Erdogan – einziger Freund Russlands und der Ukraine

Seite 2: Türkische Interessen

Nicht nur die Angst vor weiteren negativen Folgen führt dazu, dass die türkische Führung wegen des Ukrainekriegs das Verhältnis mit Moskau nicht komplett ruinieren will, auch wegen konfliktträchtiger Themen wie Syrien, Armenien-Aserbaidschan oder Libyen.

Die Türkei will etwa die russischen S-400 Flugabwehrraketen nicht aufgeben, trotz schon länger nervöser Reaktionen auf die Anschaffung aus den USA und der NATO. Die Türkei hatte sie genutzt, die Gegner aus Russland und dem Westen gegeneinander auszuspielen. Auch jetzt bezeichnete der türkische Innenminister Forderungen, die Luftverteidigungssysteme zurückzugeben als "dumm".

Trotz diesem doppelten Spiel und Zugeständnissen in Richtung Moskau erntet Ankara übrigens keine Kritik aus Kiew, etwa wegen fehlender Härte gegenüber Moskau, wie das bei westlichen Staaten gerne geschieht. Der Grund dafür ist die ukrainische Abhängigkeit von der Lieferung türkischer Bayraktar-Drohnen. Diese spielen eine große Rolle beim Kampf gegen russische Panzer.

Darüber hinaus befindet sich die Türkei in einer nahezu einzigartigen Vermittlerposition und könnte der Ukraine dabei helfen, Bedingungen für eine Einstellung der Feindseligkeiten zu vereinbaren.

Warum kommt es jedoch nicht bereits jetzt durch eine türkische Vermittlung zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine? Die Türkei ist immerhin das einzige Land, das zu beiden Kriegsparteien enge Beziehungen unterhält.

Maßgebliche Verhandlungen zwischen den beiden Krieg führenden Seiten fanden – leider erfolglos – im türkischen Antalya und Istanbul statt. Dabei machte die Ukraine auch Zugeständnisse beim Thema Neutralität und Verzicht auf atomare Bewaffnung bei Sicherheitsgarantien im Gegenzug. Nach den Verhandlungen in Istanbul erfolgte auch der Abzug der russischen Truppen aus den Regionen Kiew und Tschernigow.

Generell wird der Verhandlungsprozess durch die Ungewissheit des weiteren Vorgehens des Kremls und seiner generellen Ziele erschwert. Wenn russische Offizielle von "Entmilitarisierung und Entnazifizierung" der gesamten Ukraine sprechen, ist das etwas anderes als die "Befreiung" der Donbass-Region.

Ablenkung durch Diplomatie

Es ist offensichtlich, dass Moskau Diplomatie nur als Ablenkung nutzt, um zeitgleich seine Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen. Die gleiche Taktik wurde von der russischen Seite erfolgreich angewandt, in Syrien Assad an der Macht zu halten.

Misserfolge der russischen Armee führten dann zu einer Anpassung der Kreml-Positionen im Verhandlungsprozess, was die Beilegung des Konflikts weiter erschwerte. Gleiches gilt für die Kriegsverbrechen russischer Soldaten, insbesondere nördlich von Kiew. Gerade der Fall von Butscha, wo mehr als 300 Zivilisten ermordet worden sein sollen, haben auch nach türkischen Angaben jeden Verhandlungsprozess zwischen der Ukraine und Russland untergraben. Gleiches gilt für Putins Verweigerung eines persönlichen Treffens mit Selenskyj in der Türkei, das auf einen Vorschlag von Erdogan zurückgeht. Es ist offensichtlich, dass sich der Kreml mit nichts anderem als der Eroberung des Donbass begnügen wird.

Die Türkei behält dennoch generell ihre einzigartige geostrategische Position zwischen den Kriegsgegnern. Sie ist bereit, wie Erdogan feststellt, ein wichtiger Garant für die Sicherheit der Ukraine zu werden, obwohl er zeitgleich ein freundschaftliches Verhältnis zum russischen Präsidenten pflegt. Tatsächlich ist dieses besser, als das vieler anderer, und es bleibt eine Hoffnung, dass Putin auf diesem Weg überzeugt werden kann, das Blutvergießen in der Ukraine zu stoppen.