Erstes Demoverbot in Heiligendamm
Nach den Razzien zur Verhinderung möglicher gewalttätiger Aktionen durch "terroristische Vereinigungen" wurde nun der für den 7. Juni geplante Sternmarsch von der zuständigen Polizeidirektion nicht genehmigt
Nach der gestrigen Großaktion mit 900 Polizisten in sechs Bundesländern, bei der 40 Wohnungen, Verlage, Büros und Szenetreffs durchsucht und Computer, Datenträger und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt wurden, folgte heute bereits die nächste Maßnahme zum Schutz des G-8-Gipfels.
Die Razzien wurden von der Bundesanwaltschaft aufgrund des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und zur Abwehr angeblich geplanter "Brandanschläge und anderer gewalttätiger Aktionen" durchgeführt. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass die mutmaßliche terroristische Vereinigung mit den geplanten gewalttätigen Aktionen zur Störung und Behinderung des G-8-Gipfels mit zwei Gruppen zusammenhänge, die, ebenfalls als mutmaßliche terroristische Vereinigungen bezeichnet, Brandanschläge in den letzten Jahren durchgeführt haben.
Die Razzien wurden mit der Hilfe von § 129a durchgeführt. Personen wurden keine festgenommen, es heißt auch, die Sicherheitskräfte hätten so viel Material beschlagnahmt, dass die Auswertung einige Zeit dauern werde. Dann ist vermutlich der G-8-Gipfel vorbei und die Triftigkeit der Razzien womöglich kein Thema mehr. Interessant ist auch, dass in dem Durchsuchungsbeschluss als Grund für das Vorgehen die Gefahr beschworen wird, dass "die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich" geschädigt werden könne. In der Zeit macht man sich daher auch über die Bundesanwaltschaft lustig, die mit der staatlichen Rufschädigung einen neuen Terrorismusvorwurf konstruiert habe.
Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei beteuerte in einem Interview zu den Razzien, bevor das Verbot der Demonstration ausgesprochen wurde: "Es war nicht der Anlass, Demonstrationen zu verhindern oder Proteste am G8 zu verhindern. Wir wollen Gewalt verhindern und Kriminalität aufklären."
Zum Grund, warum so unterschiedliche Objekte durchsucht wurden: "Da gibt es Hinweise dafür, sonst würden diese Durchsuchungen nicht stattfinden. Man möge abwarten, was diese Durchsuchungen ergeben haben, man möge auch abwarten, was die Bundesanwaltschaft dann argumentiert, weshalb diese Objekte durchsucht wurden. Da wird es Gründe geben, da können Sie ganz sicher sein."
Zum Hintergrund der Razzia zu dieser Zeit: "Was unterstellt wird, das Polizei und Generalbundesanwälte den Protest irgendwo beeinflussen wollen zum G8-Gipfel oder verhindern wollen, dass dort demonstriert wird, das muss ich sagen ist überhaupt nicht haltbar. Unsere Aufgabe ist, sicherzustellen, dass dort demonstriert werden kann, dass die Menschen ihre Meinung dort vorbringen können. Aber was wir nicht dulden können ist, dass dort Anschläge begangen werden."
Und schließlich darf selbst in diesem Zusammenhang der islamistische Terrorismus nicht fehlen: "Ich schätze die Gefahr sehr groß ein, das will ich ausdrücklich sagen, und zwar von verschiedenen Seiten. Wir haben einerseits Leute, die auch bereit sind, Gewalt zu begehen im Rahmen von so genannten Demonstrationen, wo dann Steine fliegen. Es gibt Leute, die bereit sind, Anschläge zu begehen und es gibt dann natürlich immer noch die Gefahren des islamistischen Terrorismus."
Wie die Welt berichtet, wird bei der Polizei angeblich vermutet, dass sich unter den G-8-Gegnern auch "Gruppen mit Potenzial zum Terror" befänden. Zudem erklärt die Zeitung, dass mit den Razzien Pläne militanter Gegner durchkreuzt werden sollten. Jetzt heißt es, dass sich die Proteste deswegen radikalisieren könnten, Spiegel online meldet sensationslüstern: "Jetzt dreht sich die Stimmung: Die Linke wittert neuen Schwung für die Protestbewegung - und droht mit Gewalt." Belege werden dafür allerdings nicht gegeben, abgesehen davon, dass Kommentare aus Protestorganisationen dahin gehen, dass die Polizeiaktion die Proteste eher stärken könnten.
