Erlebniswelt des Shoppens – ade?

Seite 2: Anhörung im Bundestag: Sorge vor Verödung der Ortskerne

Bei der Bundestagsanhörung am 14. Januar dieses Jahres zur Zukunft der Innenstädte zog sich durch alle Stellungnahmen der Sachverständigen die Sorge, dass der ohnehin laufende Veränderungsprozess in den Stadtzentren durch den zunehmenden Onlinehandel verstärkt wird und eine Verödung der Ortskerne droht.

Durchgängig wurde als Gegenrezept eine vielfältigere Nutzung, etwa mit Handwerksbetrieben und Kultur, genannt. Neben dem Umstand, dass viele Innenstädte tatsächlich in den letzten Jahren eher zu "Shoppingtunneln" geworden seien, stellten auch überzogene Mieterwartungen der Immobilieneigentümer ein Teil des Problems dar.

Thomas Krüger, Professor für Stadtplanung an der Hafencity-Universität Hamburg, geht davon aus, dass der Markt die durch Corona verschärften Probleme der Innenstädte nicht lösen könne, "im Gegenteil". Es sei eine "orientierende, ordnende und unterstützende Hand gefragt". Das müssten insbesondere die Kommunen sein, die den zu erwartenden vermehrten Leerständen durch kurzfristige Zwischennutzungen entgegenwirken müssten.

Also, alle Zahlen ebenso wie die augenscheinliche Alltagserfahrung deuten darauf hin, dass man sich in vielen Lagen – vor allem auch in den Klein- und Mittelstädten – von der bislang prägenden Präsenz des Einzelhandels verabschieden muss. Diese Erkenntnis ist vor allem deshalb schmerzlich, weil es an positiven Zukunftsbildern fehlt: Gerade weil unsere Vorstellung von einer attraktiven, florierenden Innenstadtstraße so sehr vom Einzelhandel geprägt ist, fehlt es an Alternativen.

Ideen für Umgang mit leerstehenden Handelsflächen

Was es braucht, sind Anregungen, Handlungsoptionen und Zukunftsbilder für die Umnutzung leerstehender Handelsflächen in unseren Städten. Könnte in einer neuen Art von Herstellung eine Antwort liegen? Wie vielfältig und vital wären unsere Innenstädte, wenn in ihnen nicht nur Produkte verkauft, sondern einige direkt produziert würden? Die Schaffung neuer Produktionsstätten in unmittelbarer Nähe zu bestehenden Handels- und Dienstleistungsbereichen erfordert eine funktionale Neuausrichtung leerstehender Handelsflächen.

Insbesondere in Klein- und Mittelstädten, aber auch in den Nebenstraßen größerer Innenstädte sowie Blockinnenbereichen von Einkaufsstraßen lohnt sich diese Umnutzung. So mag die kleine Manufaktur (z.B. Kaffeerösterei), der Handwerksbetrieb und neue lokal verankerte Ökonomien für ein vitales Stadtzentrum sorgen.

Für den Produktionsstandort Innenstadt spricht das "kreative" Arbeitskräftepotenzial und die Kundennähe, die Nähe zu Hochschulen, ein attraktives Umfeld mit hoher Aufenthaltsqualität und Repräsentativität, die mögliche Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten, vorhandene technische und soziale Infrastrukturen, gute Erreichbarkeit und kurze Wege.

Möglich ist die urbane Produktion dann, wenn sie in einer stadtverträglichen Form stattfindet, also durch emissionsarme und ressourceneffiziente Produktions- und Transportweisen gekennzeichnet und kompatibel zu umliegenden Nutzungen und Funktionen ist.

Gleichzeitig ist klar: Die vorhandenen Gebäude werden sicher nicht alle ausgetauscht werden – der Umbau und die Anpassung der vorhandenen Strukturen wird neben den strategischen Überlegungen zu einer Hauptaufgabe. (Durchaus bemerkenswert dabei: Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft im Jahr 2020 in eine tiefe Rezession gestürzt. Der Bausektor ist dabei die einzige Branche, die keine Schrumpfung hinnehmen musste. Hier schlummert mithin ein volkswirtschaftliches Potential, das es für solche Fragen zu heben gilt.)

