Enge Polizei- und Geheimdienstkooperation in den Niederlanden bezüglich Überwachung und Kryptographie
Polizei und Geheimdienste arbeiten im Rahmen eines geheimen Projekts zusammen. Geheimdienste sind auch treibende Kraft hinter dem Cybercrime-Vertrag des Europarats
Seit 1995 arbeiten Polizei und Geheimdienste in den Niederlanden im Rahmen eines geheimen Projekts am Durchbrechen von Kryptocodes. In diesem Jahr begann das begann die sogenannte "Kooperation zum operationalen Zugang zu kryptographischen Themen". Später wurde die Zusammenarbeit auch auf Abhören erweitert. Durch Dokumente, die unter dem niederländischen "Freedom of Information Act" erlangt wurden, wurde dies nun bekannt.
Der Beschluss zu einer formellen Kooperation wurde vom ministeriellen Ausschuss für Sicherheits- und Geheimdienstangelegenheiten (MICIV) gefasst. Dieser Ausschuss, dessen Vorsitzender der Premierminister ist, entscheidet über die allgemeine Politik und Kooperationen der niederländischen Geheimdienste. In der Kabinettssitzung vom 6.Juli 1995 wurde ein Sonderbudget für dieses Projekt bewilligt. 1997 wurde das Projekt auf Anfrage des Justizministeriums umbenannt in "Operationales Krypto- und Überwachungsprojekt" (OCI).
Das Ziel dieser Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdienst ist, "zu Ermittlungen über Verbrechen und zur nationalen Sicherheit beizutragen". Polizei und Geheimdienste versuchen dabei gemeinsam die Probleme und möglichen Lösungen bezüglich Verschlüsselung und Abhören zu finden. Dazu suchen sie die Unterstützung spezialisierter Unternehmen und der akademischen Welt. Sie sollen mit Experten der Polizei und Geheimdienste Wissen und Fähigkeiten austauschen. Laut der Definitionen des Projekts, soll OCI "aktiv Probleme lösen und Kohärenz, Harmonie, Zusammenarbeit und Verbindungen fördern".
Die meisten der unter dem Freedom of Information Act beantragten Dokumente über OCI wurden allerdings nicht herausgegeben, so z.B. ein Bericht über Zusammenarbeit im Bereich des Abhörens und über die Probleme, die dabei auftraten, sowie über erzielte Ergebnisse im Brechen von Codes. Auch der Zugang zu Listen mit Entschiedungen, Empfehlungen und Briefen von Ministerien wurde verweigert. Als Grund für die Verweigerung schrieb das Justizministerium: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Kriminelle ihre Aktivitäten entsprechend Informationen über Regierungspolitik ausrichten, die durch Ihre Anfrage an die Öffentlichkeit gelangten".
Die Steuergruppe zur Supervision des Projekts setzt sich aus Mitgliedern des Justiz- und Außenministeriums, des Geheimdienstes BDV, der Polizei, des militärischen Geheimdienstes MID, der Militärpolizei, der Wirtschaftspolizei, des steuerlichen Informations- und Ermittlungsdienstes, des Büros des Generalstaatsanwaltes, dem Rat der Polizeichefs, der Abteilung für Verkehr und Wasserwege und dem nationalen Koordinator für Geheimdienste zusammen.
Die eigentliche Arbeit erfolgt in zwei Arbeitsgruppen, "der Arbeitsgruppe zu operationalen Kryptothemen" und der "Arbeitsgruppe für Abhörmaßnahmen". In diesen Arbeitsgruppen arbeiten Mitglieder der Geheimdienste BVD und MID, der Polizei und des Forensischen Instituts zusammen. Das Forensische Institut ist die führende Institution für Kryptografie in den Niederlanden. Das Management des OCI-Projekts liegt in den Händen eines externen Unternehmens, KPMG Management Consulting.
"Zentrale Informationsstelle zur Untersuchung von Telekommunikation"
Das zuvor erwähnte "nationale Abhörzentrum" wurde nun umbenannt in "Zentrale Informationsstelle zur Untersuchung von Telekommunikation". Auch die Projektleitung dieses Zentrums wurde an externe Consultants vergeben, an CMG Division Management Consultancy. Die Informationsstelle ist eine Art Interface. Polizei und Geheimdienste können dort im Kontext von Abhörbefehlen Anfragen über Telefonanschlüsse und korrespondierende Namen und Adressen stellen. Die Informationsstelle hat direkten Zugang zu den Registern der Telefongesellschaften und sucht heraus, wo die Informationen gespeichert sind. Wenn die gesuchte Information gefunden wurde, wird sie an die Behörden weitergeleitet. Der gesamte Prozess ist automatisiert und reagiert auf Anfragen innerhalb von Minuten. Die Telefongesellschaften sind dazu verpflichtet, ihre Register alle 24 Stunden zu aktualisieren. Das Gesetz, das die Regeln für die Informationsstelle festlegt, schreibt vor, dass die Telefongesellschaften nicht wissen dürfen, von welcher Behörde oder zu welchem Zweck die Anfrage gemacht wurde. Für die Internet-Service-Provider gibt es derzeit noch keine vergleichbaren Anforderungen.
