"Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben"

Seite 2: "Frieren für den Frieden" oder: Soziale Ungleichheit bedroht Demokratien von innen

Sie befürchten eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung?

Gerhard Trabert: Leider ja. Den aktuellen Ruf nach Aufrüstung der Bundeswehr kann ich ja zum Teil verstehen. Was mir gar nicht gefällt: Dass dies direkt im Grundgesetz festgeschrieben werden soll. Wozu diese bevorzugte Sonderbehandlung des Militärischen? 100 Milliarden Euro für Rüstung; warum dann nicht auch 100 Milliarden für Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit – mit einer Finanzierung, die ebenfalls im Grundgesetz verankert ist.

Das Thema "sozialer Friede im Inland" wird mal wieder total unterschätzt. Wenn Ex-Bundespräsident Gauck "Frieren für den Frieden" fordert, dann zeugt das genau von dieser Ignoranz. Der liebe Herr Gauck wird sicher nicht frieren – und ich auch nicht.

Am Ende wären es wieder die Ausgegrenzten, die Benachteiligten, die Armen, die die Folgen solcher Vorschläge tragen müssten.

Was wäre Ihrer Meinung nach nötig?

Gerhard Trabert: Man sollte angesichts der aktuellen Preissteigerungen den Hartz-4-Satz sofort um mindestens 100 € erhöhen.

Es ist fatal mal wieder nicht mitzubedenken, dass durch die aktuellen Entwicklungen noch mehr Menschen in Armut geraten, und die Lebenssituation für Arme noch prekärer wird. Wenn man jetzt das Thema soziale Gerechtigkeit aus dem Fokus nimmt, muss man damit rechnen, dass man Menschen, die bislang gar nicht ideologisch geprägt waren, verliert. Weil sie total enttäuscht sind von dieser Demokratie und von diesem Staat.

Ich vermute, dass die Leute, die Krisensituationen gerne für ihre rechtsgerichtete Ideologie instrumentalisieren, schon in den Startlöchern stehen.

Gerhard Trabert: Genau. Wenn eine Gesellschaft nicht für sozialen Frieden sorgt, dann ist sie in meinen Augen genauso gefährdet, wie von außen durch einen Despoten.

Eines der schönsten Erlebnisse in meinem Bundestagswahlkampf war, dass viele Wohnungslose mir gesagt haben, sie seien zum ersten Mal wählen gegangen. Es ist nicht wichtig, ob sie mich gewählt haben, sondern dass sie an unserer Demokratie teilgenommen haben.

Genau das meine ich, wenn ich immer wieder sage: Hinschauen nicht Wegschauen. Wenn du dich wahrgenommen fühlst, wenn du dich respektvoll behandelt fühlst, wenn du von diesem Staat ein Existenzminimum bekommst, das wirklich eine Partizipation ermöglicht, dann stabilisiert das unsere Demokratie von innen.

Die schwindelerregenden Ausgaben fürs Militär dürfen nicht zu Lasten der Ärmsten in unserer Gesellschaft gehen. Im Gegenteil sollte für die Industriezweige, die von steigenden Rüstungsausgaben profitieren, eine Solidaritätsabgabe eingeführt werden.

Es wird wirtschaftliche Gewinner und Verlierer geben. Die Aufgabe des Staates liegt darin, für eine sozialverträgliche Umverteilung zu sorgen. Das hat nichts mit Sozialismus und Kommunismus zu tun. Das sind staatliche Basisaufgaben einer sozialen Marktwirtschaft.