Erschließung von Armutsmärkten und private Sicherheitskräfte
"Eine bessere Welt ist möglich", glaubt Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP). Und er ahnt auch schon, wie sie aussehen könnte
Während Entwicklungsminister Dirk Niebel ein neues Gesamtkonzept für sein Ressort erarbeiten lässt, wird auf Regierungsebene über den Einsatz bewaffneter privater Sicherheitsdienste in den Krisenregionen dieser Welt diskutiert. Alles zum Schutz der deutschen Interessen, denen aber vor allem eine zunehmend aggressive Exportpolitik schaden könnte.
Auf anspruchsvollen Tätigkeitsfeldern
Wer die Homepage von Dirk Niebel besucht, ahnt: Dieser Mann kann alles. Fallschirmjäger und Student, Arbeitsvermittler und Gründungsmitglied einer Nachwuchspartei. Eine Logopädin heiraten und drei Kinder haben. Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Kuratoriumsmitglied, Generalsekretär und deshalb auch, selbstredend, Politiker. Warum also nicht Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung?
Böse Zungen behaupten, das passable Organisationstalent sei 2009 aufs politische Abstellgleis geschoben worden, um dort alles für die Ankunft der Gesamtpartei vorzubereiten. Tatsächlich war dieses Ministerium weit davon entfernt, das ultimative Karriereziel seines amtierenden Dienstherrn zu sein. Dirk Niebel wollte es abschaffen und mit dem Außenministerium zusammenlegen.
Doch daraus wurde nichts, und jetzt freut er sich natürlich "über die anspruchsvollen Tätigkeitsfelder" und die "wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben", denen er nachkommen darf.
Der Minister lässt nun kaum eine Möglichkeit ungenutzt, um öffentlich nachzuweisen, dass in seinem Haus ein neuer Ton herrscht und die Tage der möglicherweise zu Unrecht als "gute Fee" bespöttelten Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) endgültig vorbei sind. Für die Grundidee einer Fusion von GTZ, DED und Inwent zur "Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" (GIZ) gab es sogar positive Kritiken, auch wenn über die Umsetzung heftig gestritten und die Reisetätigkeit der GIZ-Vorstände oder die herausgehobene Stellung von Niebels Parteifreund Tom Pätz Gegenstand eines "bemerkenswerter Neidvorgangs" wurde.
Die zahlreichen zivilgesellschaftlichen und kommunalen Entwicklungshilfe-Initiativen stehen ebenfalls vor einer weitgehenden Strukturreform. Sie werden künftig unter dem Dach einer einzigen Servicestelle zusammengefasst, die ab 2012 dazu beitragen will, die Zahl von derzeit einer Million engagierter Bürgerinnen und Bürger zu verdoppeln.
Der Minister will seinen Arbeitsbereich aufwerten und fordert für denselben mehr Beachtung ein. Das ist erst einmal gut so, denn die 1. Welt hat gegenüber den Entwicklungsländern vieles gutzumachen, und nur ein Teil der Bringschuld hängt mit der kolonialen Vergangenheit zusammen. Bis heute ist die sogenannte Zivilisation an der bedenkenlosen Ausbeutung von Staaten und Landstrichen beteiligt und unterstützt offenkundige Fehlentwicklungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene (Vermeidbare Hungerkatastrophe am Horn von Afrika).
Wenn Dirk Niebel diesen Kurs entschieden korrigieren wollte, hätten die wenigstens Beobachter etwas dagegen einzuwenden. Aber der Entwicklungsminister will Entwicklung allenfalls bedingt gestalten. Stattdessen soll der Markt, jener gefühlte Privatbesitz der FDP, einmal mehr zum Exportschlager werden.
Unternehmertum schafft Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, und breitenwirksames Wachstum führt zu nachhaltiger Entwicklung. Staatliches Engagement alleine kann das nicht schaffen.
