für den Nahen Osten
"Peak demand": BP geht davon aus, dass der Höhepunkt der Nachfrage nach Erdöl im günstigsten Fall 2025 erreicht wird, aber wahrscheinlich schon vorbei ist
Selbst im besten Szenario sei es bald vorbei mit dem Wachstum der Ölindustrie. Das kürzlich publizierte Strategiepapier des Ölkonzerns BP geht von drei Zukunftsmodellen für die nächsten dreißig Jahre aus. Im günstigsten Fall, überschrieben mit Business-as-usual erreicht die Nachfrage nach Öl im Jahr 2025 einen Höhepunkt, danach lässt sie langsam, aber stetig nach.
In den anderen beiden Szenarien - "papid" und "net zero" - hat die Öl-Nachfrage bereits ihren Höhepunkt erreicht und ist schon im Niedergang begriffen. Gerechnet wird mit einem Rückgang von 50 Prozent bis 2050 oder im Modell "net zero" von 80 Prozent.
Auch wenn sich Experten erwartungsgemäß nicht über die Annahme eines peak demand einig sind, so ist BP damit nicht alleine. Die Ansicht würde mehr und mehr Mainstream, behauptet die Webseite energyfuse. Auch der Chef des Shell-Konzerns äußerte sich pessimistisch: "Die Erholung der Nachfrage wird eine lange Zeit dauern, wenn sie sich überhaupt erholt." Und selbst beim US-Ölriesen Exxon würde die Kapitalrendite, die von 2009 bis 2019, von 16 Prozent auf 4 Prozent gefallen ist, eine deutliche Sprache sprechen, auch wenn der Konzern zum Protagonisten eines überholten Wachstumsmodells gehöre.
BP sei der erste große Ölkonzern, der das Ende des Wachstums bei der Öl-Nachfrage verkünde, so die Energie-Webseite, die konstatiert, dass die BP-Aktien um 7 Prozent gestiegen seien, als der Konzern ankündigte, dass man die Öl- und Gasproduktion um 40 Prozent kürzen werde.
Die Nachricht über das BP-Strategiepapier interessiert nicht nur energie-politische Fachkreise, sondern auch die Nahost-Zirkel. Der Syrien-Spezialist Joshua Landis sieht die nächste große Krise aufkommen: "Das wird verheerende Auswirkungen für den Nahen Osten haben."
Schon vor Monaten deuteten Berichte an, dass auf Saudi-Arabien Zeiten der Sparsamkeit zukommen würden, was das bisherige Rezept zur Erhaltung des inneren Friedens gefährde und auch außenpolitisch zu mehr Zurückhaltung rate, da teure Kriege wie im Jemen auf Dauer nicht zu finanzieren sind. Saudi-Arabiens Militärintervention begann Ende März 2015.
Die Verschuldung des Landes betrug 2014 knapp 12 Milliarden US-Dollar. Ende 2018 waren es laut Informationen der Weltbank 151 Milliarden US-Dollar und Ende 2019 mehr als 183 Milliarden US-Dollar.
Auch die Geldreserven hätten in diesem Zeitraum deutlich abgenommen. Von 732 Milliarden US-Dollar am Ende 2014 auf 499 Milliarden Ende 2019, wie das Magazin Middle East Eye Mitte Mai berichtete. Dort ist auch die Rede davon, dass die größte Wirtschaft im Nahen Osten nun auf einen "Austeritätskurs" umschwenkt. Es heißt, dass am Zukunftsprogramm 2030, das dem Kronprinzen Mohammed Bin Salman so teuer ist, gespart würde.
Sollte sich die Corona-Krise ausweiten, so stünde dem Königreich eine schwere Depression bevor, so die Einschätzung im Middle-East-Eye-Magazin. Dem muss man noch hinzufügen, dass das Magazin eine gewisse Nähe zu Katar aufweist und die Verhältnisse zwischen den beiden Golfstaaten seit einigen Jahren gespannt sind.
Anzumerken wäre auch, dass in Saudi-Arabien vieles Staatsgeheimnis ist. Angefangen von den Erdölvorkommen bis zum Reichtum des Hauses Saud. Wie viel Geld genau Saudi-Arabien in andere Länder steckt oder gesteckt hat, um dort seine politischen Interessen zu vertreten, im Nahen Osten etwa in den Libanon, neben Libyen, wo das Land ebenfalls auf Einflusssphären nutzt - beides gegenwärtige Hotspots einer Neuordnung - ist nicht zu ermitteln.
Offensichtlich sind Probleme im Inneren. Bislang agierte das Haus Saud großzügig bei den Zuwendungen für seine Bewohner. Das wird nun schwieriger. Die Abhängigkeit vom Öl vor dem Hintergrund des anhaltend hohen Bevölkerungswachstums wird immer mehr zum Problem, so die Analyse der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik im Juli 2020, wo man ebenfalls von einem Austeritätsprogramm berichtet, das parallel zu einem Stimuluspaket laufe, das die Schulden weiter erhöht.
Mittlerweile zählt Saudi-Arabien über 34 Millionen Einwohner, und bei einem Bevölkerungswachstum von jährlich zwei Prozent wird diese Zahl weiter rasch steigen. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt, und die jungen Leute drängen jedes Jahr mit hohen Erwartungen in einen stagnierenden Arbeitsmarkt. Schätzungen zufolge liegt die Arbeitslosigkeit in dieser Alterskohorte bei bis zu 30 Prozent.
Guido Steinberg
Das große Reformvorhaben mit dem Zukunftsdatum "2030", das für einen Kurswechsel für die "Zeit nach dem Öl" steht, hat größere Probleme damit, Investoren zu finden. Richtig überraschend ist dies nicht, wenn man sich etwa die "futurischen Stadtprojekte" anschaut, die einem Disney-Park-Modell gleichen, das auf Entertainment setzt. Das ist eine Vision, die schon bei ihrer Geburt veraltet ist. Der Weg zu einem Handels- und Finanzzentrum, wie es die Vereinigten Arabischen Emirate sind, ist für das Königreich weit. Und: Kann man sich vorstellen, dass der Tourismus in Saudi-Arabien eine große Zukunft haben wird? Es heißt, dass Investoren in der Zeit, in der man auf Geschlechtergleichbehandlung, grüne Wirtschaft und Moral achtet, ihre Probleme mit einem Investment in Saudi-Arabien haben.
Die Frage, wie eine Wirtschaft aussehen wird, die die Bevölkerung und besonders die Jugend nicht mehr mit Öleinnahmen versorgen kann, betrifft längst nicht nur Saudi-Arabien. Die Proteste im Irak und in Algerien, beides in hohem Maße vom Erdölexport abhängige Länder, die es nicht geschafft haben, der Jugend wirtschaftliche Aussichten zu eröffnen, stehen exemplarisch dafür, mit welchen Szenarien unter anderem zu rechnen ist.
Die Hoffnung läge darin, dass es zu einem Generationswechsel in der Politik kommt und so bald wie möglich die starre Fixierung darauf, die bisherige repressive Herrschaftsordnung zu erhalten, wie dies in Algerien ganz deutlich wird, aber auch in Syrien (inkl. der Opposition) und im Irak, durch eine andere Freiheit ersetzt wird. Möglichkeiten zu einer gelingenden Energiewende über Wind- und Sonnenenergie gäbe es im Nahen Osten und Nordafrika genug.
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