Energiewende für Fortgeschrittene: Ökoenergie ist nicht knapp, teuer und schmutzig

Seite 3: Studien: Warum es genügend Ökostrom gibt

Man behauptet, zur Sicherstellung der "Grundlast" bedürfe es eines unerschwinglichen Aufwands für die Speicherung von Solar- und Windstrom. Aber ein Speicherproblem, wie immer wieder unterstellt, gibt es nicht. Auch heute schon muss Energie bei der Stromproduktion gespeichert werden, meist jedoch vorgelagert in Form von Kohlebergen.

Und Schwankungen gibt es seit langem, etwa wenn ein Atomkraftwerk ausfällt. Die Schwankungen im 100-Prozent-Ökostrom-Netz können mit einem Mix aus »smart grids«, diversen Speichermöglichkeiten wie Pumpkraftwerken, Großbatterien, thermischen Speichern, flexiblen Biomasse-Anlagen, Wasserstoff- und Methanumwandlung oder Langzeitspeichern (zum Beispiel Wasserkraftwerken in Norwegen) ausgeglichen werden.

Damit sind natürlich Investitionen und Kosten verbunden. Aber ihnen stehen die Energieverluste, der geringe Effizienzgrad und die Kosten für nicht benötigte Reservekapazitäten der fossilen Grundlastkraftwerke gegenüber.

Die Knappheitsthese wird von Energiewende-Skeptikern noch durch ein anderes Argument vorangetrieben. Es wird darauf verwiesen, dass der Strombedarf im Zuge der Wende deutlich zunehmen wird. Das ist richtig. Einerseits müssen der Autoverkehr und das Heizen zu großen Teilen elektrifiziert werden. Das erzeugt neue Stromkunden.

Andererseits sind bestimmte Sektoren wie die Stahl- oder Chemieindustrie sowie die Schiff- und Luftfahrt auf grünen Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe angewiesen. Bei der Herstellung dieser Kraftstoffe wird sehr viel Strom benötigt, da es bedeutsame Umwandlungsverluste gibt.

Doch selbst der erhöhte Bedarf stellt kein unlösbares Problem dar, wie Studien uns zeigen. In der Industrie (Chemie, Stahl, Zement) kann durch Kreislaufwirtschaft, Recyling und Effizienzsteigerung der Strombedarf deutlich reduziert werden, um ein Drittel bis zwei Drittel. Die immer wieder als Schreckgespenst kursierende Zahl, dass allein für die chemische Grundstoffindustrie ein Zusatzbedarf von rund 600 Terrawattstunden entsteht (die Höhe der heutigen Stromerzeugung in Deutschland) ist daher zu hoch angesetzt.

Beim Flugverkehr muss, solange es noch keine realisierbaren anderen Antriebssysteme gibt, eingespart werden müssen. Aber auch das ist machbar. Denn in Deutschland sind allein 53 Prozent aller Flüge Kurzflüge (unter 1000 Kilometer), die durch andere Verkehrsmittel ersetzt werden können, am besten durch Bahnverbindungen.

Bei der Schifffahrt fallen allein rund 40 Prozent der Emissionen automatisch durch die Energiewende weg, da sie nur dadurch entstehen, dass fossile Brennstoffe über Meere und Flüsse transportiert werden müssen. Der Rest der Schiff-Emissionen muss dadurch auf null gebracht werden, indem auf andere Antriebe (Brennstoffzelle etc.) umgerüstet wird.

Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig Effizienzgewinne, die den Verbrauch an Strom vermindern, auch wenn sie den Mehrbedarf an Strom nicht ausgleichen. So erhöhen allein E-Autos den Strombedarf um 400 TWh pro Jahr.

Diverse Szenarien gehen davon aus, dass für ein komplett klimaneutrales Deutschland 700 bis 1.400 TWH Strom durch Erneuerbare Energien produziert werden müssen. Die Energy Watch Group (EWG) berechnet den Bedarf in einer Untersuchung auf über 1600 TWh. In diesem Fall würde allerdings der komplette Strom in Deutschland selbst hergestellt.

Aber auch diese Erhöhung der Stromproduktion um das Zwei- bis Dreifache ist machbar, wie die Wissenschaftler in ihren Berechnungen erklären. Das Wuppertal Institut stellt in der Studie "CO2 -neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze" fest:

Ein vollständig auf erneuerbaren Energien beruhendes Stromsystem wird von verschiedenen Szenariostudien sowie weiteren wissenschaftlichen Studien als technisch und ökonomisch realisierbar eingeschätzt. … Insgesamt legen die Analysen in dieser Studie nahe, dass das Erreichen von CO2-Neutralität bis zum Jahr 2035 aus technischer und ökonomischer Sicht zwar extrem anspruchsvoll wäre, grundsätzlich aber möglich ist.

Das EWG hält eine Umstellung bis 2030 für realisierbar. Dabei würden Wind- und Sonnenenergie (PV) etwa 80 Prozent ausmachen, während Batterien, Geothermie und Wasserkraft bundesweit einen Anteil von etwa 12 Prozent für die Strom-Erzeugung beisteuern.

Es zeigt sich, dass der notwendige Umbau aller Energiesektoren mit gleichmäßigem Ausbau der Erneuerbaren Energien kostengünstig bis 2030 möglich ist.

Es würden in einem 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-System danach Entstehungskosten von 76 Euro pro Megawattstunde (MWh) anfallen. Das entspricht den Kosten im herkömmlichen System.

Technisch und ökonomisch ist also die Wende zu 100 Prozent Erneuerbare auch in kurzer Zeit möglich, wenn man den maßgeblichen Studien folgt. Das Nadelöhr liegt, wie schon gesagt, an anderer Stelle. So stellt das Wuppertal Institut fest:

Ob sich dieses Ziel (CO2-Neutralität bis 2035, Telepolis) jedoch tatsächlich realisieren lässt, hängt auch maßgeblich von der gesellschaftlichen Bereitschaft und einem massiven politischen Fokus auf die notwendige Transformation ab.

Daher ist Energiewende-Skepsis so schädlich, weil sie die gesellschaftliche Bereitschaft und den notwendigen politischen Fokus schwächt.

Im zweiten Teil der Analyse wird es darum gehen, warum auch der Einwand, dass eine wachsende Ökonomie unvereinbar ist mit einer Klimawende, in dieser Form nicht richtig ist.

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