Erlebniswelt des Shoppens – ade?
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Wie Online-Handel und Covid-19 die Innenstädte in die Zange nehmen
Vom US-Regisseur und Komiker Woody Allen stammt der schöne Satz:
Ganz ohne Frage gibt es eine Welt des Unsichtbaren. Das Problem ist, wie weit ist sie vom Stadtzentrum weg, und wie lange hat sie offen?
Das Bonmot ist durchaus hintergründiger, als es zunächst den Anschein hat. Da muss man nur an die scheinbar ewig währende Karstadt-Krise denken: Der stetig steigende Online-Handel erhöhte bereits in der Vergangenheit den Druck auf die Einzelhandelslandschaft in deutschen Städten.
Und Covid-19 setzt nun diesbezüglich noch einen drauf. Viele Zentren offenbaren sich derzeit als öde Verkettung von Straßenfluchten mit magerem Anregungspotential und spärlichen Aufenthaltsqualitäten. Insbesondere die Altstädte mit ihren palimpsestartigen historischen Schichtungen, einer heterogenen Kleinteiligkeit von Kiez-Kulturen, mit vielfältigen Konsum-Offerten des Einzelhandels, mit internationalen Verköstigungsoptionen und leicht chaotisch daherkommenden Überraschungen des Stadtlebens erscheint nun wie ausgedörrt.
Blicken wir kurz zurück: Seit jeher entfalten sich Märkte innerhalb der Stadtmauern und lassen Siedlungen wie Wohlstand sprießen, bildeten Läden und Geschäfte den Kern des urbanen Gewebes. Das gesellschaftliche und ökonomische Umfeld verändert sich allerdings in den letzten Dekaden empfindlich. Lebte früher eine Stadt von ihrem Handel und Gewerbe – jeder konnte dies täglich erspüren und sehen, Erfolg und Verlust gingen ihn unmittelbar an –, hat sich dies heute stark gedreht.
Das Urbane ist nur noch bedingt der zentrale Handelsplatz. Mehr noch: es scheint sogar eine erhebliche Entfremdung zwischen Stadt und Handel zu geben, weil sich die betriebswirtschaftliche Logik nicht mehr mit den alten Argumenten der Stadtentwicklung deckt. Der Markt nutzt die Stadt als bloße Plattform, ist regelmäßig aber kaum Willens, ihr etwas zurückzugeben. Und dennoch bestimmte bis vor kurzem das Shopping das Aussehen der Städte in einem nie dagewesenen Maße. Zeig mir wo du kaufst, und ich sag dir, wer du bist, hieß es lange.
Shopping bemächtigte sich der Stadt
Der renommierte Stadttheoretiker Rem Koolhaas behauptete sogar, dass das Shopping in unserer Gesellschaft die letzte verbliebene "öffentliche Handlungsweise" darstelle, eben weil der öffentliche Stadtraum von Kaufmechanismen geregelt und alle anderen Bereiche urbanen Lebens vom System des Kaufens und Warenverkaufs verdrängt werden. Das mag überzeichnet, vielleicht auch schon wieder überholt sein, weil die virtuellen Welten völlig unbeachtet bleiben.
Gleichwohl darf man festhalten: Seit aus dem Einkauf für den täglichen Bedarf die gängige Freizeitbeschäftigung "Shopping" geworden ist, bemächtigte es sich mehr und mehr der Stadt. Das ging Hand in Hand mit architektur-typologischen und stadträumlichen Innovationen: der Passage, der Fußgängerzone, den Centern und Malls. Doch in einer irrwitzig schnelllebigen Konsumwelt verändern sich auch die als hipp und verkaufsfördernd angesehenen Bühnen.
Wo das Produkt beinahe zur Nebensache wird, braucht es Erlebniswelten und verkaufsfördernde Atmosphäre, was sich in ständig wechselnden baulichen Wünschen und Anforderungen an die City niederschlägt. Oft genug wird gerade noch die Eröffnung eines schillernden Konsumtempels gefeiert, während drei Straßen weiter der kurz zuvor noch gefeierte Showroom bereits wieder leerzufallen droht. Während die Märkte ein für Städte ungesundes Tempo vorgeben, bleibt dem Städtebau immer öfter nur noch, das Aufräumen zu organisieren.
Das gilt heute mehr denn je. Befeuert durch das Virus und seine Implikationen, steckt der stationäre Einzelhandel in Deutschland mitten im wohl größten Umbruch seiner Geschichte.
Der traditionelle Ladenverkauf in den Einkaufsstraßen wird weiter geschwächt; dies wird Hand in Hand gehen mit dem Rückgang lokaler Dienstleistungen hin zu denjenigen Anbietern, die weiträumig agieren. Der Handelsverband Deutschland (HDE) geht von 50.000 Geschäften aus, die durch die Corona-Pandemie schließen müssen.
Zugleich offenbaren Shoppingmalls und Kaufhäuser aktuell einen erheblichen Anpassungsbedarf: Die großen, meist in zentralen Lagen der Innenstädte gelegenen Kaufhausfilialen (Karstadt, Kaufhof) und große Filialisten (u.a. C&A, Runners Point, Sport Scheck, Zara) stehen unter Druck. Und Deutschlands größer Shoppingmall-Betreiber ECE kündigte im Sommer 2020 sogar an, keine weiteren Malls mehr zu bauen.
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