Entwicklungsmotor Handy
Immer mehr Menschen in armen Ländern nutzen die Mobilfunk-Technologie
Die Ausweitung des Mobilfunks setzt sich fort - dank der rasant zunehmenden Kundenzahlen in Entwicklungsländern. Laut den jüngsten Zahlen der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) werden nunmehr 60 Prozent aller Handy-Verträge in den Ländern des Südens geschlossen, Tendenz weiter steigend.
Der Nutzen der Mobilfunk-Technologie in armen Ländern - in denen die Festnetzverbindungen regelmäßig zusammenbrechen und die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin über keinen Anschluss verfügt - ist vielfältig: Absprachen sind leichter zu treffen, weite Wege- zwischen Bauern und Händlern, zwischen Städtern und ihren Verwandten auf dem Lande, zwischen Ärzten und Patienten - bleiben erspart. Auch Mobilfunk-Aktivisten und Hilfsorganisationen wissen den Handy-Boom zu nutzen: Via SMS lassen sich Aktionen verabreden und Nachrichten an einen möglichst breiten Adressatenkreis auch in abgelegenen Regionen übermitteln.
Der Handy-Boom in Entwicklungsländern führt zu ganz neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten gerade auch im informellen Sektor, in dem die Menschen ohne feste Anstellung ihr Überleben von Tag zu Tag selbst organisieren müssen.
So werden Mobiltelefone in Bangladesh, Uganda und Südafrika jetzt auch zu Bankdiensten genutzt - Wizzit heißt ein solcher neuer, erfolgreicher Dienst in Südafrika: Arme Südafrikaner, die mangels Kreditwürdigkeit bei gewöhnlichen Banken kein Konto besitzen, können mit einer Wizzit-Registrierung Geldbeträge per Handy überweisen.
Die „Mobil-Bank“ ist ganz auf die Bedürfnisse der armen Bevölkerungsgruppen ausgerichtet und funktioniert über eine prepaid-Karte, die von Straßenverkäufern, den so genannten WizzKids, verkauft werden. Eine Finanzzeitung hat sich bei den Machern von Wizzit informiert:
Wizzit funktioniert mit jeder Klasse von Handy. Allerdings hat es sich als notwendig erwiesen, die Kunden sorgfältig zu instruieren. "Unsere Wizzkids erteilen den Kunden direkte Beratung und stellen so sicher, dass die Kunden auch tatsächlich verstehen, wie diese Form des Bankings funktioniert.“
Der Markt sei groß, bilanziert die Zeitung, denn zwischen 12 und 16 Millionen Südafrikaner leben ohne eigenes Bankkonto, haben aber nach Schätzungen Millionen südafrikanischer Rand an Ersparnissen „unter dem Kopfkissen“ verwahrt. In nur einem Jahr (von 2005 bis 2006) hat die Wizzit Bank 50 000 von ihnen mit ihren Diensten erreicht.
Die enorme Kommunikationserleichterung via Handy hat mittlerweile auch die Entwicklungsexperten auf UN-Ebene überzeugt: Sie wollen die Bewohner der Milleniumsdörfer - das sind 79 ausgewählte Dörfer, in denen modellhaft Hunger und Armut beseitigt werden sollen - mit Handys ausstatten, beziehungsweise überhaupt erst an das Mobilfunknetz anschließen.
Die Experten erhofften sich eine „Verbesserung des Gesundheitswesens, der Bildung und einen Aufschwung der lokalen Wirtschaft“, berichtet BBC. Und per SMS sind selbst Flüchtlinge zu erreichen: Das Welternährungsprogramm (WFP) hat jüngst in einer gemeinsamen Aktion mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und dem Syrischen Halbmond Tausende von Textnachrichten an nach Syrien geflohene Iraker versandt, um diese über Hilfslieferungen zu informieren.
Es sei die erste Aktion dieser Art gewesen, berichtet ein WFP-Sprecher, doch es sei davon auszugehen, dass das WFP diese Technologie „in Zukunft immer öfter“ nutzen werde.
Der britische Mobilfunk-Aktivist Ken Banks weiß schon seit längerem, dass Handys auch von ärmeren Bevölkerungsschichten „überraschend oft“ genutzt werden - und zwar gerade auch, um Textnachrichten zu versenden, sagt der Mobilfunk- und Software-Experte:
”The breadth of use of SMS is staggering, and we have only just scratched the surface”, sagt Banks (was sich nicht so leicht übersetzen lässt, deshalb das englische Original), denn Textnachrichten erlaubten „Informationsaustausch und Kommunikation zu niedrigen Preisen selbst auf internationaler Ebene.” Weil zunehmend auch auch Nichtregierungsorganisationen auf das Potenzial der Mobilfunktechnologie aufmerksam werden, hat Banks eigens eine kostenlose Software entwickelt, die es den Organisationen erlaubt, Sammel-SMS zu verschicken und zu verwalten.
Greenpeace Argentinien gehört zu den besonders aktiven Nutzern solcher SMS-Dienste und mobilisiert darüber nicht nur zu Protestaktionen, sondern lässt sich auch zeitnah mit Informationen zur Waldzerstörung versorgen. So hat die Organisation an die Ältesten des Wichi-Volkes Handys samt Batterien verteilt, damit diese einen Alarm aussenden können, wenn wieder einmal - meist illegale - Rodungstrupps eintreffen. Oscar Soria, Kommunikationsdirektor von Greenpeace Argentinien:
SMS ist ein gutes Instrument, um mit lokalen Gemeinschaften in engem Kontakt zu bleiben, die abgelegen sind und nur wenig voneinander wissen. Wir haben ungefähr 50 Dorfautoritäten, die rund 10 000 Leute vertreten, mit Handys ausgestattet. Sobald wir Nachrichten über Waldzerstörungen erhalten, machen wir uns per Motorrad auf, um die Bulldozer zu stoppen. Wir blockieren sie mit Ketten und machen sie bewegungsunfähig.
Ähnlich geht die Organisation Ajedi Ka in der Demokratischen Republik Kongo vor. Sie unterhält per Mobiltelefon Kontakt mit Aktionskomitees in den Dörfern des Regenwaldes, um über Kindesentführungen Informationen zu erhalten.
Denn noch immer werden in im Osten Kongos Kinder von Milizen entführt, um sie als SoldatInnen und Sexsklavinnen einzusetzen. In 15 der 22 Dörfer der Region hat Ajedi Ka 5-köpfige Komitees (ein Lehrer, ein Verwaltungsangestellter, ein Ältester, ein Kirchenvertreter und ein Geschäftsmann) gebildet, die mit jeweils einem Handy ausgestattet sind, um damit die in der Bezirksstadt ansässige Organisation über Vorfälle informieren zu können.
Früher, berichtet Bukeni, der Initiator des Projektes“, war die Kommunikation mit dem Ajedi-Ka-Büro in Uvira mühselig, denn die Dörfer lagen weit entfernt und es gab keine Infrastruktur.
Die Mitglieder der Komitees fuhren mit dem Fahrrad nach Uvira, um ihre Berichte abzuliefern. Da waren oft Tage seit dem Überfall verstrichen. Obwohl auch heute die Verbrechen kaum einmal geahndet werden, setzt Ajedi Ka seine Arbeit fort und möchte mit Hilfe internationaler Geber das Pilotprojekt in Uvira auf andere Regionen ausdehnen: Die Welt soll wissen, was in seiner Region weiterhin an Menschen- und Kinderrechtsverletzungen geschieht.