Erst studieren und später zahlen
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Das Bertelsmann nahe Centrum für Hochschulentwicklung will das Bezahlstudium retten. Derweil diskutieren die Grünen über eine weitere Maut für Ausländer
Ab dem Wintersemester 2013/14 müssen auch die bayerischen Nachwuchsakademiker keine Studiengebühren mehr zahlen. Im April 2013 schloss sich die CSU den Gebührengegnern von SPD, Grünen, Piraten und Freien Wählern an, um mit dem drohenden Volksentscheid im Freistaat gleich auch ein störendes Wahlkampfthema zu vermeiden. Allein die bayerische FDP setzte unbeirrt auf die Campusmaut - eine von vielen problematischen Entscheidungen, die direkt in die außerparlamentarische Opposition führten.
In einem Jahr werden die Studiengebühren auch in Niedersachsen abgeschafft. Die neue rot-grüne Landesregierung ließ sich mit der Erfüllung eines ihrer zentralen Wahlversprechen zwar deutlich mehr Zeit, als den Studierenden lieb war, votierte im Juli 2013 dann aber doch für das (möglichst späte) Aus des Bezahlstudiums.
Eine Geldbeschaffungsmaßnahme hält sich Rot-Grün hier allerdings offen. Die sogenannten Langzeitstudierenden sollen auch in Zukunft zahlen. Etwas später und etwas weniger als bisher, doch wer die Regelstudienzeit um sechs Semester überschreitet, muss 500 Euro pro Semester entrichten.
Ansonsten will sich die Landesregierung - wie die aller anderen ehemaligen Gebührenländer - bemühen, die Ausfallsummen, die mitunter in dreistelliger Millionenhöhe liegen, aus Haushaltsmitteln zu kompensieren. Leider hat man dabei nicht überall die steigenden Studierendenzahlen berücksichtigt.
Zahlen wie in Australien
Ende nächsten Jahres wird das Thema Studiengebühren also der Vergangenheit angehören, ohne dass die Frage, wie das chronisch klamme Bildungssystem nachhaltig finanziert werden soll, schon zufriedenstellend beantwortet wäre. Ein schnelles Comeback der Campusmaut ist mit Blick auf den hohen Verwaltungsaufwand und die politische Gesamtwetterlage kaum zu erwarten, auch wenn FDP-Minister (a.D.) sicher noch eine Zeitlang mit der berühmten Krankenschwester auf Reisen gehen werden, die angeblich das Studium ihres Chefarztes finanziert.
Auf diese Situation hat sich das Bertelsmann nahe Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) eingestellt. Dessen Geschäftsführer Jörg Dräger war von 2001 bis 2008 Hamburgs parteiloser Senator für Wissenschaft und Forschung und in dieser Funktion für die Einführung Allgemeiner Studiengebühren in der Freien und Hansestadt verantwortlich. Heute hält er das Projekt für "politisch gescheitert"_. Sachlich sei es aber "eigentlich nicht gescheitert". So sehen es auch Vitus Püttmann und Ulrich Müller, die sich im Auftrag des CHE mit der Frage beschäftigt haben, wie es nach der Abschaffung der Gebühren weitergehen soll.
Die gravierenden Nachteile von Studienbeiträgen (etwa Abschreckungseffekte) sind empirisch nicht belegt. Positive Effekte, etwa eine Minderung der Unterfinanzierung der Hochschulen, eine Qualitätssteigerung der Lehre und eine Verstärkung der Nachfrageorientierung, waren dagegen bereits klar erkennbar.:Vitus Püttmann / Ulrich Müller
Über diese Einschätzung ließe sich trefflich streiten, doch Püttmann und Müller geht es um ein ganz anderes Thema. Sie plädieren für eine Rückkehr zum Bezahlstudium und die Einführung nachgelagerter Studiengebühren, wie sie beispielsweise in Australien erhoben werden. Die Idee besteht - kurz gesagt - darin, dass Studierende erst zahlen, wenn sie nach dem Studium über ein entsprechend hohes Einkommen verfügen. Die Langfassung der beiden Wissenschaftler zeigt allerdings, dass hier nicht unbedingt mit einer unbürokratischen Lösung zu rechnen ist.
