Erdogans militarisierte Außenpolitik irritiert den Westen
- Erdogans militarisierte Außenpolitik irritiert den Westen
- Raus aus dem atlantischen Raum
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Türkische Truppen sind in Somalia, Katar, Nordirak, Nordsyrien, Afghanistan, Nordzypern, Aserbaidschan und vor der Küste des Libanon stationiert
Man könnte es als ein gutes Zeichen nehmen, wenn die Türkei ihr neues Flugabwehrsystem ausgerechnet in Russland kauft. Denn einen Krieg zwischen dem atlantischen Bündnis und Russland erwartet aktuell offenbar niemand - sonst würde die Türkei, seit 1952 Mitglied der NATO, ja kaum beim künftigen Kriegsgegner einkaufen. Und Russland würde den feindlichen Soldaten wohl kaum Abwehrsysteme verkaufen.
Doch der NATO ist das dennoch zu viel der Annäherung, sie ist alles andere als erfreut, dass die Türkei dem russischen Flugabwehrsystem S-400 den Vorzug gibt. Denn erstens geht Rüstungskonzernen im Westen ein großes Geschäft durch die Lappen. Und zweitens sorgt man sich, ob die Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdogan einen neuen außenpolitischen Kurs verfolgen, nachdem das Land innenpolitisch immer mehr zur Erdogan-Diktatur verkommt.
Russland statt China
Über das Geschäft war schon länger diskutiert worden, aber jetzt hat Erdogan Nägel mit Köpfen gemacht: Eine Anzahlung sei geleistet worden, gab der türkische Präsident bekannt. Den Rest vergab Russland als Kredit. Damit gehen US-Rüstungskonzerne wie Raytheon und Lockheed Martin leer aus. Beide produzieren das Patriot-System PAC-3, das in der NATO gebräuchlich ist. Auch das französisch-italienisches Konsortium Eurosam hatte sich mit dem System Aster 30 SAMP/T um den Auftrag beworben, der mit rund 3 Milliarden Euro beziffert wird.
Ursprünglich wollte die Türkei das Abwehrsystem in China kaufen. Schon das war im Westen als unfreundlicher Akt gewertet worden. Die türkische Regierung argumentierte allerdings, das Angebot der chinesischen Precision Machinery Import-Export Corporation, die das System HQ-9/FD-2000 herstellt, sei günstiger, außerdem würde ein Teil der Produktion der Türkei stattfinden. Aus dem Geschäft wurde jedoch aus mehreren Gründen nichts: Das chinesische System genügte den technischen Anforderungen nicht, außerdem sperrte sich China dann doch gegen Technologietransfer in der Form, dass die Türkei an der Produktion beteiligt wird. Schließlich machte noch die NATO Druck, nicht in China einzukaufen.
Karten neu gemischt
Stattdessen kauft die Türkei nun in Russland. Ausgerechnet - Krim, Ostukraine, war da was? Beobachter können nur staunen, wie schnell sich die Karten wenden: Vor kurzem waren die Türkei und Russland noch tief verfeindet. Denn 2015 hatte die türkische Luftwaffe einen russischen Kampfjet über Syrien abgeschossen. Danach herrschte erst mal Eiszeit zwischen der Türkei und Russland. Moskau reagierte mit Sanktionen, die erst aufgehoben wurden, nachdem sich Erdogan am 27. Juni 2016 beim russischen Präsidenten Wladimir Putin entschuldigt hatte.
Jetzt ist also alles wieder gut und Erdogan wendet sich so schnurstracks Richtung Russland, dass es manchem im Westen unheimlich wird. So sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter neulich, mittelfristig werde sich die Türkei "von der Nato verabschieden". Die Türkei trete die atlantischen Werte inzwischen mit Füßen, kritisierte er. Und US-Generalstabschef Joseph Dunford nannte den Kauf des Flugabwehrsystems "besorgniserregend". Erdogan wies das umgehend zurück: "Warum? Jedes Land muss tun, was für seine Sicherheit nötig ist." Griechenland nutze seit Jahren das S-300-System. Dort stehen die Raketen seit 2007 auf Kreta.
Nach Einschätzung des ehemaligen türkischen Offiziers Metin Gurcan, Kolumnist bei Al-Monitor, ist es das Ziel Ankaras, bis 2025 eigene Abwehrsysteme zu bauen. Die türkische Roketsan, die zur Turkish Armed Forces Foundation gehört, arbeite deswegen mit der französisch-italienischen Firma Eurosam zusammen. Ob beim Kauf des russischen Flugabwehrsystems auch vorgesehen ist, die Türkei an der Produktion zu beteiligen, ist noch nicht bekannt.