Erwin Schrödingers Sternstunde

Seite 2: Worüber Einstein und Schrödinger nie gesprochen haben

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Einstein hatte 1911 eine Formel, angegeben, mit der sich die bekannten Effekte der Relativitätstheorie prinzipiell ebenfalls beschreiben ließen (vgl. Einsteins verlorener Schlüssel):

Diese Formel besagt nichts anderes, als dass sich die Lichtgeschwindigkeit c in der Nähe der Sonne nur um eine Winzigkeit von der "normalen" Lichtgeschwindigkeit c0 unterscheidet, nämlich um einen Faktor, der nur ein wenig kleiner als 1 ist und in dem das Gravitationspotenzial und wieder die Lichtgeschwindigkeit vorkommen.

Der Bezug zur Kosmologie, den erst Schrödinger herstellte, besteht darin, den rechten Teil der Gleichung nicht nur auf die Sonne, sondern auf alle Massen im Universum anzuwenden. Hätte Einstein diesen Gedanken schon gehabt, oder hätte er sich später mit Schrödinger ausgetauscht, wäre die Geschichte der Kosmologie höchstwahrscheinlich anders verlaufen. Denn der Bezug zum Machschen Prinzip, den Schrödinger formuliert hatte, hätte zu einem anderen Modell geführt als die geometrische Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie, die sich ab 1919 durchgesetzt hatte.

Es bleibt aber die historisch interessante Frage, ob Einstein die Koinzidenz

kannte. Auch wenn er diese Idee nicht ausformuliert hatte, hatte er wenigstens einmal daran gedacht? Offenbar schon! Zwar ist weder in Einsteins Veröffentlichungen noch in seinen Briefen von dieser Vermutung die Rede, doch in seinen Gesprächen mit Alexander Moszkowski3, die dieser in seinen Erinnerungen festgehalten hat (übrigens eine höchst vergnügliche zeitgeschichtliche Lektüre) findet sich eine bemerkenswerte Passage:

Es ist Einstein gelungen, die Maße dieses nicht-unendlichen Universums approximativ festzustellen; nämlich daraus, daß in der Welt eine bestimmbare Gravitationskonstante vorhanden ist… . Er setzt ferner eine Wahrscheinlichkeitshypothese für die Verteilung der Materie dergestalt, daß die durchschnittliche Dichtigkeit der Gesamtmasse etwa die der Milchstraße ist. Hieraus ergeben sich für Einstein folgende rechnungsmäßig bestimmte Maße: Das gesamte Universum besitzt einen Durchmesser von rund 100 Millionen Lichtjahren.

Alexander Moszkowski

Einsteins unbekannte Rechnung Diese Aussage ist höchst bemerkenswert. Einstein benutzte offenbar einen Schätzwert für die Dichte (Masse pro Volumen) der Milchstraße, den die Astronomen damals schon angeben konnten4, um die Ausdehnung des Kosmos abzuschätzen. Nur gibt es eigentlich keine Möglichkeit, aus der Dichte ρ, die proportional zu M/Ru3 ist, die Ausdehnung Ru abzuschätzen, es sei denn, Einstein vermutete zusätzlich die Koinzidenz:

Kombiniert man die beiden Formeln, so kann Einsteins Abschätzung, von der Moszkowski spricht, nur

gelautet haben. Verwendet man den damals ermittelten Wert für die Dichte ρ der Milchstraße (die fast millionenfach größer ist als die des Universums), so erhält man ziemlich genau den von Moszkowski zitierten Wert. Einstein muss also den Zusammenhang gekannt haben, ohne dass er je direkt davon gesprochen hat!

Allerdings ist es nicht leicht, den Zeitpunkt dieser Einsicht zu datieren, die Mozkowski um 1919 aufgeschrieben hat. Er spricht von einem Bezug zu den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der vom 8. Februar 1917 datiert, fügt aber hinzu, dass Einstein damals den Gedanken noch nicht ausgeführt hatte. In diesem relativ bekannten Artikel von 1917 "Kosmologische Betrachtungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie" finden sich nur indirekte Hinweise auf diese Rechnung.

Der Kontext des Artikels deutet aber darauf hin, dass Einstein hier den Zusammenhang

ganz anders aufgefasst hat als Schrödinger. Einstein hat offenbar nicht das Gravitationspotenzial mit einbezogen und an dieser Stelle auch keinen Bezug zum Machschen Prinzip deutlich gemacht, obwohl die Ähnlichkeit ins Auge springt. Jene Formel, die die Gravitationskonstante durch das Gravitationspotenzial der entfernten Massen ausdrückt, ist ja nichts anderes als die in quantitative Form gegossene Vermutung, diese Massen seien der Ursprung der Gravitation. An dieser Stelle verfehlte es Einstein, den ganz großen Zusammenhang herzustellen.

Die Behauptung, eine Synthese der Ideen von Einstein und Schrödinger hätte die Kosmologie revolutionieren können, bedarf noch weiterer Ausführungen5 und mag auch dann noch auf Skepsis treffen. Unbestreitbar ist jedoch, dass die beiden Veröffentlichungen von 1911 und 1925 bisher unerkannte Zusammenhänge aufweisen.

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Vom Urknall zum Durchknall" wurde 2010 von "Bild der Wissenschaft" als Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet. In seiner Kolumne "Hinterfragt" bei Telepolis greift er mit einem kritischen Blick Themen rund um die Physik auf. Im November 2015 erschien sein Buch "Einsteins verlorener Schlüssel - Warum wir die beste Idee des 20.Jahrhunderts übersehen haben".

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