Enter Idiopolis

Ein Interview mit Jan St. Werner von Mouse on Mars.

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"Enter Idiopolis" behauptet der Button auf ihrer Homepage und stellt somit für diesen Text und seinen Ort eine tatsächliche, nämlich unbewußte Koinzidenz her. Wundersamerweise ganz ähnlich, nämlich "Idiology", lautet der Titel des neuen Longplayers von Jan St. Werner und Andi Toma, deren Tun als das Köln-Düsseldorfer Duo "Mouse on Mars" aufgrund vieler Erscheinungen und regen sowie langjährigen öffentlichen Interesses keiner langen Einführung bedarf: Mittlerweile fünf "reguläre" Veröffentlichungen ("Vulvaland" 1994, "Iaora Tahiti" 1995, "Autoditacker" 1997, "Niun Niggung" 1999 und "Idiology" 2001) gesellen sich zu mehreren im kleineren Rahmen vertriebenen Schallplatten wie "Glam", "Instrumentals" oder "pickly dred rhizzoms" (veröffentlicht auf dem von Werner, Toma und Frank Dommert betriebenen Label Sonig).

Cover von "Idiology

Von anfänglichen Zuschreibungen wie "Kraut-Dub" und "Post-Techno" bis hin zur Erfindung leidenschaftlicherer Neologismen stellten Mouse on Mars mit jeder Platte für deren Rezensenten eine Herausforderung dar und für deren Hörer ein Sammelsurium so noch nicht kombinierter Möglichkeiten vor.

Auffälligstes Merkmal bei "Idiology" ist, dass der von den MOM-Liveauftritten bekannte Schlagzeuger Dodo Nkishi zudem auch seiner Stimme in Gesang und Spoken Word Raum gibt. Nicht weniger auffällig ist die Verschränkung von "kammermusikalischen" und computertechnologischen Soundmomenten. Neben Nkishi treten dabei u.a. Matthew Herbert am Klavier, Adam "Vert" Butler und F.X. Randomiz an den Programmen sowie Harald "Sack" Ziegler an Waldhorn und Trompete auf.

Der dabei entstandene Sound (wie auch der im Booklet abgedruckte Text der Songpassagen) lässt auf der einen Seite wagemutig an Rollenmodelle von Matching Mole, Soft Machine, Mothers of Invention oder The Red Crayola denken. Damit rechnete man nicht, nachdem die erste Single-Auskoppelung "Actionist Respoke" sich eher eines frontal-aggressiven aber durchaus VIVA-fähigen Potentials bediente, ist aber nun umso hingerissener zu erfahren, wie es dazu kam, dass Stile und Formate wie "Kammermusik", "Ska" oder "Song" auf "Idiology" eine musikalischen Selbstintegration veranstalten?

Jan St. Werner: Diese Stile verweisen ja in Richtungen, die weit über den Stil hinausgehen, der auf "Idiology" zu finden ist. Einen Stil kann man ja ganz leicht zitieren, wie das ein Mike Ink schon vorgemacht hat; durch Verschieben einer Hi-Hat ist er ja schon von Glam-Rock zu Ska oder Rocksteady gewandert. Alle sagen dann, "wie hast Du das denn gemacht?", und er denkt sich dann, "das habe ich auch erst herausgefunden, dass das durch das Verstellen des Shuffle-Modus im Sequenzer von C4/4 auf D4/4 ganz von alleine passiert!" In einer solchen Welt bewegen wir uns ja auch. Das Verschieben eines Off-Beats in die eine oder andere Richtung oder das Verzögern oder Verlangsamen von Tempi führt schnell in eine Richtung, in der man in Spielgefielde kommt. Man kann das aus dem Ärmel schütteln und es ist auch schön, wenn man darauf verweisen kann. Aber diese Sachen gibt es schon lange; die müssen nicht von letztem Jahr sein. Auch alte Sachen können viel erzählen, die darf man nicht vergessen und übergehen. Ich glaube sowieso, dass "alt" kommt, das bahnt sich schon an; altes Wissen, alte Menschen, alte Erfahrungen, das Nicht-Aktuelle, das man schon in den Schrank gelegt hat. Ich glaube, es geht derzeit darum, sich das noch einmal anzuschauen und wieder durchzulesen oder zu befragen oder mit Leuten zu sprechen, von denen man dachte, man hätte sie schon hinter sich gelassen.

