Ergebnis mit Fragezeichen
Ob der Brüsseler Klimagipfel mehr als Symbolpolitik ist, muss sich erst zeigen
Für Angela Merkel war es wieder einmal ein Erfolg. Nach aufreibenden Nachtsitzungen konnte die EU-Ratspräsidentin am Freitagvormittag die Ergebnisse des EU-Klimagipfels in Brüssel vorstellen, die ganz ihren Vorstellungen entsprachen. Das Wichtigste für die Bundeskanzlerin war die Festlegung auf die magische Zahl 20. Die EU-Politiker sind die Verpflichtung eingegangen, bis zum Jahre 2020 die Treibhausemissionen um 20 % zu verringern. Wenn China oder die USA sich ebenfalls zu weitreichenden klimapolitischen Entscheidungen durchringen, könnte die Verringerung sogar noch 10% größer ausfallen.
Dass es sich bei diesen Vorgaben tatsächlich um ehrgeizige Ziele handelt, zeigt sich an folgendem Beispiel. Das Kyoto-Protokoll verlangt von der Europäischen Union, die CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2012, also in 22 Jahren, um acht Prozent zu senken. Die EU-Staaten haben aber bis zum Beginn des Jahres 2007 von dieser vereinbarten 8-Prozent-Senkung lediglich 1,2 Prozent erreicht. Nun sehen die Brüsseler Vereinbarung vor, dass die Mitgliedsstaaten der EU zwischen 2012 und 2020, also in acht Jahren, die Vereinbarungen von Kyoto um 12 Prozent übererfüllen sollen. Eigentlich scheint es ja paradox, sich neue ehrgeizigere Ziele zu stecken, wenn selbst die wesentlich bescheideneren Ziele, die bisher schon vereinbart waren, noch nicht einmal annährend verwirklicht sind.
Allerdings hat sich inzwischen etwas Grundlegendes geändert. Die Klimadebatte, bisher meist in Fachkommissionen und in Umweltorganisationen geführt, ist mittlerweile zum zentralen Thema für die Öffentlichkeit geworden. Längst hat eine Moralisierung der Debatte eingesetzt, wie es beispielsweise die Auseinandersetzung um die Verteuerung des Flugbenzins zeigt. Eine solche Maßnahme würde tatsächlich dafür sorgen, dass Flugreisen für große Teile der Bevölkerung wieder zu einem Luxus würden. Im Bereich der Klimapolitik wäre sie aber im wesentlichen Symbolismus und würde wenig an der CO2-Bilanz ändern. Ein grundlegender Umbau der industriellen Produktion, die tatsächlich Auswirkungen auf die Klimabilanz hätte, wird aber weiterhin in der Diskussion ausgeklammert. So sehen auch Kritiker im EU-Klimagipfel viel Symbolismus, konzedieren aber immerhin, dass es ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein kann.
Greenpeace moniert, dass das von Merkel gesteckte Ziel aber mehr vorgibt als einlöst. "Die EU hat sich völkerrechtlich verpflichtet, ihren Kohlendioxidausstoß bis 2012 um acht Prozent zu verringern. Für die nächste Verpflichtung, 20 Prozent Reduzierung bis 2020, zählen die zwölf neuen EU-Länder mit. Vor allem in den Ostländern ist aber allein durch den Zusammenbruch von Teilen der Wirtschaft bereits eine starke Kohlendioxidreduktion erfolgt. Dadurch hat die EU für das Jahr 2012 eine Verminderung von 15 Prozent geschenkt bekommen." Letztlich würde die Reduzierung nach Greenpeace auf 5 und nicht auf 20 Prozent hinauslaufen.
Erneuerbare Energie Atomkraft?
