Erinnern für Gegenwart und Zukunft
Schülerwettbewerb "Im Dialog für Toleranz"
Auf der Frankfurter Buchmesse hatte der Cornelsen-Verlag die bemerkenswerte CD-ROM "Erinnern für Gegenwart und Zukunft" (Frankfurter e-Buchmesse 2000) vorgestellt. In kleineren Filmbeiträgen schildern Überlebende ihre persönlichen Erfahrungen während der Zeit des Holocausts. Ein Schülerwettbewerb bietet jetzt allen Schulen die Chance, sich engagiert mit der CD-ROM und dem Thema auseinander zu setzen.
Geschildert werden nicht die Gräueltaten der Nationalsozialisten, sondern die beiden Haupterzähler der CD-ROM Erinnern für Gegenwart und Zukunft erzählen aus dem Alltag zur Zeit des Holocausts. Mit diesem interaktiven biografischen Ansatz will die CD Geschichte zu einem Gegenstand erfahrbarer Erlebnisse machen. Vor der Kamera sitzen jüdische Mitbürger, die als lebende Zeitzeugen - und von ihnen gibt es immer weniger - ein authentisches Abbild ihres Schicksals geben können. Besonders die Stiftung Survivors of the Shoah Visual History hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust aufzuzeichnen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch die Biografien wird die NS-Geschichte mit persönlichen Schicksalen eng verknüpft und bildet nicht nur ein paar Zeilen in den Geschichtsbüchern ab. Durch Bild- und Tondokumente wird der Holocaust auch als Einzelschicksalsschlag erkennbar.
Schülerwettbewerb "Im Dialog für Toleranz"
Mit dem Schülerwettbewerb "Im Dialog für Toleranz", der unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Johannes Rau steht, wollen die Veranstalter Projekte initiieren, "die dem Engagement gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus neue Impulse geben. Ausgelobt werden 12.000 DM Preisgelder. Die Preisverleihung wird Steven Spielberg am 30. September in Berlin höchst persönlich vornehmen. Paten des Schülerwettbewerbs sind Mola Adebisi, Dr. Michel Friedmann, Thomas Gottschalk, Dr. Annette Schavan sowie Jasmin Tabatabai. Eingesandt werden sollen nur bislang unveröffentlichte Arbeiten. Ziel ist es, die Schüler zu Gesprächen mit Menschen zu bewegen, die Erfahrungen mit Ausgrenzung und Intoleranz gemacht haben beziehungsweise für Toleranz eintreten. Mit diesem Austausch will man mit dazu beitragen, dem alltäglichen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland entgegenzuwirken.
Die Bewertung der Arbeiten wird von einer unabhängigen Jury vorgenommen, deren Vorsitz der Historiker Prof. Dr. Peter Brandt übernommen hat. Auf Anregung von Telepolis wird dort sehr wahrscheinlich auch ein Schülervertreter seinen Platz finden. Der Wettbewerb läuft noch bis zum 30. Juli 2001.
Chat mit einer Patin des Schülerwettbewerbs
Zum Start des Schülerwettbewerbs während der Bildungsmesse 2001 in Hannover stand die Patin Jasmin Tabatabai im Chat Rede und Antwort. Die Sängerin und Schauspielerin ist 1969 als Tochter eines Iraners und einer deutschen Mutter im Iran geboren worden. Seit 1979 lebt sie mit ihrer Familie in Deutschland. Einen offensiven Rassismus hat sie nur selten erlebt, engagiert sich aber dennoch temperamentvoll für den Wettbewerb. Der moderierte Chat wurde vom Cornelsen Verlag, der Shoah Foundation und politik-digital durchgeführt. Die Fragen wurden von Schülern und Schülerinnen des Lippe-Berufskollegs Lippstadt vorbereitet..
Auszüge:
joe: Hallo Frau Tabatabai! Würden Sie Deutschland als ausländerfeindliches Land bezeichnen? Auch im Vergleich mit anderen Ländern...
JasminTabatabai: Nein, überhaupt nicht. Ich wünsche mir nur manchmal, die Deutschen würden sich selber mehr lieben... Und ich meine damit kein dumpfes "ich bin stolz ein doitscher zu sein" oder so'n Kack. Sondern ein gesundes liebevolles Verhältnis zu dem Land, in dem ich lebe. Es gibt auch viele schöne Sachen an Deutschland.
rockstar: Viele Künstler engagieren sich gegen Rechts. Das finde ich klasse! Aber hast Du nicht manchmal Angst, gerade dann Zielscheibe von Rechten zu werden?