Aber die neue Platte ist auch ein Statement gegen bestimmte andere Stile. Ich fühle mich ziemlich penetriert von dieser Idee von Pop, die für mich auf einer total unwichtigen Ebene stattfindet, weil das sowieso nur von ein paar Leuten diskutiert wird, die nichts bewegen. Die Platte ist daher auch ein Anti-Pop-Statement ohne dabei eine Merzbow-Platte geworden zu sein - die man per se auch schon wieder cool finden kann, weil man nichts daran versteht, oder weil sie von vorne bis hinten penetrant nervt. "Idiology" sollte die bessere Pop-Platte sein, ohne dabei eine 80er Jahre-Nostalgie oder -Referenz zu sein, sondern eine Platte, die in den Arsch tritt, aber ohne dass man zurückschlägt, sondern eher stolpert.

Ist die neue Platte, so wie sie ist, für Euch auch eine Notwendigkeit gewesen, weil man sich damit gegen sich selbst verwahren muss und kann?

Jan St. Werner: Jede Platte verweist auf die vorherigen. Es ist uns also bewusst, dass auch die neue Platte Öffentlichkeit hat wie unsere anderen "regulären" Platten. Diese Platte bezieht die alten Platten mit ein, aber nicht so, dass sie diese ersetzen würde. Sie erklärt vieles, was schon immer wichtig war, aber vielleicht nicht so deutlich wurde. Man kann manche Sachen auf den alten Platten durch die neue Platte besser verstehen. Sie markiert aber keinen Neuanfang, denn jedes Stück ist schon ein Neuanfang, und in jedem Stück selbst gibt es Neuanfänge. Es ist schwierig, "in Platten" zu denken; das macht man zwar gerne als "Plattenkünstler", und man wird auch so verhandelt, aber ich glaube man kann das gar nicht mehr so sehen, weil Platten gar nicht mehr so wichtig sind.

Markiert also eine Platte nur den Stand der Selbstmodulation des Öffentlichkeitsbegriffs?

Jan St. Werner: Das tut sie zum Teil, zum Teil ist eine Platte aber auch eine Aussage, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit verlangt wird, die man auch von sich selbst verlangt. In unserem Fall, in einem größeren Raster gesehen, ist es so, dass wir über die ganzen Jahre gemerkt haben, dass unsere Arbeit zu gewissen guten Bemerkungen unsererseits geführt hat, aber auch zu Unterlassungen, die wir niemals so wollten. Wir haben uns also so sehr mit bestimmten Dingen beschäftigt, dass andere Sachen, die doch recht wichtig waren, zwar bewusst weggelassen wurden, aber eigentlich nicht weggelassen werden dürfen. Auf diese haben wir uns jetzt konzentriert.

Was wäre das genau? Es gibt jetzt z.B. Gesang oder die "kammermusikalische" Instrumentierung, und es gibt die gesprochenen Passagen?

Jan St. Werner: Ja genau, es gibt nun die Textebene, die innerhalb der Musik verhandelt wird, und nicht dazu begleitend. Es war uns wichtig zu zeigen, dass dafür Platz ist. Ob man letztendlich bei dem Text hängenbleibt und sich überlegt, was da gesagt wird, oder ob man das als die Möglichkeit registriert, die Platz hatte, genau darauf zu verweisen und für so etwas Raum zu lassen, ist auch eine wichtige Frage. Zuvor hatte ja Text in dem Sinn keinen Platz. Man hat vielleicht eine Erinnerung daran, dass wir schon mit Stimme gearbeitet haben - es gab ja die Kollaboration mit Laetitia (Sadier von Stereolab, auf der MOM-Single "Cache Coeur Naif"), aber sie wurde nicht so in die Musik eingearbeitet, dass ihre Stimme zu "Sound" wurde. Das geht nun auf der neuen Platte viel weiter. Text ist da etwas, womit man etwas sagt, und natürlich haben wir darauf geachtet; aber es ist auch etwas, was einfach stattfindet und man es nicht einmal tatsächlich merken könnte. Irgendwann denkt man, "das passt ja super da hinein, war das denn irgendwann anders?", und überlegt dann, ob es auf den alten Platten nicht auch schon Gesang gab. Das ist auch ein Verweis, den wir eingearbeitet haben, der gerade jetzt wichtig war - auch für unsere Biografie."

