Entscheidende Wende im Jemenkrieg
Ein Gastkommentar
In den vergangenen Tagen berichtete das Oberkommando der Huthis im Jemen, drei saudische Brigaden an der Grenze zu Saudi-Arabien vernichtend geschlagen zu haben. Auch wenn die Zahlen von über 2000 gefangen genommenen Soldaten der saudischen Kriegskoalition übertrieben scheinen, sprechen die veröffentlichten Videos der Huthis, in denen Dutzende außer Gefecht gesetzte gepanzerte Fahrzeuge und zahlreiche Kriegsgefangene zu sehen sind, eine deutliche Sprache.
Zu beobachten sind eine saudische Armee in Auflösung und auf der anderen Seite jemenitische Streitkräfte, die trotz saudischen Dauerbombardements zu äußerst komplexen und effektiven Operationen in der Lage sind. In noch viel stärkerem Maße, als die Angriffe auf die saudischen Ölanlagen am 14. September, für die die Huthis die Verantwortung übernommen haben, deutet die massive saudische Niederlage am Boden auf eine entscheidende Wende im Jemen-Krieg hin.
Auf die dokumentierten Geschehnisse reagierte ein Sprecher der saudischen Kriegskoalition mit einem lahmen Dementi und der Behauptung, es seien dagegen 1500 Huthi-Kämpfer getötet worden. Diese pure Behauptung ohne jeden Beleg wirft noch einmal ein Schlaglicht darauf, dass sich die Niederlage Riads nicht mehr kaschieren lässt.
Die Kriegskoalition unter Führung Saudi-Arabiens hatte am 26. März 2015 ihren Angriff auf den Jemen noch unter dem Kampfnamen "Operation Entscheidungssturm" begonnen. Man ging davon aus, dass die mit Riad verbündeten Staaten Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko und der Sudan, massiv logistisch unterstützt von den USA, Großbritannien und Frankreich sowie durch Waffenlieferungen auch der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel, die Huthis binnen kurzem niederwerfen zu können.
Einsichten, wie sie der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz in seinem nachgelassenen Werk vom Kriege formulierte, dass der "Krieg nie ein isolierter Akt ist" und "nicht aus einem einzigen Schlag ohne Dauer" bestehe, wurden im Gefühl des sicheren schnellen Sieges der reichsten Staaten gegen das ärmste Land der Welt geflissentlich ignoriert.
"Stabilitätsanker" Saudi-Arabien
Noch vor wenigen Jahren hatte der damalige deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière Saudi-Arabien als "Stabilitätsanker in der Region" bezeichnet. Inzwischen ist Saudi-Arabien zum Sorgenkind des Westens in der Region geworden. Denn der Krieg, den das saudische Herrscherhaus und sein strebsamer Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz: "MbS", gegen den Jemen und die unbotsamen Schiiten dort vor fast 5 Jahren begonnen hat, ist nunmehr dabei, heimzukehren. Aus einer schnellen Operation zur Niederwerfung der Huthis ist über einen Abnutzungs- und Stellungskrieg eine Auseinandersetzung geworden, bei der die staatliche Einheit Saudi-Arabiens wie auch die blutige Herrschaft aus wahhabitischem Klerus und absolutistischer Fürsten in Riad zunehmend in Frage gestellt werden.
Im Jemen selbst hat sich im Süden noch dazu ein Bürgerkrieg im Bürgerkrieg entwickelt, bei dem die einst gemeinsam gegen die Huthis kämpfenden säkularen Separatisten, die für eine Unabhängigkeit des Südens eintreten und von den Emiraten unterstützt werden, und die islamistischen Kräfte bis hin zur Al-Kaida unter der Patronage Riads sich jetzt gegenseitig an die Kehle gehen.