Die Grundlogik des australischen Modells lässt sich wie folgt umschreiben: Australische Studierende zahlen ihre Studienbeiträge über ein nachgelagertes ("deferred") Finanzierungsmodell im Rahmen des "Higher Education Loan Program" (HELP), vormals "Higher Education Contribution Scheme" (HECS). Im Falle der nachgelagerten Finanzierung werden die Gebühren vom Staat übernommen und im Namen der Studierenden direkt an die Hochschulen überwiesen. Die sich ansammelnden, mit dem Verbraucherpreisindex verzinsten Schulden werden anhand der Steuernummer des jeweiligen Studierenden bzw. Absolventen vom Finanzamt ("taxation office") nachgehalten, welches auch den Schuldenpool verwaltet. Bei Überschreiten einer bestimmten Einkommensgrenze wird ein mit der Einkommenshöhe variierender Prozentsatz vom Finanzamt solange abgeführt, bis das Darlehen abbezahlt ist. Alternativ können die Studiengebühren auch im Voraus ("up-front") bezahlt werden, dann mit einem Nachlass.
Vitus Püttmann / Ulrich Müller
Für Deutschland schlagen die Forscher ein modifiziertes Verfahren vor, um imageschädigende Begleiterscheinungen - wie etwa die satten Rabatte für Vorab-Zahler, die im australischen System vielfach begünstigt werden - zu vermeiden. Generell solle den Studierenden in Deutschland ohnehin nicht zu viel versprochen werden. Wenn es dann bergab gehe, leide nur die Akzeptanz.
Die konkrete Ausgestaltung eines neuen deutschen Modells sollte insofern am Anfang nicht zu großzügig gestaltet und auch über die Zeit möglichst stabil gehalten werden. Studierende werden durch laufende Modellanpassungen irritiert; v.a. subjektiv als Verschlechterung wahrgenommene Änderungen mindern die Attraktivität einer Studienaufnahme.
Vitus Püttmann / Ulrich Müller
Die Schuldendrohung
Was dem CHE als Rettung vor drohenden Schwierigkeiten in Zeiten der Schuldenbremsen vorschwebt, ist allerdings keine Erfindung aus Gütersloh. In Nordrhein-Westfalen wurde das Modell schon 2010 diskutiert (Studiengebühren: Zahlen nach australischem Vorbild), die Universität Witten/Herdecke praktiziert es seit den 90er Jahren, und als Jörg Dräger zum CHE wechselte, wurden in Hamburg nachgelagerte Studiengebühren bereits eingeführt.
Modellcharakter hatten all diese Versuche nicht. Studierendenvertreter und parteigebundene Gebührengegner bestreiten seit geraumer Zeit vehement die Drägersche Behauptung, dass es sich bei der gestundeten Campusmaut um eine "sozial gerechte Lösung" handele. Vielmehr würden gerade Studieninteressierte aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen durch die Androhung eines späteren Schuldenbergs von einer akademischen Ausbildung abgehalten.
Außerdem seien nachgelagerte Gebühren eigentlich eine "Strafsteuer für Akademikerinnen und Akademiker", meinten die bayerischen Grünen im November vergangenen Jahres.
Die Begrifflichkeit ist bewusst gewählt, denn auch andere Gebührengegner sind der Meinung, dass sich die Finanzierungsprobleme des deutschen Bildungssystems am besten über eine Veränderung der Steuerpolitik lösen ließen. Wäre eine Erhöhung der Vermögenssteuer nicht die gerechteste Form, nachgelagerte Studiengebühren zu zahlen? Und dienen die zahllosen Publikationen des CHE, die sich um eine mehrheitsfähige Gebührenregelung drehen, nicht eigentlich nur dazu, genau diese Steuervariante zu verhindern?