Bei der Text- und Gesangebene fällt auf, dass sowohl Selbstreflexion als auch Reflexion über Produktionsbedingungen und Präsentation stattfindet, also eine Art von "politischem" Statement, das sich auf Repräsentation, Distributionsweisen und Produktebene bezieht. Das hat in dieser expliziten Weise bei Euch zuvor nicht stattgefunden - jedenfalls nicht textuell. Du hast dich ja gerade auf den Öffentlichkeitsbegriff bezogen: Eine "Mouse-on-Mars"-Platte bekommt ja fast schon automatisch eine große Öffentlichkeit. Ich möchte dies vergleichen mit zwei Platten, die auch gerade eine ähnliche Aufmerksamkeit erhalten: Jan Delays "searching for the jan soul rebels" und Blumfelds "Testament der Angst", in denen es ja auch um bestimmte Politikbegriffe geht...

Jan St. Werner: ...Kante wäre in dieser Reihe ja auch aufzulisten...

...wobei es da natürlich um je verschiedene Positionierungen geht, wenn man Eißfeldt und Blumfeld vergleicht. Das Pop-Phänomen scheint ja gerade in einer sichtbaren Krise der Repräsentation, der Selbstdarstellung, der Möglichkeiten. Die Platten von Delay und Blumfeld finden natürlich deswegen eine große Öffentlichkeit, weil darin im klassischen Sinn "jemand etwas sagt". Bei Eurer Platte geht es vielleicht in einem ähnlichen Sinn um "Selbstbesprechung", also darum, die eigene Position zu erklären; aber dennoch ist dieses Statement bei Euch mehr in die Musik eingearbeitet und weniger im Sinn von"Text als Text" gedacht.

Jan St. Werner: Auch hier: Zum einen reiten die beiden Platten auf musikalischen Mustern, die nicht originell sind; sie sind weder originell gedacht noch originell gemeint. Sie dienen als Vehikel, die mit gewissen Designkriterien dem Text hinzugestellt werden. Da gibt es ein paar Punkte - Glaubwürdigkeit, eigene Biografie, Aufrichtigkeit einer Selbsteinschätzung gegenüber. Für Blumfeld muss es ein großer Schritt gewesen sein, die Auswahlmöglichkeiten so zu erweitern, dass man sich auf nun andere Musik bezieht, mit der man auch sagen kann, was man sagen möchte. Und Eißfeldt hat nichts zu verlieren, ist aber trotzdem risikobereit. Nichts davon ist wirklich neu, Eißfeldt ist mir aber sympathisch, weil er sich nicht kompatibel geben will - ob er es dann tatsächlich ist, ist ein anderer Punkt. Das mit der Krise ist richtig, stimmt aber auf einer anderen Ebene auch wieder nicht. Die tatsächlich originelle Ebene der Pop-Produktion, die originäre, steckt tatsächlich in einer Krise, was aber okay ist. Das Mainstreamverständnis von Pop ist aber in keiner Krise: Diese neu erdachte, neu inszenierte Republik ist eine Pop-Republik. Da würde ich eher ansetzen in Bezug auf Identität und da sehe ich den Bezug zur Politik.

Das was wir machen ist sicherlich sehr selbstreferentiell und wird immer in der eigenen Umgebung erprobt. Ich glaube aber, dass das viel Kraft hat, auch was die Themen angeht, mit denen wir uns beschäftigen und auch beschäftigen müssen. Tatsächlich ist unsere Musik ja nicht eine, die aus einem Gedaddel entsteht, sondern aus einer wirklichen Zerlegung, und zwar aus einer Zerlegung von allen Begriffen und allen Möglichkeiten und Umständen, unter denen die Musik entsteht. Es ist keine Musik, die nur an einem bestimmten Ort entsteht, nur in einem bestimmten Kontext funktioniert, nur aus einem bestimmten Sozialen oder Kulturellen heraus verhandelt werden kann; es ist auch keine "per se deutsche" Musik oder eine die, wenn es sich um A-Musik dreht, schon die Frage aufwirft, worum es da geht und wie das damit zusammenpasst. Es ist keine Musik, die ein Nachzüglertum möglich macht - bis auf bestimmte ästhetische Elemente und Missverständnisse, die in den letzten Jahren zu extrem unangenehmen Wucherungen geführt haben und die ich, wenn ich es könnte, auf jeden Fall unterbinden würde.... (lacht).

