Erst kommt die Pizza, dann kommt die Moral
In der politischen Riege wird Lobbyismus wie im Fall von Hunzinger als etwas Selbstverständliches betrachtet: Zeit, einmal wieder mehr für politische Kultur einzutreten
"Es gibt Überschneidungen mit der CDU in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik ...", sagte der Grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger schon 1998 ganz im Einklang mit dem neuen grünen wirtschaftsliberalen Mainstream um Rezzo Schlauch, Matthias Berninger oder Cem Özdemir. Dass daran etwas Wahres ist, kann man zur Zeit auch an der Affäre um den Polit-Lobbyisten Moritz Hunzinger ablesen. Und auch, dass es diese Überschneidungen mit praktisch allen Parteien gibt.
Anfangs war die Aufregung groß. Sogar groß genug für die Entlassung eines Bundesministers. Dazu hat es aber nur gereicht, weil Verteidigungsminister Scharping schon vorher mehrfach ins Fettnäpfchen getreten war. So läuft Politik heute. Ein paar Mal ein schlechtes Bild abgegeben und dem Kanzler mediale Minuspunkte verschafft, schon ist man weg vom Fenster. Was wirklich passierte, ist da nicht mehr so wichtig. Scharping hatte Geld angenommen vom Polit-Lobbyisten Moritz Hunzinger, und zwar nicht in einer völlig sauberen Weise. Das heißt, eigentlich war das zum Zeitpunkt seines Ausscheidens noch gar nicht richtig geklärt. Egal, dem Kanzler reichen da schon ein paar Anhaltspunkte und überhaupt hatte er schlechte Laune und konnte Scharping nicht mehr so recht leiden.
Schnell gerieten andere Politiker ins Gerede um Hunzinger, die große Geschichte traf dann überraschend den Grünen Cem Özdemir. Er hatte ein ominöses Privatdarlehen bei Hunzinger aufgenommen, aus dessen vergleichsweise niedrigem Zinssatz nun ein "geldwerter Vorteil" rekonstruiert wurde. Nun veröffentlichen Stern und max regelmäßig neue Listen mit Geldempfängern und warten auf den großen Coup, nämlich den Nachweis eines strafrechtlichen Tatbestandes.
Man trifft sich, parallel und unabhängig davon fließt ein wenig Geld
Dass prinzipiell mit der bei dieser Gelegenheit öffentlich thematisierten Lobbyisten-Praxis etwas nicht in Ordnung sein könnte, scheint nicht allen in den Sinn zu kommen. Nun gibt es nicht von vorne herein etwas gegen "politische Salons" und "parlamentarische Abende" einzuwenden - so wenig wie gegen Burschenschaftler und alte Herren. Unter der Annahme, das Wohl "der Wirtschaft" liege dem Wohl der gesamten Gesellschaft zugrunde, kommt Politikern fast selbstverständlich die Aufgabe zu, sich verstärkt mit konkreten Interessen ersterer zu befassen. Denn sieht ein Akteur der Wirtschaftsordnung, der in diesem Zusammenhang gleichzeitig als ein "Experte" und damit politischer Ratgeber auftritt, politischen Handlungsbedarf, empfiehlt es sich für den Politiker diesem nachzugeben, um eben das wirtschaftliche Wachstum zu fördern.
"Normal muss es sein und auch bleiben, dass man in seinen Entscheidungen nicht beeinflussbar ist. Erst recht darf man nie fremdbestimmt werden, aber dass man Kontakt hat zu sogenannten Lobbyisten, das bringt die politische Arbeit jeden Tag mit sich und das ist ja nichts Anrüchiges. Und auch Kontakte mit Herrn Hunzinger können ja nicht per se anrüchig sein. Entscheidend ist immer, ob man sich an das hält, was das Mandat eines Abgeordneten mit sich bringt, nämlich die Unabhängigkeit."
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), im Deutschlandfunk
Angenommen, es treffen sich bei einem politischen Salon der Außenminister und leitende Angestellte eines deutschen Rüstungskonzerns. Man unterhält sich nett, und nebenbei lassen die Waffenexperten den Politiker wissen, dass es in bestimmten Bereichen ihrer Produktpalette Absatzschwierigkeiten gibt, unter anderem, weil potenzielle Käufer wegen Exportverboten nicht beliefert werden können. Unabhängig von der zwar parallel, aber nicht kausal zusammenhängend erfolgten Zahlung von knapp 10.000 Euro, die sofort vom Minister an seine Partei weitergegeben wurde, erschließt sich dem Minister ein Handlungsbedarf: Da Exporte prinzipiell für den Wirtschaftsstandort Deutschland gut sind (u.a. Arbeitsplätze!) und damit auch überhaupt, liegt es im Interesse des Volkes, wenn Wege gefunden werden, die verbotenen Rüstungsexporte doch zu ermöglichen. Mit Einflussnahme durch Wirtschaftsvertreter hat das in den Augen des Ministers natürlich nichts zu tun. Falls doch, legitimierte sich diese durch das Erreichen eines höheren Ziels von selbst, und so dreht sich die Argumentationsspirale weiter.
