Entspannungspolitik auf Christlich
Vor dem 500. Jahrestag der Exkommunikation Luthers gibt es Bestrebungen, diese päpstliche Maßnahme offiziell zurückzunehmen, wenn die Lutheraner dafür Luthers Einstufung des Papstes als Antichrist widerrufen
Am 15. Juni 1520, vor bald 500 Jahren, drohte der damalige Papst Leo X. dem unfolgsamen Mönch Martin Luther mit der Bulle Exsurge Domine ("Erhebe dich, Herr") die Exkommunikation an, falls der seine "teils häretischen, falschen, ärgerlichen, für fromme Ohren beleidigenden oder für einfache Gemüter verführerischen […] Irrtümer" nicht binnen 60 Tagen widerrufen würde. Der Eislebener hielt trotz dieser Drohung an seinen Überzeugungen fest, schickte seine Schrift Von der Freyheyt eyniß Christen menschen nach Rom und verbrannte Exsurge Domine am 10. Dezember 1520 öffentlich. 24 Tage später, am 3. Januar 1521, exkommunizierte der Papst mit der Bulle Decet Romanum Pontificem nicht nur Luther, sondern auch dessen Anhänger.
Eine Exkommunikation bedeutet im scholastisch geprägten Katholizismus keinen Ausschluss aus der Kirche, sondern lediglich einen aus deren Gemeinschaft. Anders als in der frühen Neuzeit beschränken sich die Folgen so einer Maßnahme heute weitgehend auf das Verbot des Spendens und Empfangens von Sakramenten wie der Kommunion. Selbst die Kirchensteuer müssen Exkommunizierte theoretisch weiter zahlen, wenn sie sich nicht zu einem Schritt entschließen, der auch dieses Jahr wieder in einem Rekordumfang erwartet wird: den Austritt (vgl. Anteil der "Taufscheinkatholiken" steigt auf über 90 Prozent).
Nicht nur an Leo X. gerichtet, sondern an das Papsttum an sich
Nun haben Dorothea Sattler, die Direktorin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster, die Tübinger Dogmatikprofessorin Johanna Rahner, und knapp 30 weitere im Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises zusammengeschlossene katholische und lutherische Theologen einen Versöhnung nach 500 Jahren betitelte Vorschlag an die Öffentlichkeit gegeben, in dem sie den aktuellen katholischen Papst Franziskus darum bitten, die Bulle Decet Romanum Pontificemin zurückzunehmen.
Als Gegenleistung auf evangelischer Seite soll der Lutherische Weltbund Luthers Einstufung des Papstes als Antichrist widerrufen. Dieser Vorwurf, "dass der Papst [nach allem] was er lebt, tut, redet und bestimmt […], eigentlich jener Antichrist ist, den die Welt nach allgemeiner Mitteilung erwartet", hatte Luther bereits vor seiner Exkommunikation geäußert - in einem Brief vom 24. Februar 1520. Aber erst danach, im Frühjahr 1521, verbreitete er den Vorwurf in dem von Lukas Cranach illustrierten Druckwerk Passional Christi und Antichristi an eine größere Öffentlichkeit. Und dieser Vorwurf richtete sich nicht nur an Leo X., sondern an das Papsttum an sich. Sein Urteil, dass "gegen dessen Lug und Trug […] um des Heils der Seelen willen [...] alles erlaubt" sei, trug dazu bei, dass sich die Bevölkerung Deutschlands und Tschechiens im Dreißigjährigen Krieg um 20 bis 45 Prozent verringerte (vgl. Humanitäre Intervention als propagandistischer Normalfall).
"Wie Prellböcke"
Sowohl die Exkommunikation als auch die Einstufung als Antichrist stehen der Meinung des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises nach "wie Prellböcke" zwischen den ökumenischen Wiederannäherungsbemühungen. Das müssten sie der Ansicht des ehemaligen Kölner Ökumenepfarrers Hans-Georg Linknach aber gar nicht, weil die interkonfessionellen Gespräche, die in den inzwischen 55 Jahren seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stattfanden, dazu geführt hätten, dass man die Geschehnisse zu Beginn der Reformation heute anders betrachte als damals.
Eine offizielle Reaktion der Konfessionsführungen auf den Vorstoß aus Altenberg gibt es noch nicht. In der Vergangenheit hatte Kardinal Kurt Koch, der Präsident des päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, auf Fragen zur Exkommunikation Luthers hin stets darauf verwiesen, dass sich die Sache mit dem Tod des Reformators am 18. Februar 1546 ohnehin erledigt habe.
Bislang planen der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen und der Lutherische Weltbund zum 500. Jahrestag der Exkommunikation Luthers lediglich eine gemeinsame Gedenkveranstaltung mit einem Gebetsgottesdienst in Rom. Der soll nicht am 3. Januar, sondern am 25. Juni 2021 stattfinden - aber nicht aus Angst vor einem winterlichen Wiederaufflammen der Corona-Epidemie auf der italienischen Halbinsel, sondern weil die lutherischen Reichsstände an so einem 25. Juni Karl V. ihr Augsburger Bekenntnis überreichten. Das geschah allerdings erst 1530.
Die deutschen Bischöfe als Vertreter der Katholiken und der Lutheraner können zwar nicht für ihre gesamten Kirchen sprechen, aber nach Ansicht des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises trotzdem einen Beitrag leisten, indem sie sich zu einem "gemeinsamen öffentlichen Wort des Bedauerns über die damaligen Vorgänge [und] gegenseitigen Verurteilungen, die zur Kirchenspaltung geführt haben" zusammenfinden.
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