Unsere Musik stellt sich nicht penetrant in den Weg und will auch nicht partout wichtig sein. Ob wir dabei die sind, die alles erklären werden und an die man sich immer wenden kann, wenn es brenzlig wird, weiß ich nicht.

Es geht aber um wichtige Sachen... um die Frage nach Identität, um die Frage, wie man sich selbst gestaltet, in welchem Zusammenhang man steht und wie man seinen Zusammenhang gestaltet, indem man ihn liest oder indem man - ganz wichtig - ihn immer wieder neu justiert und erklärt, und dies nicht nur sich selbst, sondern auch dem Außen gegenüber. Es geht also auch darum, dass man vermittelt, wie man das sieht, was man erlebt und was man davon will. Und es geht darum, nicht zu gestalten, indem man es selbst immer wieder anders dastehen lässt, sondern darum, dass man bewusst Einfluss nimmt. Insofern halte ich unser Tun für politisch, ich weiß aber nicht ob die politischen Begriffe verwendbar sind. Das Problem ist ja, dass man auf der Ebene der Politik nur eine bestimmte Zeit "gegen" oder "alternativ" sein kann, danach wird man vereinnahmt oder zum Teil der Angelegenheit gemacht. Gerade als größter Feind ist man ja der interessanteste Partner. Es ist also ganz wichtig, wie man seine Sachen in Bewegung hält, so dass sie nicht ganz gecatcht werden. Damit sind wir noch lange nicht fertig, das ist aber unser Punkt. Wenn du soweit bist, dass du die Ästhetik gefunden hast, die alles auf den Punkt bringt, dauert es nicht mehr lange, bis andere diese Ästhetik für sich beanspruchen.

Der neue Eißfeldt-Clip ist wesentlich besser als seine vorherigen, ganz im Gegensatz zu dem Blumfeld-Video "Graue Wolken", das der absolute Horror ist. Ich verstehe gar nicht, wie man so etwas noch machen kann. Ich verstehe es, wenn man sagt, "dieses Minimal-Dasein und dieses downgestript-Verwesentlichte ist es jetzt". Aber dann ist man auch irgendwo zwischen den 80er Jahren und den 50er Jahren hängengeblieben. Es ist wirklich schwierig, etwas zu sprengen, also sprengt man sich im Zweifelsfall selbst, wenn man überhaupt sprengen möchte.

Ich sehe aber wenige Leute, die überhaupt sprengen wollen oder zumindest soweit gehen wollen, dass sie tatsächlich demontieren können, ihr Werkzeug zusammenhaben, um dann damit anzufangen. Es geht dabei nicht nur um die Dekonstruktion und wie weit man damit kommt, es geht darum, zu akzeptieren, dass diese Auflösung und dieses Dahinterschauen die einzige Alternative ist, dies alles nicht zu glauben und nicht alles per se zu übernehmen. Diese Pop-Idee ist dabei nur eine Ebene, auf der genau das passiert, auf der diese Muster weiter vererbt werden und man alles cool findet und alles mögliche hineinlesen kann. Tatsächlich passiert aber einfach nichts. Es ist alles drin, und alles ist bereit, und alle sind dran und die Besten sind mit dabei - es tut sich aber rein gar nichts. Da frage ich mich, wie man so etwas glauben kann wie Blumfeld?"

Was genau bezeichnest Du mit diesem Glauben?

