"Es darf nicht sein, dass die CDU eine Regierungsbildung blockiert"
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt über die Lage der Partei nach Thüringen, die Bewerbung Norbert Röttgens für den Parteivorsitz und den Umgang mit der "Werte Union"
Herr Patzelt, Ihr Parteikollege Norbert Röttgen hat bekannt gegeben, dass...
Martin Patzelt: ...Ein Freudentag!
Sie sind ja ganz euphorisch.
Martin Patzelt: Ja, ich habe mich riesig gefreut.
Soll das heißen, Herr Röttgen ist Ihr Favorit auf den Parteivorsitz?
Martin Patzelt: Ja, ich bin froh, dass er sich bewirbt. Wie es aussieht, werden wir mindestens vier Kandidaten zur Auswahl haben. Das ist doch wunderbar.
Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn haben ihre Kandidaturen noch nicht offiziell bestätigt.
Martin Patzelt: Ich gehe davon aus, dass alle drei kandidieren wollen und sich bereits Strategien zurechtgelegt haben. Dass sie die Gespräche mit Frau Kramp-Karrenbauer abwarten, ist keine Überraschung.
Was schätzen Sie an Norbert Röttgen?
Martin Patzelt: Er ist in der Fraktion immer aufgefallen durch seine klugen Beiträge. Er ist zurückhaltend, seriös und denkt stets nachhaltig. Er würde frischen Wind reinbringen. Ich traue ihm zu, die CDU zu führen. Es zeugt von Mut, Stärke und enormen Selbstvertrauen, wenn ein Politiker sagt: Ich stelle mich dem Wettbewerb, ich will das unbedingt machen! Ebenfalls nicht unwichtig: Röttgen hat Regierungserfahrung.
Die in den vergangenen Tagen viel diskutierte "Teamlösung" wird nun schwierig.
Martin Patzelt: Wir wissen nicht, welche Konstellation sich ergeben wird.
Welches Prozedere halten Sie für sinnvoll?
Martin Patzelt: Da bin ich noch unentschieden. Es wäre mir aber ein Graus, wenn wir das Prozedere der SPD nachmachten. Das müssen wir anders hinkriegen.
Röttgen selbst hat erneut eine rasche Lösung für den künftigen Parteivorsitz verlangt. Welchen Zeitplan halten Sie für realistisch?
Martin Patzelt: Das weiß ich nicht. Mal schauen, wer sich noch alles bewirbt und wie wir Transparenz herstellen. Klar ist: Wir können nicht bis Dezember warten; die Erwartungshaltung und der Druck werden weiter zunehmen.
"Die Polarisierung in der Partei macht es in der Tat schwierig"
Apropos Transparenz, in diesen Tagen fällt häufig das Wort Hinterzimmerdeals ...
Martin Patzelt: ... Es ist kein Geheimnis, dass die CDU hierarchischer strukturiert ist als andere Parteien. Ich gehe aber davon aus, dass es nun einen echten Wettbewerb geben wird. Übrigens, Herr Röttgen wird auch ein guter und wertvoller Abgeordneter bleiben, wenn er diese Wahl nicht gewinnt.
Was hielten Sie von einem Duo?
Martin Patzelt: Davon bin ich nicht überzeugt. Das bekannte Modell hat sich bewährt.
Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann sagte kürzlich, die CDU sei gespalten wie selten zuvor.
Martin Patzelt: Die Polarisierung in der Partei macht es in der Tat schwierig. Das war auch das Problem von Frau Kramp-Karrenbauer, sie hat sich irgendwann davon überfordert gefühlt.
"Herr Merz vertritt einige Positionen, die aus dem vorigen Jahrhundert stammen"
Vor allem Friedrich Merz polarisiert in der Partei.
Martin Patzelt: Herr Merz vertritt einige Positionen, die aus dem vorigen Jahrhundert stammen. Ich sehe nicht, dass er die CDU einen könnte. Frau Kramp-Karrenbauer dagegen hat in den vergangenen Monaten versucht, die Flügel zusammenzubringen. Es war schon damals, bei der Berufung des Generalsekretärs, auffällig, wie wichtig ihr ist, alle in der Partei mitzunehmen. Ich hätte sie gern als Kanzlerin gesehen, leider wurde der Druck zu groß. Sie hat das erkannt und ihre Konsequenzen gezogen. Es passte einfach nicht, das ist schade.
Röttgen hatte sich in Nordrhein-Westfalen 2010 gegen Armin Laschet in einem Mitgliederentscheid um den CDU-Vorsitz durchgesetzt. Was antworten Sie jenen, die sagen, die jetzige Kandidatur Röttgens sei eine verstecke Provokation für Armin Laschet?