In einem anderen Dokument, das unter dem Freedom of Information Act erlangt wurde, kündigte das Justizministerium an, dass zukünftig auch Verbindungsdaten von Telefongesellschaften über die Informationsstelle zugänglich gemacht werden sollen. Auch bereiten die Behörden derzeit ein Gesetz vor, das die Telefongesellschaften verpflichten wird, die Positionsdaten von Mobiltelefonbenutzern zu speichern. Möglicherweise wird die Informationsstelle in Zukunft auch als Austauschknoten für verschiedenste Informationen über Telefonkunden für allgemeine Ermittlungszwecke dienen.
Die holländische Polizei hat wiederholt um Zusammenarbeit mit Geheimdiensten, der akademischen Welt und der Wirtschaft zu Kryptothemen gebeten. Das OCI-Projekt scheint das konkrete Ergebnis dieser Anfragen zu sein. Die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die früher strikt getrennt war, scheint sich in den letzten Jahren mehr und mehr zu überschneiden. Dem Geheimdienst wurde die Befugnis erteilt, gegen organisierte Kriminalität zu ermitteln, wie es auch in anderen europäischen Ländern geschehen ist.
Eines der Ziele des OCI-Projekts, das Durchbrechen von Kryptocodes, muss im Kontext des neuen Gesetzes über die Befugnisse des Geheimdienstes gesehen werden, das bald vom Parlament diskutiert werden wird. Laut diesem Gesetz erhält der Geheimdienst die Befugnisse, alle verschlüsselten Daten, die im Rahmen von Abhörmaßnahmen erlangt wurden (ob zufällig oder im Rahmen einer konkreten Ermittlung), so lange zu speichern, wie es zur Entschlüsselung notwendig ist.
Die operationale Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten und der Einfluss auf die Politik auf dem Gebiet des Abhörens, der Kryptografie und des Internet scheint in Holland weit fortgeschritten zu sein. Laut dem jährlichen Bericht des ministeriellen Ausschusses für Geheimdienste waren wiederholt die Verhandlungen zum Cybercrime-Vertrag des Europarats Gegenstand von Diskussionen. Dieser Vertrag beschränkt sich offiziell auf Ermittlungen in strafrechtlichen Fällen, doch wie es scheint, versuchen die Geheimdienste im Hintergrund die Verhandlungen zu beeinflussen. Laut eines Sprechers des BVD habe der Geheimdienst ein legitimes Interesse an den Verhandlungen, da Cybercrime Formen annehmen kann, die es auch für die Arbeit der Geheimdienste relevant machen, zum Beispiel wenn Terroristengruppen Cybercrime-Tools verwenden.
Niederländische Strafverfolger verstärken ihre Bemühungen, gegen Cybercrime vorzugehen. In Driebergen wurde kürzlich das größte Abhörzentrum Europas eröffnet. Dort beherbergt die Staatspolizei KLPD unter anderem auch die "geheime Abteilung" der nationalen High-Tech-Einheit, spezialisiert auf Einbrüche und die Installation von Wanzen und Ortungsgeräten. Das Abhörzentrum in Driebergen wird von dieser High-Tech-Einheit betrieben, die sich auf das Abhören von Telekommunikation inklusive Mobiltelefonen spezialisieren, sowie auch auf "spezielle Kommunikationsnetze", worunter das Internet zu verstehen ist. Es ist mit High-Tech-Equipment bestückt und kann bis zu 1000 Abhörmaßnahmen gleichzeitig ausführen.
Eine besondere Arbeitsgruppe des Büros des Generalstaatsanwalts, eingerichtet 1997, beschäftigt sich mit Verschlüsselung, der Entwicklung neuer Techniken und digitaler Ermittlungsmethoden und der Notwendigkeit für neue Gesetze und Verordnungen. Alle Dokumente über diese Arbeitsgruppe sind geheim, aus Gründen der inneren Sicherheit.