Erosion der Demokratie: Bundesgesundheitsministerium will weiter mit Anordnungen regieren
Die Länderregierungen umgehen ebenfalls die Parlamente, die Kanzlerin mauschelt mit den Ministerpräsidenten. Endlich mehrt sich die Kritik von Seiten der Abgeordneten an der schleichenden Aushebelung der Demokratie durch Corona-Maßnahmen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weiß, was zu tun ist, auch wenn er im pluralis majestatis spricht. Das Parlament braucht er dazu nicht: "Wir wissen, in welchen Situationen das Virus leichtes Spiel hat. Und wir wissen, wie wir es dem Virus schwer machen können." Das war jetzt noch verbunden mit einem Appell an die Bürger, "angesichts der steigenden Infektionszahlen weiterhin wachsam und achtsam zu sein", aber im Bundesgesundheitsministerium ist man bereits damit beschäftigt, die dank der Coronapandemie stark erweiterte Kompetenz des Ministers langfristig auszubauen. Das war zu erwarten, Behörden und Organisationen geben nicht gerne die Macht wieder ab, die sie erstmals nur bedingt zur Reaktion auf eine Gefahrenlage erhalten haben (Ausnahmezustände verschwinden nicht, sondern verwandeln sich in eine neue Form des Normalzustandes).
Mit den beiden ersten Gesetzen zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wurde die Kompetenz des Bundesgesundheitsministeriums erheblich erweitert, eigenmächtig und über die Befugnisse der Länder hinweg über Anordnungen in die Gesellschaft und das Leben der Menschen einzugreifen - und auch Grundrechte einzuschränken. Die Befugnisse sind zeitlich begrenzt, das Parlament beschließt die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite und kann sie auch wieder beenden. Die FDP wollte im Juni die Aufhebung der epidemischen Lage durch den Bundestag beschließen lassen, aber die durch das Infektionsschutzgesetz legitimierten Rechtsverordnungen und Anordnungen noch bis Ende September in Kraft lassen. Damit ist sie an der Regierungskoalition und Linken sowie Grünen gescheitert. Jetzt gelten die Befugnisse des Gesundheitsministeriums weiter bis Ende März, es sei denn, der Bundestag hebt die epidemische Lage auf, worauf allerdings derzeit nichts hinweist.
Dauerhafte Sonderrechte für das Bundesgesundheitsministerium
Das Bundesgesundheitsministerium hat die Vorlage eines Entwurfs für ein drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die einigen Medien vorliegt, den anderen Ministerien zugeleitet. Das Bundesgesundheitsministerium will sich damit die Möglichkeit einräumen, selbst weitere Verordnungen ohne zeitliche Beschränkungen erlassen zu können, sofern das "zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist".
Das senkt die Schwelle erheblich, denn eine Feststellung einer Pandemie von nationaler Reichweite ist gar nicht mehr erforderlich, was "schwerwiegend" sein soll, wird nicht weiter festgelegt. Dem Bundestag wird immerhin noch das Recht eingeräumt, die Verordnungen, die alle übertragbaren Krankheiten betreffen, nicht nur Corona, nachträglich aufheben und abändern zu können. Die dauerhaften Sonderrechte seien aufgrund neuer Erkenntnisse über Covid-19 und angesichts von kommenden Impfprogrammen notwendig.
Das Bundesgesundheitsministerium will weiterhin eigenmächtig Regeln für den nationalen und internationalen Reiseverkehr anordnen können, beispielsweise den Unternehmen verbieten, Menschen aus Risikogebieten mitzunehmen, oder sie verpflichten, möglicherweise infizierte Personen zu melden. Auch die Weitergabe von Passagierlisten und wo jemand gesessen ist, könnte verlangt werden. Wer aus einem Risikogebiet einreist, müsste dem RKI umfangreiche Auskunft über seine Person machen und zudem erklären, wo er sich während der 10 Tage vor der Einreise aufgehalten hat sowie wo er sich bis 10 Tage danach aufhält. Das RKI würde die Angaben dann an die Behörden an den Zielorten weiterleiten, so das Ärzteblatt.
Nach Willkür klingt auch die Befugnis, keine Lohnfortzahlungen im Quarantänefall zu leisten, wenn dieser "eine vermeidbare Reise in ein 48 Stunden vor Reiseantritt ausgewiesenes Risikogebiet zugrunde liegt". Legt das Bundesgesundheitsministerium dann fest, was vermeidbar ist?
Damit nicht zu Ende, das Bundesgesundheitsministerium will auch mehr Daten sammeln. So sollen der Impfstand überwacht werden, indem entsprechende Patientendaten von den Kassenärztlichen Vereinigungen an das RKI und das Paul-Ehrlich-Institut übermittelt werden sollen. Damit soll vor allem bei neuen Impfstoffen "Häufigkeit, Schwere und der Langzeitverlauf von Impfkomplikationen beurteilt sowie untersucht werden, ob gesundheitliche Schädigungen beziehungsweise Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen bei geimpften Personen häufiger vorkommen als bei ungeimpften Personen".
Das ist ganz vernünftig, aber ob die Übermittlung der Daten erst nach Zustimmung der geimpften Personen erfolgen soll, scheint nicht zu interessieren. Und wenn es darum geht, dass nicht nur Ärzte einen Abstrich für Coronatests machen dürfen, sondern auch andere Gesundheitsberufe wie Apotheker, wäre kein Gesetz notwendig, das die Rechte der Parlamente und der Bürger schwächt.
Ausheblung der Demokratie durch Anordnungspolitik über die Parlamente hinweg
Allmählich wachen Teile der Opposition auf und kritisieren die Anordnungspolitik der Bundes- und Landesregierungen, die die Parlamente aushebelt. Besonders die Entscheidungen, die die Bundeskanzlerin mit den Länderchefs trifft und die tief ins persönliche Leben der Menschen einschneiden - Maskenpflicht, Sperrstunden, Ausgeheinschränkungen oder Beherbergungsverbote -, können nicht am Parlament und an einer politischen Debatte vorbei abgesegnet werden.
Milde ist noch die Kritik, die Jan Korte äußert, wenn er von einer "Verselbständigung der Demokratie" spricht. Das unterhöhlt den demokratischen Rechtstaat Schritt für Schritt. Höchste Zeit, dass die Abgeordneten der schwarz-roten Regierungskoalition nicht mehr willig im Poker der Regierungen mitspielen, die sich von den Wissenschaftlern herauspicken, was sie an Argumenten benötigen, um die Menschen zu schützen, aber auch Interessen durchzusetzen.
Es geht nicht an, dass Landesregierungen Grundrechte einfach durch Anordnungen einschränken können:
Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.
§ 32 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen
Hier geht der angebliche Schutz der Menschen, der eben auch Prävention mit einschließt, deutlich zu weit. Bundesregierung und die Landesregierungen sind bereits auf den Geschmack gekommen, im Namen der Pandemiebekämpfung mit Anordnungen zu regieren, die auch dazu dienen, öffentliche Kritik in Form von Demonstrationen und Versammlungen zu verhindern. Noch sind hier oft Gerichte eingeschritten und haben Verhältnismäßigkeit angemahnt. Das kann auch umkippen.