Kein Problem, weil ganz normal und kein Straftatbestand
Die an diesem fiktiven Beispiel grob illustrierte Denkweise findet sich mittlerweile parteiübergreifend und sie ist auch der Grund dafür wieso kaum ein Politiker oder eine Politikerin an dieser Form des Lobbyismus etwas Anstößiges findet. Vorbildfunktion hat wieder einmal die USA, wo in der Hauptstadt Washington die der Politik zugeordnete PR-Branche angeblich jährlich zwischen acht und neun Milliarden US-Dollar Umsatz erwirtschaftet. Noch einmal ein (dasselbe) Argument für die förderliche Verbindung von Wirtschaft und Politik.
Im Prinzip ist das keine neue Entwicklung, wie man beispielsweise bei dem von den SZ-Redakteuren Leyendecker, Prantl und Stiller verfassten Buch Helmut Kohl, die Macht und das Geld nachlesen kann. Der Titel ist etwas irreführend, geht es in dem über 600 Seiten dicken Wälzer nur im ersten Teil um Helmut Kohl selbst, und selbst da schon um die lange Geschichte der Verbindung von Wirtschaft und Parteien, allen voran natürlich in der CDU. Im zweiten Teil beschreibt Michael Stiller eine sehr spezielle Variante davon, nämlich das berühmt-berüchtigte "System Strauß", das bis heute in den Affären um die Schreiber-Prozesse nachwirkt. In punkto Unrechtsbewusstsein setzte die Parteispendenaffäre Maßstäbe, die heute weiter Bestand haben.
Die von der Hunzinger-Affäre direkt oder indirekt Betroffenen wollen uns glauben machen, die ganze Sache sei erstens kein Problem, weil kein Straftatbestand (Korruption) oder Ähnliches (Meldepflicht im Bundestag) erfüllt ist, und zweitens, weil der Vorgang sowieso völlig normal und jede Aufregung lächerlich sei.
Cem Özdemir behauptet, er sei keine Verpflichtungen Hunzinger oder anderen Interessengruppen gegenüber eingegangen. Das mag wörtlich genommen stimmen. Er vergisst dabei, dass professionelle Lobbyisten durchaus perspektivisch denken. Natürlich ist es eine gute Strategie, sich politische Akteure schon am Beginn ihrer politischen Karriere abhängig zu machen. Denkt Cem Özdemir tatsächlich, er könne sich dem späteren Wunsch nach einer Gefälligkeit einfach so entziehen, nachdem ihm Hunzinger einmal mit einer nicht unbeträchtlichen Geldsumme aus der Patsche geholfen hat? Dachte er wirklich, die Vergabe dieses Kredites habe nichts mit seiner politischen Tätigkeit zu tun? Özdemir zieht sich bei solchen Fragen auf seine "Naivität" zurück. Angesichts seiner politischen Karriere und seines Geschicks, sich auch außerhalb der Politik zu vermarkten, scheint das allerdings ziemlich unglaubwürdig. Möglicherweise sind sich viele Politiker und Politikerinnen ja tatsächlich nicht über die zum Teil subtile Form der Einflussnahme im Klaren. Umso schlimmer.
Oberflächlich betrachtet mag es überraschen, dass die Opposition die Gelegenheit nicht nutzt, ihren politischen Gegner zu demontieren, lässt sie doch sonst dazu keine noch so absurde Gelegenheit aus (was im übrigen auch umgekehrt gilt). Verständlich wird diese Zurückhaltung durch die Tatsache, dass Politiker und Politikerinnen aller Parteien von Hunzinger (und wohl auch anderen) regelmäßig Honorare bezogen, ob diese nun auf Privat- oder Parteikonten flossen.
Schon paradox erscheint allerdings die Blockade eines von den Regierungsparteien angekündigten Gesetzes, das Parlamentarier und Parlamentarierinnen zwingen sollte, ihre Nebeneinkünfte öffentlich zu machen. Das Thema sei "zu wichtig, um es nun durchzupeitschen" heißt es von Seiten der Opposition, und man habe "den Eindruck, dass SPD und Grüne das Thema unter dem Eindruck der Hunzinger-Affäre zum Wahlkampf nutzen wollen." Das ist ein interessantes "Argument", vor allem wenn man bedenkt, dass der Auslöser für die ganze Affäre Rudolf Scharping, bekanntlich SPD-Mitglied, war.