Solche Einsichten mögen bitter sein, doch nützt es nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Wenn nun manche Immobilieninvestoren und Projektentwickler unverdrossen die Attraktivität und Notwendigkeit der Innenstadt als Handelsort predigen, dann bleibt offen, ob es nicht nur darum geht, ihr Geschäftsmodell und ihre hohen Mieten zu retten.

Innovative Nutzungskonzepte sind vonnöten

Vermutlich wird der Aufstieg von Ladenketten bzw. Filialen unter der Prämisse der Konsolidierung und Zentralisierung fortschreiten. Wenn nun Immobilieninvestoren und Projektentwickler weiterhin die Attraktivität und Notwendigkeit der Innenstadt als Handelsort predigen, dann bleibt offen, ob es nicht nur darum geht, ihr Geschäftsmodell und ihre hohen Mieten zu retten. Jedenfalls werden all diese Verschiebungen mit raumbezogenen Auswirkungen einhergehen, was freilich auch höhere Leerstandsquoten impliziert.

Akut sind deshalb innovative Nutzungskonzepte vonnöten, insbesondere für peu-á-peu "sterbende" Warenhäuser. Wie können durch experimentelle Formate – temporäre Lösungsansätze, kreatives Leerstandsmanagement – Innovationsprozesse unterstützt werden?

Wären Erdgeschosse, die jüngst noch Läden oder Restaurants beherbergten, nicht geeignet, um gemeinschaftliche Einrichtungen aufnehmen? Und welche Finanzierungs- und Trägerschaftsmodelle bräuchte es dafür?

Die – offene – Frage nach der Zukunft des Einzelhandels unterstreicht auf’s Neue, dass die Stadtentwicklung stets auch von immobilienwirtschaftlichen Erwägungen und Interessen geprägt ist. Beispielsweise wurde bei der Citybildung im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine ökonomisch geringerwertige Nutzung – also vor allem das Wohnen – durch eine höherwertige Nutzung, das waren Handel und Verwaltung, aus den Stadtzentren verdrängt.

Das wiederum löste begreiflicherweise erhebliche Investitionen aus. Sollten sich nun umgekehrt Handel und Verwaltung aus den Stadtzentren zurückziehen, dann würde das nicht automatisch Investitionen freisetzen.

Die Corona-Krise wirkt auf die Innenstädte nachgerade als "Brandbeschleuniger" – und im Nebeneffekt werden zudem die Grenzen zwischen digitalen Flow-Räumen und lebensweltlichen Handlungsräumen undeutlich. Es gibt in dieser Situation kein Patentrezept. Freilich zeigen erste Einschätzung, dass sich gemischte Stadtquartiere und Stadtzentren als krisenfester und anpassungsfähiger erwiesen haben als monofunktionale Zentren.

Dort wurden inhabergeführte Geschäfte und Gastronomie zum Teil durch solidarische Nachbarschaften unterstützt. Genau damit allerdings erweist sich indes auch, dass die urbane Shoppingfrage mit so mancher Lebenslüge unserer Gesellschaft verbandelt ist.

Vor Jahrzehnten schon wurde das Aussterben des Tante-Emma-Ladens beklagt. Betrauert von den vielen, die dennoch lieber in die großen Supermärkte strömten und mittlerweile womöglich aufs Internet umgestiegen sind. Drogerieketten kamen und verschwanden, und auch Discounter sind nicht für die Ewigkeit gebaut.

Wer seinen Kiosk oder Späti liebt, darf sich den Six-Pack nicht an die Haustür liefern lassen. Wer Cafés mag, muss seinen Kaffee nicht in Pappbechern forttragen. Wer Schreiner schätzt, sollte seine Möbel nicht nach weltweit lesbaren Piktogrammen zusammenschrauben. Und so weiter. Es ist verdammt schwer, das Alte, Vertraute, Geschätzte zu bewahren. Es gelingt, wenn überhaupt, auch nur in Maßen. Aber es liegt immer auch an uns selbst.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.