Energiewende rückwärts? EU steigert 2024 russische Gas-Importe
EU importierte 2024 Rekordmenge an russischem Flüssiggas: 16,5 Millionen Tonnen trotz Ukraine-Krieg. Plan zur Unabhängigkeit von Putins Gas gescheitert?
Die Europäische Union hat nach dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine große Ziele verkündet: Bis 2027 sollen sich die EU-Länder vollständig von fossilen Brennstoffen aus Russland lösen. Doch momentan ist die EU noch weit davon entfernt, dieses Ziel erreichen zu können. Beim Flüssigerdgas (LNG) legten die Einfuhren in diesem Jahr deutlich zu und erreichten ein neues Rekordhoch.
EU importiert 2024 mehr russisches LNG als je zuvor
Bis Mitte Dezember 2024 führte die EU laut Berichten der Financial Times (FT) und von Bloomberg knapp 16,5 Millionen Tonnen LNG aus Russland ein. Das sind mehr als die bisherigen Spitzenwerte von 15,18 Millionen Tonnen im Vorjahr und 15,21 Millionen Tonnen im Jahr 2022. Die Daten stammen von dem Rohstoffanalysten Kpler.
„Was wir in diesem Jahr gesehen haben, ist überraschend“, sagte Ana Maria Jaller-Makarewicz vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis gegenüber FT. „Anstatt die russischen LNG-Importe schrittweise zu reduzieren, erhöhen wir sie.“
Während die Gaslieferungen über russische Pipelines auf ein Minimum gesunken und Importe von russischem Öl und Kohle in der EU inzwischen verboten sind, nehmen die Einfuhren des per Schiff transportierten, tiefgekühlten Erdgases weiter zu. Russland ist hinter den USA der zweitgrößte LNG-Lieferant der Europäer.
Hohe Spotmarkt-Käufe zeigen Europas Abhängigkeit
Als Grund sehen Experten primär günstige Preise: Russisches LNG vom Jamal-Terminal ist laut Analysten „deutlich billiger“ als etwa Gas aus den USA. Der Anteil von russischem LNG, das die EU auf dem kurzfristigen Spotmarkt einkauft, ist 2024 auf 33 Prozent gestiegen – nach 23 Prozent im Vorjahr, wie Rystad Energy laut Bericht ermittelte.
Einige europäische Energiekonzerne haben zwar angekündigt, kein russisches Flüssigerdgas mehr auf dem Spotmarkt zu erwerben. Doch für viele Abnehmer bleibt es offenbar eine kostengünstige Option. Frankreich etwa hat seine Importe fast verdoppelt, über die Hälfte ging an das Terminal in Dünkirchen.
Zwar deckt LNG aus Russland derzeit nur etwa 20 Prozent des gesamten Flüssigerdgas-Imports der EU ab, verglichen mit 15 Prozent 2023. Doch gemessen an den Gesamtgasimporten einschließlich Pipeline-Lieferungen stammen immer noch rund 16 Prozent aus Russland.
EU-Kommission plant Ausstieg bis 2027
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat indes signalisiert, die Einfuhr von Öl und Gas aus den USA zu erhöhen. Damit reagierte sie auf eine Drohung des designierten US-Präsidenten Donald Trump, hohe Zölle zu verhängen, wenn die EU nicht „in großem Umfang“ mehr Energie aus den Vereinigten Staaten bezieht.
Ziel dieser Drohung ist laut Bloomberg offenbar, das Handelsdefizit zwischen den USA und den EU-Staaten von über 131 Milliarden US-Dollar zu verringern. Öl und Gas aus den USA waren schon im vergangenen Jahr die großen Exportschlager. In den ersten neun Monaten, so heißt es bei Bloomberg, waren die Öl- und Gasexporte aus den USA in Richtung Europa schon fünfmal so hoch wie in den ersten neun Monaten der ersten Präsidentschaft von Trump.
Trumps Forderung hat einen Haken: Kurzfristig können die USA kaum zusätzliches Öl und Gas nach Europa liefern, ohne Exporte in andere Regionen zu verringern. Auch ein deutlicher Anstieg der US-Förderung ist vorerst nicht absehbar. Laut Energy Information Administration wird die Ölproduktion bis Ende nächsten Jahres wohl nur um 100.000 Barrel pro Tag steigen, während bei Erdgas ein Anstieg um umgerechnet 120.000 Barrel pro Tag erwartet wird.
Langfristig allerdings könnten neue Projekte Europa helfen, unabhängiger von Russland zu werden – auch wenn das die Preise für amerikanische Verbraucher erhöhen dürfte. Dafür würde Europa seine Abhängigkeit von Russland gegen eine Abhängigkeit von den USA eintauschen.
Der neue EU-Energiekommissar Dan Jørgensen will bis nächsten Jahr einen Plan vorlegen, um russische Energieträger bis 2027 komplett zu ersetzen. Doch der Weg dahin bleibt lang.