Martin Patzelt: Das sehe ich gar nicht so. Herr Röttgen ist nie dadurch aufgefallen, dass er für ein Lager spricht oder sich einem zugehörig fühlt. Er ist unabhängig unterwegs. Das gefällt mir. Vielleicht zieht ja Herr Laschet seine Kandidatur zurück, nachdem sich Herr Röttgen gerade beworben hat.
Ist Norbert Röttgen ein Einzelgänger?
Martin Patzelt: Soweit würde ich nicht gehen. Er hat aber einen klaren Kurs, den er nicht einfach so verlässt, nur weil es gerade opportun erscheint. Wenn er es für wichtig hält, kritisiert er auch Frau Merkel, allerdings nie auf eine unfaire oder unangemessene Art. Er ist loyal - hat aber einen eigenen Kopf. Lagerdenken ist ihm immer zuwider gewesen. Er ist zudem ein Stratege, der den Parteivorsitz bislang nicht angestrebt hat.
Wie kommen Sie darauf?
Martin Patzelt: Ich habe ihn vor zwei Jahren schon mal gefragt: "Warum streben Sie nicht eine Kanzlerschaft an?"
Was hat er Ihnen geantwortet?
Martin Patzelt: Das sei jetzt nicht die Frage, so was interessiere ihn zurzeit nicht. "Wir haben eine gute Kanzlerin." Er redete damals leidenschaftlich über seine Überzeugungen und politische Inhalte. Ich nehme ihm ab, dass er erst vor Kurzem den Entschluss gefasst hat, als Parteichef zu kandidieren. Die Lage der CDU bereitet ihm offensichtlich große Sorge.
Für viele kam Röttgens Bewerbung überraschend. Fehlt es ihm nicht an Rückhalt und Gefolgschaft?
Martin Patzelt: Ach, es spricht doch für ihn, dass er sich nicht vorab ein eigenes Unterstützerteam aufgebaut hat. Da sind Herr Merz und Herr Spahn deutlich eifriger unterwegs.
Ist es ein Problem, dass alle vier Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen kommen?
Martin Patzelt: Nein, NRW ist ein großes Bundesland und folglich ein wichtiger Landesverband. Wir sollten immer denjenigen Kandidaten wählen, der am besten vermittelbar ist und unser Land gut in die Zukunft führt.
Was kann Röttgen, was Merz, Spahn und Laschet nicht können?
Martin Patzelt: Ich schätze Herrn Spahn sehr. Auch er ist mutig und verfolgt einen klaren Kurs. Er ist jung, er hat noch Zeit. Herr Laschet ist ein guter Ministerpräsident, der vermutlich auch wegen der aktuellen Situation kandidierte ... ach ... das muss jetzt reichen. Ich möchte jetzt keine Haltungsnoten vergeben oder alle Stärken und Schwächen aufzählen. Eines steht für mich fest: Röttgen wird noch viele überraschen.
Würden Sie es begrüßen, wenn auch eine Frau kandidierte?
Martin Patzelt: Das würde der Partei in der Tat gut zu Gesicht stehen. Allerdings haben wir in der CDU nun wirklich keinen Nachholbedarf, wenn es darum geht, Frauen Führungsverantwortung zu übertragen. Die Partei hat in den vergangenen Jahren nicht den Eindruck vermittelt, sie würde Frauen nicht ranlassen, wenn wir schon jahrelang eine Kanzlerin und gegenwärtig eine Parteivorsitzende haben.
"Es darf in der Politik nicht vorrangig nach Gefühlen gehen"
Herr Patzelt, was muss anders werden in der CDU?
Martin Patzelt: (Überlegt) Die Partei muss mit Krisen besser umgehen. Wir sollten nicht dogmatisch an alten Positionen festhalten, die einer Weiterentwicklung im Weg stehen, sonst wird uns die Wirklichkeit immer wieder überraschen - und wir stehen am Ende als Verlierer da. Wir dürfen nicht die Getriebenen sein, sondern müssen zu jeder Zeit handlungsfähig sein. Das soll nicht heißen, dass wir unsere Werte und Grundüberzeugungen über Bord werfen, nein, es geht um Positionen, die pragmatischen Lösungen im Weg stehen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Martin Patzelt: Thüringen, Minderheitsregierung - ja oder nein? Fakt ist: Wir haben die Wahl verloren. Ich halte es daher für unklug, so aufzutreten, als hätten wir sie gewonnen. Der Wähler hat entschieden - und wir sollten uns in diese Rolle fügen. Das ist Demokratie. Es darf nicht sein, dass die CDU eine Regierungsbildung blockiert. Solche taktischen Spielchen nimmt uns der Wähler zu Recht übel.
