Erster AfD-Landrat: Von "Erdbeben" und "Alarmsignalen"

Der Hauptbahnhaft in Sonneberg, dem Verwaltungssitz des gleichnamigen Landkreises mit knapp 50.000 Wahlberechtigten. Foto: Störfix / CC BY-SA 3.0

Die AfD hat den Wahlkampf im Landkreis Sonneberg mit bundespolitischen Themen gewonnen. Sie inszeniert sich als Anti-Establishment-Partei. Nützen ihr jetzt alarmistische Reaktionen?

Die AfD spricht von einem "blauen Wunder" im Thüringer Landkreis Sonneberg, wo sie nun ihren ersten Landrat stellen wird – der linke Ministerpräsident des Freistaats gibt sich gelassen, während SPD- und Grünen-Politiker die Einheit aller Demokraten gegen die ultrarechte Partei beschwören.

Aus der Stichwahl des Landrats am Sonntag ging der AfD-Kandidat Robert Sesselmann mit 52,8 Prozent als Sieger hervor. Sein CDU-Konkurrent Jürgen Köpper kam nur auf 47,2 Prozent, obwohl – oder weil – vier weitere Parteien, die in dem Bundesland als etabliert gelten, ihn unterstützt hatten: Die Linke, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) wies am Wahlabend darauf hin, dass dies zunächst eine demokratische Entscheidung sei und der Gestaltungsspielraum eines Landrats, der Beschlüsse des Kreistags vollzieht, begrenzt ist: "Er führt eine Verwaltung."

Ansonsten sieht Ramelow den AfD-Wahlerfolg als Signal der Unzufriedenheit: "Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird", sagte der gebürtige "Wessi" am Sonntagabend im ZDF.

Konkurrenz zwischen Benachteiligten als Erklärungsansatz

Das Problem ist seit Jahren bekannt: Auch eine Forschungsarbeit, die im Jahr 2019 veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass Ostdeutsche und Migranten in der Bundesrepublik eine ähnliche Benachteiligung erleben, sich selbst aber auch gegenseitig als Konkurrenten wahrnehmen.

Die Erzählung eines "flächendeckenden braunen Ostens" sei aber "genauso falsch wie die der größtenteils sexistischen und antisemitischen Muslime", erklärte dazu die Soziologin Naika Foroutan vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), das entsprechende Stereotype untersucht hatte.

"In der Konkurrenz um Anerkennung spiegelt sich das Gefühl wider, um den symbolischen zweiten Platz kämpfen zu müssen", stellte die Soziologin damals klar. Eine Erkenntnis, über die in sonst "woken" Kreisen bisher vergleichsweise wenig gesprochen wurde. Möglicherweise profitiert die AfD unter anderem genau von dieser Leerstelle.

Ramelow erinnerte am Sonntag auch daran, dass die AfD ihren Wahlkampf mit bundespolitischen Themen gewonnen habe, auf die der Landrat gar keinen Einfluss hat. Er kann beispielsweise nichts daran ändern, dass Asylsuchende und Geflüchtete von den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes nach festen Quoten auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt werden.

Allerdings dürfte es für Geflüchtete ein beklemmendes Gefühl sein, einem Landkreis zugewiesen zu werden, in dem Stimmungsmache gegen sie zu Wahlsiegen führt – und das Landratsamt hat für die AfD einen hohen Symbolwert.

Die Selbstinszenierung der AfD und was für sie ins Bild passt

Der Thüringer AfD-Rechtsaußenpolitiker Björn Höcke sagte nach Medienberichten am Sonntag bei der Wahlparty, von Sonneberg gehe ein "politisches Wetterleuchten" aus. Seine Partei wolle diesen Schwung für die kommenden Landratswahlen mitnehmen. "Und dann bereiten wir uns für die Landtagswahlen im Osten vor, wo wir dürfte dann wirklich ein politisches Erdbeben erzeugen können."

Angesichts der Selbstinszenierung der AfD als einzig wahre Oppositon und furchterregende Anti-Establishment-Partei könnten ihm alarmistische Reaktionen von SPD und Grünen auf die Landratswahl sogar gefallen haben.

"Das Ergebnis der Landratswahl in Sonneberg ist bestürzend", twitterte etwa die Ko-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. "Und es ist eine Warnung an alle demokratischen Kräfte: spätestens jetzt ist die Zeit, wo – bei allen Streit in der Sache – alle demokratischen Kräfte zusammen die Demokratie verteidigen müssen." Als "Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte" bezeichnete Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier das Wahlergebnis.

Thüringens CDU-Generalsekretär Christian Herrgott befand hingegen: "Mit dem Wahlergebnis ist klar, dass jetzt wir alle die Aufgabe haben, Lösungen gegen diese Art des Protestes gegen Berlin zu finden."

Linke und Linksliberale befürchten bei solchen Aussagen Zugeständnisse an die AfD. Schon die Zustimmung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum EU-Asylkompromiss, mit dem Asylverfahren an die Außengrenzen verlagert werden, wurde teilweise als solches gewertet.

Nach der Stichwahl in Sonneberg stellt sich aber auch die Frage, wie der Teil der Zivilgesellschaft reagiert, der nicht für den AfD-Kandidaten gestimmt hat. Ramelows Parteifreundin Katharina König-Preuss, die im Thüringer Landtag Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik ist, rief am Sonntag dazu auf, in Sonneberg "tolle Vereine, die sich für Geflüchtete, alternative Soziokultur, Menschen mit wenig Geld… engagieren" zu unterstützen. Die Organisationen bräuchten das jetzt "um durchzuhalten", schreib König Preuss auf Twitter. "Vielleicht habt ihr ja etwas Geld übrig."

Im Kreistag, der den Stellvertretenden Landrat und die Beigeordneten wählt, hat die AfD bisher keine Mehrheit. Darauf wies Ramelow am Sonntagabend hin, nachdem der Stuttgarter Linke-Stadtrat Luigi Pantisano in einem Tweet nichtweißen Menschen aus Sicherheitsgründen empfohlen hatte, den Landkreis zu verlassen, in dem nichts aus der Geschichte gelernt worden sei.