Russland, der Sieger mit dem schlechten Image
Mit dem aggressiven Einsatz seiner Energieressourcen versucht Russland, wieder zur Weltmacht zu werden
Gerade mal eine Woche nach dem Gasstreit brach wieder ein Konflikt zwischen Russland und Weißrussland aus, wobei es diesmal ums Öl ging. Wie im Gasstreit ging Russland erneut als Sieger aus dem Streit hinaus. Doch moralisch ist Russland der Verlierer dieser Konflikte, die es mit der Politik der letzten Jahre selbst verschuldet hat. Russland gilt seitdem noch mehr als ein Staat, der sich nicht scheut, seine Energielieferungen als Waffe anzuwenden. Auch sein Image als zuverlässiger Geschäftspartner hat enorm Schaden genommen, nachdem Moskau den Ölhahn zugedreht hat, ohne seine Geschäftspartner in Europa zu warnen.
Ihren Namen 'Druschba' (russ. Freundschaft), scheint die durch Weißrussland verlaufende Pipeline, mit der Russland Deutschland und andere Staaten der Europäischen Union mit Öl versorgt, seit Donnerstag, dem 11. Januar erneut mit Recht zu tragen - das Öl fließt wieder. Zwischenzeitlich sah es jedoch anders aus. Für drei Tage war die Pipeline nicht mehr als ein vertrocknetes, durch Osteuropa verlaufendes Röhrenwerk.
Am Montag, den 8. Januar, drehte Russland den Ölhahn zu. Die Gründe für die Maßnahme waren vielfältig. Weißrussland zapfte aus den Rohren Öl ab und verlangte zudem seit Anfang des Jahres eine Transitgebühr von 45 Dollar pro Tonne Rohöl. Mit der Einführung der Transitgebühr reagierte die Regierung in Minsk auf den doppelten Gaspreis, den Weißrussland seit Anfang des Jahres an Gasprom zahlen muss, sowie für den Verlust von Beltransgas, der weißrussischen Gaspipelinegesellschaft.
Bei den Verhandlungen in Moskau konnte Gasprom für 2.5 Milliarden Dollar den Weißrussen die Hälfte von Beltransgas abnehmen – anders hätte Weißrussland den neuen Gaspreis auch nicht bezahlen können. Doch die Gaspolitik Russlands war nicht allein ausschlaggebend für die Einführung der Transitgebühr. Auch ein von Moskau neu eingeführter Schutzzoll für nach Weißrussland verkauftes Rohöl schadete der weißrussischen Wirtschaft, da gerade die Verarbeitung und der Weiterverkauf von russischem Öl für Weißrussland die wichtigste Einnahmequelle war (Russische Politik mit Zuckerbrot und Peitsche).
Wie schon beim Gasstreit wurde auch der Ölstreit durch mehrere Delegationsbesuche beigelegt. Weißrussland hob die Transitgebühr auf und im Gegenzug senkte Moskau den Exportzoll von 180 Dollar pro Tonne Rohöl auf 53. Falls Weißrussland aber das weiterverarbeitete Öl verkaufen sollte, muss es die ursprünglichen 180 Dollar an den Bruderstaat zahlen. Mit dieser Regelung ist Russland der große Gewinner des Ölstreits. Es muss keine Transitgebühr an Weißrussland zahlen und gleichzeitig zwingt es den östlichen Nachbar, das russische Rohöl nur für eigene Zwecke zu verarbeiten, denn mit jedem Weiterverkauf wäre der Gewinn für die Weißrussen zu niedrig. Ein Coup, der die eigenen russischen Raffinerien vor billiger Konkurrenz schützt und stärkt.
Doch egal wie groß nun der wirtschaftpolitische Erfolg ist, moralisch ist Russland als der Verlierer aus den Streitigkeiten mit Weißrussland hervorgegangen. Vor allem das Ansehen als zuverlässiger Geschäftspartner hat im Westen starken Schaden genommen. Dafür ist Russland aber selbst verantwortlich, denn sowohl den Gasstreit mit der Ukraine im Winter 2005/2006 als auch die aktuellen Probleme mit Weißrussland hat Moskau mit seiner Politik der letzten Jahre selbst verschuldet.
