"Es gibt Leute, die haben noch viel mehr Angst als wir"

Ein graphischer Roman beunruhigt Ägyptens Offizielle

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Die ägyptische Staatsmacht „is not amused“. Weder über die Lust der Ägypter auf Streiks und Proteste – noch über Magdy Al-Shafees Comic „Metro“.

“Metro“

Am 15. April erstattete die ägyptische Polizei dem Kairoer Verlagshaus „Malameh“ einen Besuch ab. Den Verlagsinhaber, Muhammad al-Sharakawi, dürfte dies nicht in seiner Arbeit unterbrochen haben, da er bereits im Gefängnis sitzt. Gemeinsam mit diversen Bloggern soll er im Internet zu dem Streik am 6. April aufgerufen haben, bei dem die größte Textilfabrik des Mittleren Ostens, rund 150 von Kairo entfernt, aus Protest zu Dumpinglöhnen, steigenden Lebenskosten und korrupten Managern bestreikt werden sollte.

Angesichts des massiven Polizeiaufkommens musste der Streik zwar abgebrochen, doch rief unter anderem eine bislang 1300 Mitglieder starke Facebook-Gruppe morgen zu einem neuen Generalstreik auf, an dem zugleich Ägyptens US-gestützter Diktator Husni Mubarak seinen 80. Geburtstag feiert.

Bei „Sadat“ einsteigen, bei „Mubarak“ aussteigen

Darum aber ging es den Polizisten am 15. April nicht. Vielmehr wollten sie die Restexemplare eines Büchleins einsammeln – und zwar eines besonderen: „Metro“, so sein Titel, ist Ägyptens erster „graphischer Roman“. Vor etwas über einem Jahr erschienen, verstößt er, wie die ägyptischen Gummiparagraphen nun klar belegen, gegen die guten Sitten – allein schon aufgrund seiner sprachlichen Ausdrucksweise, die sich statt im Hocharabischen im Dialekt bewegt.

Dem Schöpfer von „Metro“ schwante wohl schon dergleichen: „Nur für Erwachsene“ schrieb Magdy Al-Shafee auf das Cover seines kleinen Kunstwerks, das teilweise ins Englische übersetzt wurde. Nun ist es tatsächlich immer noch ein mittleres Wagnis in arabischen Printmedien die Umgangssprache einzusetzen, die oft nicht einmal grammatikalische und somit drucktechnische Entsprechungen findet. Lässt man dann noch Straßenausdrücke – es müssen nicht einmal Zoten sein – einfließen, hat man ein Problem. Dabei gibt „Metro“ nichts wieder, was nicht gängiger ägyptischer Alltag ist – und genau das scheint die Gesetzeshüter wohl am meisten zu stören.

Da sind die Massen, die sich - fest im Würgegriff von wirtschaftlicher Rezession und staatlicher Repression – durch Kairos überquellende Straßen wälzen. Da sind die angeheuerten sexuellen Belästiger, die demonstrierende Journalistinnen schnell mit ein paar Klapsen auf die entsprechenden Stellen auseinanderscheuchen. Da sind die verstörenden Bilder im Fernsehen – zur Entstehungszeit von „Metro“ waren es vor allem die der israelischen Armee und ihren zerstörungswütigen Bombardierungen des Libanon im Juli 2006. Da ist Ägyptens Fußballidol Mohammed AbuTreika, an dem sich die Armen und klein Gehaltenen hochziehen. Da ist die ganze Palette an Korruption, Missbrauch, Gangkriminalität und natürlich – die zahlreichen Metro-Stationen, von denen jede den Namen eines ägyptischen Staatsoberhauptes trägt.

Der Trick mit der Falle

Und da gibt es den Helden der Geschichte, den jungen Ingenieur Schihab, der gnadenlos pleite ist und bereits auf Seite eins fest stellt, dass er nicht weiß, wohin mit seinem ganzen Ärger. Bis ihm die Erleuchtung kommt: er kann ihm entrinnen, indem er ein Verbrechen begeht, genauer: eine Bank ausraubt. Denn – so erklärt Schihab seinem Freund Mustafa und letztendlichem Komplizen die Theorie:

Wir alle sitzen in einer Falle, die im Prinzip einen Ausgang hat. Das beweisen die großen Bonzen, die außerhalb der Falle sitzen. Was uns, die kleinen Leute, demnach abhält, ist unsere Angst. Fassen wir uns aber den Mut, uns zu befreien, merken wir, dass es Leute um uns gibt, die noch viel mehr Angst haben…

Es wundert nicht, dass Ägyptens Offizielle angesichts solcher subtilen Aufrufe zum Aufstand, Atembeschwerden bekommen.

Fünf Jahre lang arbeitete Magdy Al-Shafee an den 92 Bildern, in denen sich sein talentierter, aber vom Schicksal wenig begünstigter Held und dessen witziger Kumpel durch das ultra-moderne und doch so deprimierende Kairo schlagen. Für den jungen Al-Shafee, der als Apotheker begann, ist es nach der Kindercomic-Serie „Yasmine und Amina“ die zweite Arbeit, in der er mit Wort und Bild arbeitete.

Weitermachen will er – Beschlagnahmung hin oder her – in jedem Fall. Inspiration hat er schließlich genug: erstens leitet er gegenwärtig einen Workshop in Kairos Townhouse Kunstgalerie, in dem zwölf Künstler gemeinsam einen graphischen Roman entwickeln wollen und zweitens könnte seine zweite Scheidung ins Haus stehen, wie er gegenüber der ägyptischen „Daily News“ erzählt. Sollte das immer noch nicht genügend Stoff hergeben, genügt der Blick aus dem Fenster – auf Kairos alltäglichen Wahnsinn. Spätestens beim morgen geplanten Generalstreik dürfte er wieder geballt zu genießen sein.