Denn bei allen Erfolgsmeldungen bleiben auch nach dem Klimagipfel viele Fragezeichen. Lange wurde um die Frage gerungen, ob es schwerpunktmäßig um die Förderung von erneuerbaren C02-armen Energien gehen soll. Im Kern ging der Streit darum, ob Kernenergie als Energieform ganz offiziell wieder als förderungswürdig erklärt werden soll. Dafür setzte sich vor allem Frankreich ein. Die Politiker des Landes argumentierten, dass sie durch den hohen Anteil an Atomkraftwerken schon zur Verringerung der C02-Emissionen beitragen würden und deshalb nicht einsehen, warum sie sich trotzdem für Wind-, Wasser- und Sonnenenergie und Biomasse einsetzen sollten.
Diese Lesart, die sicherlich auch beim Wirtschaftsflügel der CDU/CSU auf Zustimmung stößt, war für Merkel dann doch nicht akzeptabel. Man könne Atomkraft nicht einfach zu einer erneuerbaren Energie umtitulieren, erklärte sie mehrfach eine Selbstverständlichkeit. Aber allein, dass dieser Vorstoß unternommen wurde, ohne dass es einen Sturm der Entrüstung gegeben hat, zeigt, wie sehr die aktuelle Klimadebatte die entschiedenen Gegner der Atomkraftnutzung in die Defensive gedrängt hat. So können denn auch die AKW-Befürworter zufrieden mit dem Ergebnis des Gipfels sein. Erwartungsgemäß wurde die Atomkraft nicht zur erneuerbaren Energie deklariert, was auch niemand erwartet hatte. Aber der Kernkraft wurde auch bescheinigt, dass sie ihren Teil zur C02-Verringerung beitrage und bei dem Ziel der Reduzierung um 20 % sie Berücksichtigung finden könne.
EU-weit soll der Anteil der erneuerbaren Energie bis 2020 auf ein Fünftel steigen. Allerdings bleibt es jedem Land selber überlassen, wie hoch der Prozentsatz ist. Also kann auch Frankreich weiterhin auf Atomkraft als Mittel des Klimaschutzes setzen. Artig bedankte sich daher auch Präsident Chirac bei Angela Merkel für ihre geschickte Verhandlungsführung. Das Signal ist auch schon in der deutschen Politik angekommen. Der Bundesrat warnte als Reaktion auf die Brüsseler Vereinbarungen vor Belastungen für die Industrie und beharrte auf der Rolle der Atomkraft für den Energiemix.
Unterschiedliche Reaktionen in Osteuropa
Auch in anderen europäischen EU-Ländern wurde die Brüsseler Konferenz kritisch gesehen. In Tschechien und Polen wurde vielfach bemängelt, dass die Konzentration des Gipfels auf die Treibhausemissionen die Frage der Energiesicherung in den Hintergrund gedrängt habe. Dabei ging es um die Frage, wie die EU-Staaten mit etwaigem politischen und ökonomischen Druck des wichtigen Energielieferanten Russland umgehen soll (Russland, der Sieger mit dem schlechten Image).
In führenden tschechischen und polnischen Medien wurde der deutschen EU-Präsidentschaft unterstellt, wegen der guten Beziehung zu Russland, an diesem Thema wenig Interesse zu haben. Anders sah man das verständlicherweise in Russland. Dort wurde die Konferenz als Gift für die russischen Interessen interpretiert. Schließlich sei es für den Energielieferanten Russland günstiger, mit jedem Land einzeln Verträge zu schließen und sie auch notfalls gegenseitig auszuspielen. Ein europäisches Energiekartell hingegen könne solche Pläne konterkarieren. Ob es aber zustande kommt, ist angesichts der weiterhin divergierenden Interessen auch nach dem Brüsseler Gipfel keinesfalls sicher.
Allerdings ist unübersehbar, dass sich die EU mit der Klimafrage eine eigene Identität geben will. Man lobt sich selber für „den großen Durchbruch in der Klimapolitik“, der auch weltweite Signale setzen soll. Schon bisher galt es in der EU als chic, sich über die US-Regierung wegen deren Weigerung, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, zu ereifern. Dass allerdings unterhalb der Regierungsebene auch in den USA die Klimapolitik schon längst Thema ist ((Kein) Klimawandel in den USA) und mit Al Gore ein führender Politiker des USA die Debatte mit angestoßen hat, fällt dann gerne unter den Tisch.