Russlands Strategie, zu einer Weltmacht zu werden
„Russland soll wieder eine Weltmacht werden“, sagte Wladimir Putin zu Beginn seiner Amtszeit im Jahre 2000. Im Westen wurden diese Worte damals noch leise belächelt, doch der geschundenen russischen Seele taten sie gut. Schon die baldige Wiedereinführung der alten sowjetischen Hymne, lediglich mit neuem Text, stieß bei der Mehrheit der Russen auf Zustimmung. Gleichzeitig symbolisierte dieser Schritt, in welche Richtung die außenpolitischen Ambitionen des russischen Präsidenten verstärkt gehen sollten. Russland wollte die Staaten der ehemaligen Sowjetunion fester an sich binden und seine Vormachtstellung innerhalb der GUS ausbauen.
Die Mittel, mit denen Russland wieder eine Weltmacht werden sollte, waren jedoch begrenzt. Militärisch war und ist Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine Supermacht mehr. Zwar hat Moskau in mehreren Staaten der ehemaligen Sowjetunion Truppen stationiert, unter anderem in Moldawien, an der ukrainischen Schwarzmeerküste und in Georgien, die gelegentlich auch ihre Muskeln spielen lassen, doch die Armee ist nicht mehr so schlagkräftig wie einst in den glorreichen Zeiten der Sowjetunion. Nicht einmal in Tschetschenien konnte Russland einen Sieg davontragen, obwohl der zweite Tschetschenienkrieg schon seit 1999 andauert.
Eine der wenigen effektiven Möglichkeiten, die dem Kreml noch blieb, um seine Vormachtstellung innerhalb der Ex-Sowjetunion auszubauen, war die Wirtschaft. Die russische Schwerindustrie hat in der ersten Transformationsperiode von 1992-1998 zwar enorm an Bedeutung verloren, in erster Linie die Sektoren Rüstung und zivilverarbeitende Industrie, doch dafür entwickelte sich der Export von Rohstoffen und Energieträgern zur wichtigsten Einnahmequelle, welche die russische Wirtschaft stützte. Eine Tatsache, die sich bis heute nicht besonders verändert hat. Doch im Unterschied zu den ersten Jahren der Transformationsphase sind die heutigen Preise für Energieträger enorm gestiegen, so dass Russland sogar seine Auslandskredite abbezahlen konnte und mittlerweile auch im Westen investieren kann.
Mit billigem Öl und Gas, den für Russland so wertvollen Exportgütern, subventionierte Moskau die meisten Staaten der ehemaligen Sowjetunion und versuchte sie somit an sich zu binden. Eine Politik, die teilweise Früchte trug, auch dadurch bedingt, weil Russland für die meisten Staaten der GUS der wichtigste Handelspartner war und ist. Die Außenpolitik der Ukraine war unter Leonid Kutschma immer ein Spagat zwischen Europa und Russland, da sich Kiew aufgrund seiner Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen niemals einen eigenen Weg erlauben konnte. Anders dagegen Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Dieser suchte die Nähe zu Russland und sprach sogar von einer Wiedervereinigung mit dem großen Bruder, was dem Kreml gefiel. Schon unter Boris Jelzin bildeten beide Staaten eine Zollunion, zudem subventionierte Russland seinen westlichen Nachbar mit jährlich 4 Milliarden Dollar.
In den letzten Jahren verlief die politische Entwicklung in vielen ehemaligen Staaten der Sowjetunion jedoch nicht nach den Vorstellungen Moskaus. In der Ukraine fand 2004 die Orangene Revolution statt, die einen westlichorientierten Viktor Juschtschenko in das Präsidentenamt hievte. Auch Georgien wendete sich immer mehr von Russland ab (Kalter Krieg auf postsowjetisch) und mittlerweile erwies sich auch der weißrussische Despot Alexander Lukaschenko als ein unzuverlässiger Partner.
Dass Russland nach dieser Entwicklung kein Interesse mehr hat, diese Staaten mit billigen Öl und Gas zu subventionieren, ist durchaus verständlich. Auch Staaten des Westens würden es nicht tun. Problematisch ist aber die Art und Weise, mit der Russland seine Wirtschaftspolitik gegenüber seinen Nachbarn nun ändert. Genau ein Jahr, nachdem in der Ukraine der Machtwechsel stattfand, verlangte der staatliche Gasmonopolist Gasprom von der Ukraine einen höheren Preis. Schnell wurde der verdacht geäußert, Russland habe nur wegen der Orangenen Revolution den Preis erhöht. Kiew weigerte sich zunächst und gab schließlich doch nach, als Moskau mitten im Winter den Gashahn zudrehte (Russland sitzt am längeren Hebel).
