Erst kommt das Gehör, dann das Gehirn
Der Unterschied zwischen links und rechts, Sprach- und Musik-Gehör ist schon in Babyohren vorhanden und wird im Schlaf gemessen
Als Mutter in unserer Zeit trägt man viel Verantwortung – nichts auf der Welt ist belastender als ein krankes Kind. Und so gibt es eine Vielzahl von Bluttests, mit denen man auch nach seltenen Krankheiten fahndet, Untersuchungen des Orthopäden, der das Hüftgelenk prüft, und seit einiger Zeit auch das Neugeborenen-Screening beim HNO-Arzt, um zu testen, ob der Nachwuchs alles gut versteht. Wie kann man dies beim Baby eigentlich bereits feststellen?
Zum Hörtest wird eine zierliche Sonde ins Baby-Ohr gebracht und wenn alles gut geht, reagiert das Ohr auf die Klicklaute, die von der Sonde kommen. Gesunde Ohren antworten auf den akustischen Reiz mit winzigen Schwingungen, die nicht vom Neugeborenen, sondern von einem angeschlossenen Messgerät registriert werden. "Am besten gelingt der Test, wenn das Kind schläft", erklärt der Untersucher dazu der überraschten Mutter.
Tatsächlich ist diese Messung schmerzfrei und dauert nur wenige Minuten je Ohr. Das, was registriert wird, sind "otoakustische Emissionen". Sie entstehen durch den Reiz, der von den Haarzellen aufgenommen und mit einem Mikrophon abgehört wird. Das Besondere: Otoakustische Emissionen fehlen bei einer Innenohrschwerhörigkeit mit Schädigung der äußeren Haarzellen, aber auch bei einer Störung des Schalltransportes, etwa durch einen Mittelohrerguss. Dafür bleiben sie bei der Schwerhörigkeit erhalten, wenn diese auf Schädigung des Hörnerven oder der Hörbahn beruht.
Allerdings ist eine derartige Untersuchungen kostenpflichtig, obwohl bei immerhin zwei bis fünf von Tausend Kindern eine angeborene Hörstörung auftritt. Bislang untersucht man nur Risikokinder wie Frühchen, erblich vorbelastete Babys oder Säuglinge mit Fehlbildungen, obwohl, wenn rechtzeitig erkannt, die Hörstörungen in der Regel sehr viel besser behandelt werden können.
Was der Test noch verrät
Allerdings kommt hinzu, dass Neugeborene zwischen dem rechten und linken Ohr unterscheiden. Die linke Hemisphäre beherrscht dabei die Sprache, die rechte Töne und Musik. Yvonne Siniger und Barbara Cone-Wesson von der Universität Los Angeles beschreiben in Science:
Klicks werden stärker im rechten Ohr, Töne ausgeprägter vom linken Ohr wiedergegeben.
Im Mittel, so ihre Feststellung, reagiert das eine Ohr auf Töne, und das andere auf Klicks. Daraus ergibt sich die Arbeitshypothese, wonach die Zuordnung im späteren Leben, das heißt die Trennung von Gespräch und Musik, aus der angeborenen Auftrennung der Ohren erwächst.
Die Messmethode trennt hierbei zwischen den "otoakustischen Emissionen". Sie unterscheidet zwischen transitorischen otoakustischen Emissionen (TEOAE), die durch einen kurzen Klick-Reiz ausgelöst werden, und dem Distorsionsprodukt der otoakustischen Emission (DPOAE), die durch sich überlagernde Dauertöne entstehen. Dabei handelt es sich um Schallsignale, die beim Hörvorgang im Innenohr gebildet und über das Mittelohr und den Gehörgang nach außen abgestrahlt und hier registriert werden. Beide Vorgänge haben ihren eigenen Stellenwert und müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden.
TEOAE entspricht dem Wort, DPOAE dem Ton
Transitorische Emissionen (TEOAE) treten auf, wenn das Ohr mit einem Klick gereizt wird. Ferner muss die Reizantwort, die bis 20 ms nach dem Klick vernommen wird, vielfach wiederholt aufaddiert werden, damit sie eine verwertbare Größe erhält. Dieses "Mittelungsverfahren" vergleicht dabei je eine Hälfte der Reizantworten, da sie in zwei verschiedenen Speichern abgelegt werden.
Ein weiterer technischer Kniff zur sicheren Abgrenzung echter Emissionen von Fremdgeräuschen besteht im Prinzip darin, drei Klicks kleinerer Lautstärke mit "positiver" Polung zu präsentieren, denen ein dreimal so großer Klick mit "negativer" Polung folgt. Aufgrund der Nichtlinearität des Gehörs wird mit diesem Verfahren das passive Echo des Reizes vom aktiven Echo der otoakustischen Emission getrennt. Der zeitliche Verlauf der klickevozierten Emission hat eine hohe Konstanz, was einem otoakustischen Fingerabdruck entspricht.
Gibt man zwei reine Töne auf ein Ohr, deren Frequenzen sich um den Faktor 1,2 unterscheiden, so entstehen aufgrund der Nichtlinearität des Gehörs weitere Töne. Diese werden als Distorsionsprodukte, kurz DP oder DPOAE, bezeichnet. Das Distorsionsprodukt eines Frequenzpaares entsteht nach der Formel: 2 x tiefe Frequenz minus der hohen Frequenz (2 x f1 – f2).
Der Vorteil dieser Gesetzmäßigkeit ermöglicht einen relativ einfachen Nachweis des Dispersionsproduktes, da man nur bei dieser Frequenz nach einer deutlich aus dem Rauschen herausragenden Antwort suchen muss. In der Praxis wählt man vorzugsweise jene Frequenzen, die den aus der Tonaudiometrie bekannten Frequenzen entsprechen. So entsteht das DP-Gramm, das dem Tonaudiogramm sehr ähnlich sieht, mit diesem aber nicht verwechselt werden darf. Das DP-Gramm zeigt lediglich, dass bei diesen Frequenzen ein Distorsionsprodukt gefunden wird.
Erst die Ohren, dann das Gehirn
Die besondere Leistung von Yvonne Siniger und Barbara Cone-Wesson besteht darin, dass sie sowohl die Klicks wie auch die Töne bei denselben Neugeborenen auswerten und dabei eine eindeutige Trennung nach den beiden Ohren gefunden haben. Von gut 6000 Bestimmungen sind in der endgültigen Auswertung 1593 verwertet worden. Das ist mehr als bei einer vergleichbaren Studie, die keine Unterschiede zwischen rechts und links herausfand, aber nur 185 Neugeborene untersuchte. Da nach J.K. Moore das Gefüge der Hirnnerven und der Gebiete im Gehirn noch in der Entwicklung begriffen ist, scheint die Schlussfolgerung begründet: Erst werden die Ohren, dann das Gehirn geprägt.