Jan St. Werner: Dieser Glaube, dass Popmusik tatsächlich eine Idee ist, in der etwas Verbindendes oder etwas Revolutionäres liegen könnte. Ich weiß nicht, was da alles reingelesen wird, aber dass Pop die bessere Variante ist oder ein Gesellschaftsentwurf sein könnte, in dem alle Platz haben, sehe ich überhaupt nicht. Ich kann nur Systeme akzeptieren, in denen Platz ist, in denen etwas Neues dazukommen kann, und die auf Dinge verweisen, die auch nicht funktionieren - das gehört zu einem System dazu, das lebendig ist und funktionieren soll. Ich sehe aber immer nur exklusive Konzepte, Zirkel, die bestimmte Themen verhandeln, die sie aber entweder nicht weitergeben oder keine Sprache dafür haben, sie weiterzugeben, also daran scheitern. Oder Zirkel, die diese Themen bewusst für sich zurückhalten und dann auf den richtigen Moment warten, um dann ganz massiv auf dem Parkett zu stehen. Das sieht man ja nicht nur seit Jahren in der Popmusik sondern zur Zeit auch ganz massiv in der Politik. Daraus könnte man doch lernen. Blumfeld müssten eigentlich schreien; Distelmeyer dürfte im Moment nur noch schreien, dass ihm die Stimme wegbleibt und müsste dabei Worte schreien, die er noch nie so geschrieen hat. Anstelle dessen übt er sich im Singen. Vielleicht ist das aber auch richtig und ich liege falsch?

Ja, Blumfeld haben gerade schon etwas sehr Thoureauhaftes, wobei das zwei Möglichkeiten impliziert. Die eine dabei ist, im Rückzug zu sprechen, die andere, das Nicht-Akzeptieren immer weiter aufrechtzuerhalten.

Jan St. Werner: Ja, aber für die zweite würde ich dann Eißfeldt bevorzugen, wobei das musikalisch zwar gut produziert, aber schwach ist, weil es Reggae ist und genau darin auch Reggae sein soll. Obwohl, ich finde es zwar schwierig, wenn man Stile adaptiert, aber ich empfinde es gleichzeitig als eine ganz heikle Entwicklung der letzten Zeit, wenn man sagt, "man muss den Kulturen lassen, was ihnen gehört", da gab es ja in letzter Zeit ganz merkwürdige Statements aus dem Minimal Techno-Bereich à la "die schwarze Musik sollte man da lassen, wo sie ist", man könne sich ja als Weißer nicht auf Soul oder Funk beziehen. Da wird mir ganz kalt, wenn ich so etwas höre.

Ist denn dann "Idiology" ein Begriff, den Ihr gegen das stellt, was Du eben beschrieben hast? Es ist ja derjenige Titel Eurer Platten, der mit den meisten Kontexten befrachtet ist?

Jan St. Werner: Das stimmt nur bedingt. "Vulva" und "Land" sind auch nicht ohne Kontext. Auch finde ich "Idiology" und "Autoditacker" nicht so weit voneinander entfernt. Das Wort "Niggun" von der "Niun Niggung" ist ein Begriff aus der Klezmer-Musik, was wir zu der Zeit, als wir diese Platte veröffentlichten, aber nicht erzählen wollten, da wir nicht nur in diese eine Richtung weiter befragt werden wollten. Niggun ist ein Begriff aus dem Chassidismus, der bestimmte Melodien bezeichnet. Wir haben ein "g" daran gehängt, um den Begriff in ein Tun-Wort umzuändern - "Das Niggungen" sozusagen. Bezogen auf eine Musik, auf die wir uns damals am ehesten beziehen konnten, verbunden mit einer Kultur, die für uns am ehesten repräsentieren könnte, was Kultur sein sollte, ein ständiges Bewegen, Aufnehmen, mit sich Tragen, aber nie dabei die Identität zu verlieren. "Niun" stand dabei für "neu". "Idiology" ist ein deutlich politischer Begriff, aber er ist nicht so weit entfernt von den anderen Titeln. Es ist natürlich auch ein Begriff, den es so nicht gibt, der daher paradox ist. Man könnte sagen "Idiot und Logik" oder "Polis und der Einzelne", oder - wie soll die Logik der Unlogischen funktionieren? Man könnte es aber auch einfach lassen. Die Idee dabei war, einen Begriff zu finden, mit dem man arbeiten kann, um die vielen Sounds, Verfahren und Ereignisse zusammenzuführen, die wir benutzen. Die Idee unserer Musik ist dabei, dass alles berührt und angefasst werden will. Und dabei geht es auf keinen Fall darum, dass "in den besten Momenten das Ganze mehr als die Summe der einzelnen Teile" ist, denn wo führt ein solches Denken denn hin...?

"Idiology" ist dieser Tage auf Sonig und auf Our Choice/Zomba erschienen. Tourdaten