Es ist, als wollten manche tatsächlich eine Eskalation wie in Genua herbeireden. Die Welt stellte ihren Beitrag daher auch unter den Titel. "G-8-Gegner sollen "Exekutionen" erwogen haben." Dabei soll es um die "Militante Gruppe" gehen, für deren Verbindung zu den durchsuchten Objekten es aber offenbar nur Mutmaßungen gibt, denen man präventiv nachgeht. Im Welt-Artikel heißt es schließlich weiter:
Die MG führt eine "Militanzdebatte", die einer Radikalisierung der autonomen Szene dienen soll. Dabei wird sogar mit Knieschüssen und "Exekutionen von Entscheidungsträgern" aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gedroht. "Einige wenige wie die Militante Gruppe neigen zu Gewalttaten", sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) WELT ONLINE. Aber das sei keine Massenbewegung. "Wir stellen eine stärkere Politisierung fest, aber insgesamt keine stärkere Militanz."
Ganz augenscheinlich gibt es hier keine konkrete Verbindung zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel, gleichzeitig gibt Körting eher Entwarnung, was aber die Welt nicht davon abhält, die Angst vor der Gewalt zu schüren und den Verdacht zu stärken. Körting warnte davor, die Proteste zu kriminalisieren: "Demonstrationen und auch Kampagnen für Demonstrationen sind ein Teil unserer Demokratie." Die vielen Menschen, die Fragen stellen, dürfe man nicht mit den wenigen, die kriminell sind, in einen Topf werfen.
Genau das aber scheint nun die Folge zu sein. Gestern hat die für den Gipfel in Heiligendamm zuständige Polizeidirektion Kavala den von dissentnetzwerk.org für den 7. Juni geplanten Sternmarsch auf Heiligendamm nicht genehmigt. Auf fünf Strecken wollten die Demonstranten nach Heiligendamm marschieren und eine zentrale Kundgebung vor dem Gelände des Gipfels abhalten, das mit einem 12,5 Millionen Euro teuren Sicherheitszaun von 13 km Länge versehen wurde. Begründet wurde das Verbot damit, dass die Teilnehmer - erwartet wurden 11.000 - Rettungs- und Zufahrtswege blockieren könnten und Ausweichstrecken nicht akzeptiert hätten. Es gebe auch Hinweise auf Blockaden und gewalttätige Ausschreitungen.
Während der Zeit, in der auch der Alternativgipfel in Rostock stattfindet, sind vom Block G8 für den 6. und 7. Juni Blockaden der Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm - eine Massenblockade und dezentrale Blockaden - angekündigt worden. Dadurch sollen "Diplomaten, Übersetzer und Versorgungsfahrzeuge" nicht mehr zum Gipfel gelangen, der von seiner "Infrastruktur" abgeschnitten werden soll. Zur Gewalt wird nicht aufgerufen, die Blockaden sollen "bürgerlichen Ungehorsam" darstellen.
"Es ist organisatorisch möglich, einen Teil der Straßen für den Protest zur Verfügung zu stellen und dennoch Rettungswege offen zu halten", sagte Peter Kromrey vom Vorbereitungs-Bündnis, das Klage beim Verwaltungsgericht einreichen will. Mit dem Verbot wird deutlich, dass nicht nur der mit einem Sicherheitszaun abgegrenzte und von Tausenden Polizisten bewachte Veranstaltungsort, sondern auch die weitere Umgebung zur protestfreien Zone gemacht werden soll. Aus den Gesprächen mit der Polizei habe sich ergeben, dass die protestfreie Zone bis zu den Orten Kühlungsborn, Kröpelin, Bad Doberan und Nienhagen reichen soll, von denen aus der Sternmarsch starten sollte. Für die Großdemonstration am 2. Juni werden bis zu 100.000 Menschen erwartet. Am 7. Juni wird das von Herbert Grönemeyer organisierte Konzert vermutlich einige Zehntausend Menschen anlocken.