Viele Ihrer Parteikollegen in Thüringen sagen, sie hätten ein großes Problem damit, eine Partei zu wählen oder zu tolerieren, der noch immer ehemalige SED-Funktionäre angehören.
Martin Patzelt: Ich verstehe die Kollegen sehr gut. Und ich habe ähnliche Gefühle. Ich komme aus der Bürgerbewegung und habe in der DDR (Pause): gelitten. Ein Wort, das ich ungern benutze, aber wie soll ich es sonst auf den Punkt bringen? Ich habe damals meinen Studienplatz verloren und das Regime nie als meine Regierung anerkannt. Die Emotionen vieler Kollegen in Thüringen kann ich nachvollziehen. (Anm. d. Red.:In der DDR hatte er nicht Medizin studieren dürfen, weil er sich nicht zum Dienst mit der Waffe in der NVA verpflichtete.)
Aber?
Martin Patzelt: Wir gehören einer Volkspartei an. Und es darf in der Politik nicht vorrangig nach Gefühlen gehen. Es sollte stets unser Anspruch sein, politische Lösungen zu suchen, auch wenn die Situation noch so verfahren wirkt. In einem Satz: Wir alle müssen das Land regierungsfähig machen, und zwar mit einem Kompromiss, der uns am wenigsten schmerzt. Ich sage ja nicht, dass das leicht ist. Aber wir dürfen nicht in Schockstarre verfallen und zu allem Nein sagen.
Die frühere Ministerpräsidentin Lieberknecht steht nach eigenen Angaben nicht mehr als Übergangs-Regierungschefin zur Verfügung. Sie sagte, sie habe nur für den Vorschlag ihres Nachfolgers Ramelow zur Verfügung gestanden. Der Widerspruch zur CDU, die keine schnellen Neuwahlen wolle, lasse sich nicht auflösen. Wie soll es jetzt weitergehen in Erfurt?
Martin Patzelt: Ich interpretiere das so, dass Frau Lieberknecht eine Regierungsbildung nicht durch neue Forderungen der CDU erschweren möchte. Es wird zurzeit ja, Gott sei Dank, weiter verhandelt. Klar ist: Der Schaden ist sehr groß. Stillstand in Thüringen, das kann doch niemand wollen. Dass Herr Ramelow seit längerem seine Wiederwahl plant, war und ist doch allen klar. Das dürfte ihm keiner verübeln.
Die Thüringer Linkspartei liegt in den aktuellen Umfragen derzeit bei 39-40 Prozent.
Martin Patzelt: Ja, so ist das nunmal. Aber auch das kann sich jederzeit ändern. Gerade deshalb sollte die CDU deutlich machen, dass sie realitätsbewusst zu einer Lösung verhilft. Der Wähler wird das sehr gut einzuschätzen wissen.
"Die WerteUnion ist rückwärtsgewandt und tut der CDU nicht gut"
Zum Abschluss, Herr Patzelt, noch zwei Fragen zur "WerteUnion". Wie sehr schadet sie der CDU?
Martin Patzelt: Sie schadet uns, ganz klar. Ich teile deren Positionen nicht, dennoch bin ich dagegen, die Mitglieder zu beschimpfen. Wir müssen uns mit den Argumenten auseinandersetzen. Die "WerteUnion" hat ja nicht nur die Funktion eines Mahners, der strikt an alten Traditionen festhält, sondern sie spricht auch die Gefühle von Wählern an, die schon länger unzufrieden sind. Und hier zeigt sich wieder, Gefühle allein reichen nicht aus. Ich halte mich für wertkonservativ und sage trotzdem den Satz, die "WerteUnion" ist rückwärtsgewandt und tut der CDU nicht gut.
Einige Ihrer Kollegen fordern den Ausschluss der "WerteUnion" aus CDU und CSU.
Martin Patzelt: Das wäre ein Fehler. Wir sollten, da nicht einmal alle CDU-Mitglieder sind, mit deren Kritik auseinandersetzen. Es wäre verheerend nur zu sagen: Ihr gehört nicht mehr dazu. Nein, so geht das nicht gut aus. Ich setze da eher auf die Einsicht derer, die sagen, die CDU sei nicht mehr ihre Heimat. Sie können die Partei jederzeit verlassen. Aber rausschmeißen? Nein, das wäre unklug. Wir müssen solche Inhalte in den Diskurs bringen. Jeder sollte selbst erkennen, wo er steht, wo er hingehört und wo er mitmachen will.
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