Ähnlich wie in Syrien, wo man selbst von Kritikern Assads hört, dass man einem Regime Change aufgrund der bedrohlichen Systemalternativen des IS und der Al-Kaida skeptisch gegenübersteht, hat Riad im Laufe des Krieges den Huthis Kräfte zugeführt, die gerade dort die einzige Versicherung gegen eine immer bedrohlichere wahhabitisch-islamistische Unterdrückung sehen.
So ist bereits der Vormarsch der Huthis vor der Eroberung der jemenitischen Hauptstadt Saana undenkbar ohne den Widerstand gegen die von den Saudis geförderte Al-Kaida im Land. Auch die Unterstützung iranischer Militärberater für die Huthis im Jemen ist nicht verstehbar ohne den Vernichtungskrieg Saudi-Arabiens, bei dem gerade auch die wenigen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen des Jemen durch Riad bombardiert werden.
Gleich einem Zauberlehrling wird der saudische Kronprinz nun die Geister, die er rief, auch im eigenen Land nicht mehr los. Die Huthis haben es geschafft, die militärischen Auseinandersetzungen in die vier 1934 annektierten Provinzen im Süden des Landes zu tragen. Wie in der Provinz Nadschran mit ismaelitischer Bevölkerungsmehrheit gibt es dort ein großes Potential von mit der wahhabitischen Unterdrückung Unzufriedenen, so dass es nur noch eine Frage der Zeit scheint, bis man von autochthonen Aufständen in Saudi-Arabien gegen die Herrschaft der Salman-Clique sprechen kann.
"Uneingeschränkte Solidarität" mit Riad
Vor dem Hintergrund der Erosion der Diktatur in Riad ist die Erklärung vom 23. September 2019, in der Großbritannien, Frankreich und Deutschland anlässlich der Angriffe auf die saudischen Ölanlagen nicht nur dem Iran - ohne jeglichen Beleg allein aufgrund von Plausibilitätsannahmen - die Verantwortung zuschieben, sondern dem saudischen Herrscherhaus auch noch "uneingeschränkte Solidarität" zusichern, besonders pikant. London, Paris und Berlin übernehmen damit nicht nur die Eskalationsstrategie von US-Präsident Donald Trump, sondern sie haben sich auch noch in die Hände des Hasardeurs Mohammed bin Salman begeben, der keinen Waffenstillstand eingehen kann, da dann seine Stellung innerhalb des saudischen Herrscherhauses gefährdet würde und der daher auf eine Ausweitung des Krieges auf den Iran setzt.
Zu wichtig ist für das deutsche Kapital Saudi-Arabien nicht als Rohstofflieferant, sondern als Anlageplatz, als dass man Riad im Regen stehen lassen würde. Allerdings hält sich die Bundeskanzlerin ein Hintertürchen offen. Während die Außenpolitiker der Union im Bundestag nach der Erklärung der uneingeschränkten Solidarität forderten, die deutschen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien wieder aufzunehmen, war es Angela Merkel, die das Waffenembargo gegen Riad verlängern ließ. Ein Erfolg sicher auch für DIE LINKE und die Friedensbewegung, die seit Jahren die Mitschuld der Bundesregierung an der von der saudischen Kriegskoalition zu verantwortenden größten humanitären Katastrophe unserer Zeit mittels Waffenlieferungen geißelt.
So werden zwar weiterhin deutsche Waffen, wie im Fall von Rheinmetall über Südafrika oder mittels Lizenzproduktionen in Saudi-Arabien für den Krieg bereitgestellt, dazu kommen die Genehmigungen bei Gemeinschaftsprojekten, aber seit dem 6. Juni 2019 sind an Saudi-Arabien keine deutschen Waffen direkt aus Deutschland geliefert worden, wie die Bundesregierung auf meine Anfrage am 26. September antwortete. Falls "MbS" scheitern würde und es einen Machtwechsel in der Königsdynastie gäbe, wäre damit sicher die Bundesregierung eine der ersten Adressen, um neue Bande für Rüstungskooperation, saudische Investitionen und deutschen Kapitalexport zu knüpfen.
Sevim Dagdelen ist stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
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