Es gibt kein richtiges Landwirtschaften im Falschen

Bild: Christopher Stark

Anfang Februar 2020 ist ein an die Agrargenossenschaft Welsickendorf (AGW) gerichteter offener Brief bei Telepolis erschienen. Hierin wurden die halbherzigen Bemühungen der Genossenschaft im Bereich von Ökologie, Nachhaltigkeit und Tierschutz kritisiert. Ortstermin bei der Agrargenossenschaft

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Der klärende Termin bei der Agrargenossenschaft sollte ursprünglich Ende März stattfinden, wurde aber auf Anfang Juni verschoben. Bezüglich des Besuchs soll in diesem Artikel dargelegt werden, welche Positionen im direkten Dialog ausgetauscht wurden, was hieraus zu schließen und welche politischen Folgerungen abzuleiten sind.

Die Agrargenossenschaft Welsickendorf liegt in einem kleinen Brandenburger Dorf südlich von Berlin. Das Gespräch fand zwischen dem Autor und dem Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft statt (der seit knapp 20 Jahren dort arbeitet) - und es ist in diesem Artikel sortiert nach Themen aufgearbeitet.

Zunächst war eine gewisse Verärgerung über den offenen Brief erkennbar, in dem der Genossenschaft nach eigenem Empfinden Greenwashing vorgeworfen worden sei; ein Vorwurf, den man zurückweist. Das Gespräch war dann aber sehr lang und wurde in großer Offenheit geführt.

Zunächst sei als Rahmen erläutert, um was für einen Agrarbetrieb es sich bei der AGW handelt: Die zu DDR-Zeiten bestehende Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) wurde nach der Wende in eine Genossenschaft mit heute 72 Mitgliedern umgewandelt. Die Genossen bzw. Mitglieder halten Anteile am Unternehmen, wobei nicht alle Angestellten auch Mitglieder sind. Es gibt einen Aufsichtsrat, einen Vorstand und einen Vorstandsvorsitzenden. Über wesentliche Richtungsentscheidungen wie beispielsweise Investitionen über 25.000 Euro wird in der Mitgliederversammlung demokratisch abgestimmt. Gewinne werden an die Mitglieder ausgezahlt, soweit welche anfallen und ein Teil der Gewinne fließt in einen Fonds, der immer dann angezapft wird, wenn ein Mitglied die Genossenschaft verlässt.

Es handelt sich also um ein recht demokratisches Gebilde, das sehr stark in lokalen Kontexten verankert ist; allerdings nicht, wenn es um die geographische Verteilung der erzeugten Agrargüter geht, aber dazu später mehr. Man betont immer wieder die regionale Integration und Hilfsbereitschaft gegenüber Nachbarn und Ehrlichkeit in Bezug auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.

Die bewirtschafteten Böden sind eher mittel bis schlecht, wie in Brandenburg typisch, mit einer durchschnittlichen Bodenwertzahl von 34. Von den 1500 ha Gesamtfläche sind 40% künstlich beregnet. Kein Wunder, denn die Region gehört mit durchschnittlich 554 mm / Jahr Niederschlag zu den trockensten der Bundesrepublik. Man baut vor allem Getreide, Raps, Kartoffeln und Mais an und hält 350 Milchkühe in reiner Stallhaltung.

Insgesamt sieht sich die Agrargenossenschaft mit steigenden Kosten und sinkenden Subventionen konfrontiert und man scheint finanziell mit dem Rücken zur Wand zu stehen.

Kleine Bemühungen um Ökologie und Nachhaltigkeit

In der Selbstwahrnehmung der AGW ist man nicht so schlecht, was ökologische Bemühungen angeht. Das sind vor allem:

  • Dünger, also vor allem Gärreste aus der Biogasanlage werden in den Boden eingearbeitet, was die Düngermenge senke. Auch sind Gärreste besser für die Umwelt als Gülle
  • Beim Anbau von Getreide (ca. 50% der Flächen) versucht man, den Einsatz von Stickstoff als Dünger zu reduzieren
  • Mais mache nur 13% der Flächen aus, weniger als zu DDR-Zeiten, auch weil die Kühe heute mehr Ertrag lieferten
  • Man baue eine breit gestreute Palette von Feldfrüchten an
  • Man verwende Untersaaten, um Erosion zu minimieren und die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen
  • Man verfügt über 5 ha Blühflächen für Insekten
  • Man macht sich aus ökologischen Gründen Gedanken über nicht zu lange Transportwege - etwa für Milch zur Molkerei (der mag zwar kurz sein, der Export-Weg nach China hingegen eher nicht)
  • Es wird kein Gen-Futter bzw. Soja aus Brasilien für die eigenen Kühe verfüttert

Reichen diese Punkte auf der Haben-Seite aus? Man könnte sagen, das sind überwiegend keine ökologischen Maßnahmen, sondern Maßnahmen, die auch aus rationell-konventioneller Sicht sinnvoll sind. Wobei es sicherlich konventionelle Landwirte gibt, die weniger Rücksicht auf die Natur nehmen.