Das Primat der Wirtschaft unterminiert die politische Kultur
Es mag ja sein, dass in den Fällen Scharpings und vor allem Özdemirs wirklich keine konkreten Absichten Hunzingers dahinter steckten. Sie haben aber (wieder einmal) eine Tatsache ins öffentliche Interesse gerückt, die längst zum Klischee geworden ist, nämlich die Verquickung von Wirtschaft und Politik. Neu ist das Selbstverständnis, mit dem diese Tatsache als gegeben und sogar als wünschenswert aufgenommen wird. Es gibt nicht nur kein Unrechtsbewusstsein, sondern es werden im Gegenteil Kritiker noch der Lächerlichkeit preisgegeben. Solange es hier kein Unrechtsbewusstsein gibt - und das betrifft genauso die Parteienfinanzierung -, wird auch niemand ein brauchbares Gesetz dagegen erlassen. Denn die Gesetzgeber sind gleichzeitig die primär davon Betroffenen. Solange das Wirtschaftswachstum für sich primäres Politikziel ist, heiligt dieser Zweck auch weiterhin alle Mittel.
Hunzinger hat angeblich in den neunziger Jahren alle Bundestagsparteien außer der PDS mit Spenden unterstützt. Wiederum alles legal. Die "Wirtschaftswoche" berichtet, dass Hunzinger insgesamt über 500.000 Euro gespendet hat - selbstverständlich zum großen Teil in der beliebten Stückelung à 20.000 Euro, um ein Auftauchen in den Rechenschaftsberichten der Parteien zu verhindern. Oder sollte diese Stückelung Zufall sein? Wenn alles so normal ist, warum dann dieses Versteckspiel?
Wenn die herrschende Politik durch Lobbyistengruppen zumindest indirekt beeinflusst werden, dann steht das im Widerspruch zur Idee von Demokratie. Denn diese Lobbygruppen sind nicht etwa wiederum Vertreter von Bürgern, sondern von Einzelinteressen großer Konzerne. Da mag man an den Primat der Wirtschaftspolitik glauben oder auch nicht, aber dass es noch andere berechtigte Anliegen von Bürger und Bürgerinnen gibt, ist klar. Nur können die nicht während einer laufenden Legislaturperiode ihre Abgeordneten durch die Zahlung fünfstelliger Summen zur Teilnahme an parlamentarischen Abenden bewegen, auf denen sie dann ihre Anliegen vorbringen dürfen.
Das Anti-Korruptionsgesetz, das 1994 verabschiedet wurde ist ein Witz. Angesichts der gesetzlichen Lage wird wohl nie ein deutscher Politiker der Korruption überführt werden, es sei denn er legt selbst ein Geständnis ab. Die Durchsetzung des Gesetzes scheitert letztlich an den beschriebenen subtilen Mechanismen, die sich mittlerweile eingebürgert haben. Der gesamte Rahmen, von der Regelung von Nebeneinkünften bis zum Gesetz zur Parteienfinanzierung ermöglichen es, ein feingesponnenes Netz von Abhängigkeiten herzustellen, das in der groben juristischen Formulierung kein rechtes Gegenstück findet.
Eine Unternehmensberatung - die muss es schließlich wissen - fordert nun schon eine Erhöhung der Bezüge von Abgeordneten und vor allem Ministern, um deren Anfälligkeit gegenüber Einflussnahme von außen zu verringern. Hans Herbert von Arnim, Parteienforscher und Kritiker des bestehenden Parteiensystems, hält vorher einen grundlegenden Gesinnungswandel und eine entsprechende gesetzliche Regelung für nötig.
Eine grundsätzliche Diskussion um Politik und Wirtschaft mag im Wahljahr keine der etablierten Parteien führen. Am weitesten wagte sich CSU-Landesgruppenchef Michael Glos mit seiner Verteidigung der herrschenden Praxis vor. Lobbyismus gehöre "zum ganz normalen Geschäft" und jeder müsse "für sich selbst entscheiden, ob er sich abhängig fühlt oder ob von ihm Gegenleistungen erwartet werden". Das zeugt nun von einem Politikverständnis ganz im Sinne Helmut Kohls. Was Recht und Unrecht ist, entscheidet am besten jeder für sich selbst. Und wer könnte das besser als die politische Elite unseres Landes, die sich verbal selbst noch über Bundestag und Bundesverfassungsgericht erhebt, wie der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber.
Diese Arroganz geht zusammen mit einem unerschütterlichen Glauben an den Primat der Wirtschaft. Seit sich dieser Glaube innerhalb der Parteien verbreitet hat, verrohen auch zusehends die Sitten, um es konservativ zu sagen. Auch auf EU-Ebene hat der Lobbyismus ein Ausmaß angenommen, der das nationale noch übersteigt. Es wird Zeit, dass die politische Kultur im politischen Alltag dem Glauben an die Ökonomie gegenüber wieder an Bedeutung gewinnt.