Dirk Niebel, 3.8.2011
Die unternehmerische Entwicklungspolitik
Das neue entwicklungspolitische Konzept des Bundesministeriums, das Niebel Anfang August vorstellte, wartet mit allen Signalwörtern auf, die in diesem Zusammenhang erwartet werden dürfen. Von "Menschenrechten" ist da immer wieder die Rede, "gute Regierungsführung" spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle, "Armutsbekämpfung", "Bildung" und "Klimaschutz" stehen ganz oben auf der Agenda, und die obligatorische "Hilfe zur Selbsthilfe" ist ebenfalls mit von der Partie.
Wer noch mehr für sein gutes Gewissen braucht, kann die vorletzte Seite ausdrucken und bekommt neben "Deutschlands Beitrag" in aufmunternden Stichpunkten obendrein Farbfotografien von Minister Niebel und seinen gelassen schmunzelnden Staatsekretären Gudrun Kopp und Hans-Jürgen Beerfeltz.
Außerdem sind die Richtlinien für die deutsche Entwicklungspolitik noch nicht beschlossen. Details sollen in einem "offenen und transparenten Prozess" konkretisiert werden. Das Ministerium will nicht nur Hintergrundgespräche mit Durchführungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, sondern auch Gesprächskreise mit Wirtschaftsvertretern, wissenschaftliche Konferenzen und einen "öffentlichen Social Media-Dialog im Internet" initiieren.
Politisch korrekter geht es kaum, zumal Ende Juli bereits der Vorsitzende des "Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen" zu "Dialog und Konsultation" eingeladen wurde.
Doch die eigentlichen Adressaten des Arbeitspapiers werden die Botschaft schon richtig verstehen. Denn neben der Vision einer "besseren Welt" offeriert Niebels Konzept der heimischen Wirtschaft interessante ökonomische Perspektiven. Die Bundesregierung will Deutschland zum "innovativen Agenda-Setter" machen und eine "unternehmerische Entwicklungspolitik" vorantreiben.
Mit einem freien und fairen Markt ist es unvereinbar, dass Entwicklungserfolge durch Handelshemmnisse, Schutzzölle oder Exportsubventionen behindert werden.
Konzept "Chancen schaffen – Zukunft entwickeln"
Dem Ministerium schwebt stattdessen der "Aufbau von Märkten für erneuerbare Energien" vor, außerdem geht es um die "Mobilisierung deutscher Technologieangebote für eine kohlenstoffarme Wirtschaft in Schwellen- und Entwicklungsländern" oder auch nur um die "Innovationssystementwicklung im Rahmen der Privatsektorförderung in Serbien". Aus Sicht des Ministers führen solche Konstellationen zu "klassischen Win-win-Situationn".
Es ist überhaupt kein Geheimnis, dass wir als Industrienation auf Rohstoffe angewiesen sind, aber wir sind ein rohstoffarmes Land. Die meisten Rohstoffvorkommen befinden sich in Entwicklungsländern.
Dirk Niebel, 22.02.2011
Arme als "souveräne Kundengruppe"
Kritiker verbuchen diese Aktionen eher unter dem Titel "Profite in Armutsregionen", und tatsächlich zeigt ein "politisches Eckpunkte-Papier zur Kooperation mit der Wirtschaft" die Ziele der aktuellen deutschen Entwicklungspolitik sehr viel unverblümter auf.
Hier wird der investitionsbereite Unternehmer darauf hingewiesen, dass bedauerlicherweise vier Milliarden Menschen weltweit am unteren Ende der Einkommenspyramide leben. Doch auch sie verfügen noch über eine "aggregierte Kaufkraft" von beachtlichen 500 Mrd. US-Dollar. Dieser Markt sei bislang kaum erschlossen, heißt es in dem Eckpapier, "obwohl er große Chancen für Unternehmen aufzeigt". Deshalb sollten auch Menschen mit niedrigem Einkommen in verarmten Entwicklungsländern als "souveräne Kundengruppe" anerkannt werden.