Das Gleiche wiederholte sich nun mit Weißrussland. Auch hier suchte sich Moskau die kälteste Jahreszeit des Jahres aus, um von Weißrussland zunächst den vierfachen Preis zu verlangen – wohlwissend, dass Weißrussland diesen Preis nicht aufbringen kann. Als Kompromiss schlug Gasprom 100 Dollar pro Kubikmeter vor und die Hälfte von Beltransgas. Minsk weigerte sich zunächst, gab am Ende dann aber doch nach und verkaufte die Hälfte seiner Gaspipeline für 2.5 Milliarden Dollar an die Russen.
Einige Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben aus diesem Verhalten schon Konsequenzen gezogen und nach neuen Gaslieferanten gesucht. Die Ukraine importiert einen Teil seines Gases aus Turkmenistan. Auch Georgien hat sich nach einem neuen Gaslieferanten umgesehen – nicht ohne Grund. Im Oktober, als der Streit zwischen Georgien und Russland seinen Höhepunkt erreichte, ausgelöst durch die Verhaftung russischer Offiziere in Tiflis, drohte Moskau dem kaukasischen Staat offen mit einem Lieferungsstopp, falls sich das georgische Verhalten gegenüber Russland nicht ändert. Um dies zu vermeiden, schloss Georgien kürzlich einen Liefervertrag mit Aserbeidschan ab.
Imageschaden für Russland
Es ist die Aggressivität, die im Westen für Unbehagen sorgt, da man hier weiß, wie abhängig man von Russlands Rohstoffen ist. Allein 25 Prozent seines Ölbedarfs deckt die EU mit russischen Öl ab. Der Anwalt des inhaftierten Oligarchen Chodorkowski, Robert Amsterdam, warnte bereits vor einer zu starken Energieabhängigkeit von Russland mit den Worten: „EU darf nicht zu Weißrussland werden.“ Die Politik teilt diese Bedenken, äußert diese aber diplomatischer. Außenminister Steinmeier plädierte für einen Energie-Dialog mit Russland, um eventuelle Streitigkeiten, die der hiesigen Wirtschaft schaden könnten, zu vermeiden. Der Bundeskanzlerin Angela Merkel ist diese Gefahr ebenfalls bewusst. Sie appellierte an Russland und Weißrussland, den Streit so schnell wie möglich beizulegen und suchte nach eigenen Alternativen. Dabei forderte sie, den Atomausstieg noch einmal zu überdenken (Uran in den Tank?).
Mit der kurzzeitigen Einstellung des Ölexports, schadete Russland aber auch seinem Image als zuverlässiger Geschäftspartner. Ohne seine Vertragspartner vorher zu informieren, stoppte Russland den Ölexport. Es waren polnische Presseagenturen, die zuerst den Lieferstopp vermeldeten, mit dem Verdacht, dass Weißrussland für die Stilllegung der Pipeline verantwortlich ist. Erst im Verlauf des Montags gab Moskau bekannt, selber den Ölhahn zugedreht zu haben.
Für die russische Wirtschaft war dieser Schritt nicht gerade werbeträchtig. Dabei ist ihr Image schon jetzt ziemlich schlecht. Als bekannt wurde, dass Gasprom neuer Hauptsponsor von Schalke wird, ging ein Aufschrei durch die Republik, der sich hierzulande auch dann immer wieder wiederholt, wenn russische Investoren auf den deutschen Markt drängen.
Welchen Imageschaden die bisherige Wirtschaftspolitik haben kann, scheint Moskau wohl langsam zu verstehen. Gasprom beauftragte die amerikanische Werbefirma PBN Company, für ein besseres Image in Westeuropa zu sorgen. Zudem sucht man in Moskau auch nach alternativen Transportwegen in den Westen, um Streitigkeiten mit den Transitländern aus dem Weg zu gehen. Eine Idee ist unter anderem der Schifftransport durch die Ostsee. Doch diese Suche nach alternativen Transportwegen kommt vielleicht zu spät, denn mit der bisherigen Energiepolitik gegenüber seinen Nachbarn hat Russland sich schon zu sehr geschadet.