JasminTabatabai: Nö, ich habe vor diesen Dumpfbacken keine Angst. Es gibt schließlich genügend vernünftige Deutsche.
BattleofEvermore: Ist es Deiner Meinung nach wichtiger an Vergangenes zu gedenken, oder vielmehr eine Basis für die zukünftigen Generationen zu schaffen?
JasminTabatabai: Du kannst eine Basis nur schaffen, wenn Du weißt, wer Du bist. Und um zu wissen, wer Du bist, musst Du Deine eigene Geschichte kennen. Es geht hier nicht um Schuld und Scham. Natürlich ist kein Deutscher aufgrund seiner Herkunft schuldig. Aber wir haben nun mal eine ganz spezielle Geschichte und es ist sehr wichtig, dass wir uns damit auseinander setzen, dass wir sie auch annehmen. Sonst laufen wir Gefahr, wieder dieselben Fehler zu machen. Wenn wir unsere Vergangenheit richtig verarbeitet hätten, hätten wir heute das Problem mit den Neonazis nicht. Dann wären seit 1990 nicht 93 Menschen an Folgen von rechtsradikalen Übergriffen gestorben und würde die CDU auch keine Wahlen gewinnen - mit Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder absurden Diskussionen um Schwachsinnsbegriffe wie "Deutsche Leitkultur".
Der vollständige Text des Chat findet sich u.a. bei politik-digital.
Ausgegrenzt?
Der Wettbewerb eröffnet tatsächlich neue Chancen, dass sich Schüler dem Thema Holocaust durch biografische Erfahrungen intensiv nähern. Doch die beschriebenen Projektideen bieten ausschließlich die Chance, sich mit Opfern und Vorbildern engagiert auseinander zu setzen. Sie öffnen keine Türen und schließen nicht den rechtsgesinnten Jugendlichen ein. Solche Projekte dienen der Abgrenzung und nicht der Integration. Es bleiben Worthülsen und Absichtserklärungen. Auch Jasmin Tabatabai ist nicht frei von solchen ausgrenzenden Erklärungen. Auf der Bildungsmesse lobte sie das Projekt mit den Worten "Verdrängen ist der Nährboden für dumme Gedanken." Schade eigentlich, denn Jasmin Tabatabai spricht eine erfrischend offene Sprache, die bei Jugendlichen ganz sicher Gehör findet.
Am Schluss des Chats zeigen sich dann auch die wahren Interessen der Schüler aus Lippstadt. Doch darf man gerade die rechts angehauchten Jugendlichen nicht vollständig isolieren und muss ihnen immer wieder die Hand und die Möglichkeit zu konstruktiven Diskussion reichen. Wie sonst kann man sie vor dem endgültigen Abgleiten in rechtsextremistische Gruppierungen bewahren? Der alltägliche Rassismus beschert uns immer noch Fragen bei Stammtischdiskussionen wie "Warum darf man nicht mehr sagen, ich bin stolz, ein Deutscher zu sein?" Mit solch einfachen Phrasen wird der alltägliche Rassismus nach wie vor genährt und wir alle sind aufgefordert, ebenso klare Antworten zu geben. Dabei nützt in dieser Auseinandersetzung keine intellektuelle Herangehensweise etwas, sondern wir müssen demokratische Standpunkte in ebenso einfache Phrasen verpacken können.
Dennoch ist der Schülerwettbewerb uneingeschränkt zu begrüßen, denn er verschafft allen Schülern die Möglichkeit, sich mit den Erlebnissen von Zeitzeugen kritisch zu beschäftigen. Der Wettbewerb bietet unter anderem auch die Chance, dass alle beteiligten Schulen eine kostenlose Schullizenz der CD-ROM erhalten. Wenn es nun noch die Wettbewerbsteilnehmer schaffen, wirklich jugendgerechte und langfristige Projekte zu installieren und die akademische Jury es auch begreift, dass unbedingt ein Schüler dort sitzen sollte, dann können die daraus resultierenden Projekte zu einer festen Institution in den jeweiligen Schulen werden.