Die Vorteile, die sich Deutschland dank seines Einsatzes für eine bessere Welt bieten, beschränken sich jedoch nicht nur auf die Erschließung neuer Märkte und die Intensivierung internationaler Kontakte. Im eigenen Land würden durch die Entwicklungspolitik 240.000 Arbeitsplätze gesichert, rechnet das Ministerium vor. Außerdem führe "jeder Euro", der aus Niebels Etat in die Partnerländer investiert werde (insgesamt rund 6 Milliarden pro Jahr) zu "darüber hinausgehenden Rückflüssen und Erträgen in Deutschland".
Unter diesen Umständen mutiert der Entwicklungs- immer wieder zum Wirtschaftsminister. Am Montag machte er in Rostock Station, wo nur zwei Handvoll der bundesweit 6.000 mittelständischen Firmen ansässig sind, die Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern betreiben. Die Unternehmer wurden vom Gast aus Berlin deshalb "ermuntert", mehr Engagement zu zeigen.
Dass die Marktwirtschaft für Dirk Niebel immer und überall funktioniert, weiß man spätestens, seit er Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien befürwortete. Um die Menschenrechte zu schützen. "Die Stabilisierung einer Region trägt durchaus dazu bei, die Menschenrechte zu wahren", meinte der liberale Minister. "Vielleicht nicht in dem Land, in dem man tätig ist, aber in den Nachbarländern."
"Outsourcing militärischer Aufgaben"
Auch Niebels Parteifreund Hans-Joachim Otto hat sich jüngst mit dem Thema Waffen und Sicherheitskräfte beschäftigt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, der auch als Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft fungiert, beobachtete eine weltweite Tendenz, "sich gemeinsam für private Sicherheitskräfte zu öffnen".
Der Sicherheitsexperte des Koalitionspartners CSU ging noch einen Schritt weiter. "Wir sind uns einig, dass private Sicherheitsleute an Bord deutscher Handelsschiffe den Schutz vor Piratenüberfällen übernehmen sollen", erklärte Hans-Peter Uhl und verwies auf konkrete Verhandlungen nach der Sommerpause, um das Problem der fehlenden Rechtsgrundlagen zu beheben.
Die Planungen privater Sicherheitsdienste sind in dieser Sache offenbar schon weit gediehen, denn die Befürworter solcher Einsätze müssen sich gegebenenfalls weder über das Grundgesetz noch über Bestimmungen des Völkerrechts Gedanken machen.
Eine Änderung des Waffenrechts könnte bereits ausreichen, um schwer bewaffnete Söldner - etwa vor der Küste Somalias - zum Schutz deutscher Handelsinteressen einzusetzen. Wie garantiert werden soll, dass sie nur gegen die kriminellen Übergriffe von Piraten vorgehen, wird zurzeit angeregt diskutiert.
Die Opposition stellt sich mehr oder weniger geschlossen gegen die Pläne der Bundesregierung, und auch das Netzwerk "attac" befürchtet durch das "Outsourcing militärischer Aufgaben" eine weitere Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols.
"attac" gibt der Bundesregierung und deutschen Unternehmen explizit eine Mitschuld an der dramatischen Situation in vielen Krisenländern dieser Welt. So sei die exportorientierte Wirtschaftspolitik immerhin zu einem Teil verantwortlich für die aktuelle Situation in Ostafrika.
Investmentbanken wie die Deutsche Bank haben mit Termingeschäften die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen getrieben. Die Folge sind Nahrungsmittelengpässe und Hungersnöte, die den Menschen die Lebensgrundlage rauben.
attac, 18.08.2011
Anstatt die Ursachen der Piraterie zu bekämpfen und den eigenen außenpolitischen Kurs zu überdenken, wolle die Bundesregierung eine Drohkulisse aufbauen, folgert "attac".
Vielleicht haben die Globalisierungskritiker aber auch lediglich das Prinzip, das Deutschlands ineinander verquirlter Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungshilfepolitik zugrunde liegt, falsch verstanden. Von der legendären "Niebel-Fibel" hatten wir uns in dieser und vielen anderen Fragen schnelle Aufklärung erhofft. Doch der Link zur "Freiheit für Einsteiger" führt leider ins Nichts.