Die Eigenwahrnehmung scheint zu sein, dass man bereits recht viel getan habe in Richtung Ökologie. Man will aber eine kurz- bis mittelfristige vollständige Umwandlung des Hofs in einen Öko-Betrieb nicht so recht als Ausweg sehen. Die Mentalität wird vom Autor so wahrgenommen, dass das Koordinatensystem der Agrargenossenschaft immer exakt an der Mitte des Mainstreams ausgerichtet ist. Wird über Ökologie in der Öffentlichkeit diskutiert, macht man ein Bisschen mit, aber nicht zu viel. Wird der Druck erhöht, gibt man ihm ein Stück weit statt, aber man schreitet nicht voran; man unternimmt kaum mehr, als im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben oder des gesellschaftlichen Drucks unbedingt angezeigt.

Ökologische Landwirtschaft?

Die Umstellung von 10% der Fläche (150 ha) ist bei der AGW aktuell in Planung, sei aber, so der Vorsitzende, durch die Corona-Krise verschoben worden. Man gibt sich durchaus offen für Veränderungen, aber das Ganze müsse sich rechnen. Was aus Sicht der Agrargenossenschaft gegen eine vollständige Umstellung spräche sei:

  • Öko-Rapsanbau bringe weniger Geld pro Hektar und die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sei bei Öko-Raps kompliziert. Die Alternative Sonnenblumen hingegen brächten auch in der Öko-Variante deutlich weniger Geld pro Hektar ein als Raps
  • Konventionelle Kartoffeln seien ohne Kühlung besser lagerfähig als Bio-Kartoffeln
  • Die 2-jährige Umstellungsphase sei sehr riskant und teuer [da man in der Zeit weniger Erträge hat, aber nur den geringeren Preis für konventionelle Agrarprodukte erhält]
  • Man scheint sich vor dem höheren Aufwand nach einer Umstellung auf Ökolandbau zu scheuen (wobei man ja auch wieder mehr Geld für Öko-Produkte erhält). Man hat zudem Befürchtungen bezüglich von Absatzproblemen für ökologisch herstellte Lebensmittel, vor allem bei Getreide.

Es schien insgesamt so, als sei eine generelle Skepsis gegenüber der Öko-Landwirtschaft vorhanden. So nach dem Motto, das wird anstrengend und man versteht nicht so recht, wo die ökologischen Vorteile liegen sollen. Dennoch möchte man sich etwas bewegen. Das Problem einer Teilumstellung ist, dass die großen Öko-Anbauverbände wie Bioland oder Demeter den Hof nur dann aufnehmen, wenn er vollständig umstellt. Wenn man sich dazu entschließen würde, wären die Vermarktungsmöglichkeiten über den Kanal solcher Anbauverbände besonders erfolgversprechend.

Insektensterben, Artenschutz, Ackerrandstreifen

Im Vorwege des Termins war die Agrargenossenschaft bereits offensichtlich an ihren Ankündigungen gescheitert, es mit dem Schutz der Insekten durch die Ausweitung von Wildwiesen ernster zu nehmen (man hatte ja Blumensamen an die Anwohner verteilt).

Die Nachbarin des Autors, die sich kritisch zur industriellen Landwirtschaft vor ihrem Gartenzaun positioniert, war zwischenzeitlich in Konfrontation zur AGW gegangen, als sie gesehen hatte, dass die ungenutzte, zur Agrargenossenschaft gehörende Wiese vor ihrem Wohnhaus (mal wieder) von einem Mitarbeiter auf Golfrasenlänge abgemäht wurde; und das schon Anfang April. Von wegen also, man meine es ernst mit Blühstreifen und Blumenwiesen, hatte sie protestiert. Auf ihren Protest hin sei man verdutzt gewesen und hätte nicht so recht gewusst, wie mit dem Protest umzugehen sei, wie sie später berichtete. Die Wiese war dann aber trotz des Protests abgemäht worden.

Bild: Christopher Stark

Der Grund, weshalb man die Rasenflächen trotz großer Ankündigungen zum Thema Wildwiesen und Insektenschutz weiterhin ca. im 2-Wochentakt abrasiert sei laut AGW, dass einige der im Dorf lebenden Pächter des Landes, auf dem die Genossenschaft Landwirtschaft betreibt, sich regelmäßig über den Pollenflug auf ihre Privatgrundstücke beschwerten. Sie hielten es für unzumutbar, dass hier und da Samen von "Unkraut" in ihre Gärten geweht würden.

Man muss sich das schon auf der Zunge zergehen lassen: Dorfbewohner, die auf den Arten- und Insektenschutz pfeifen, erpressen die LPG mit ignorantem Starrsinn, so dass diese ihre Naturschutzbemühungen einschränkt [ganz nach dem Motto: Auch wenn die Welt untergeht - scheißegal, Hauptsache mein Spießerrasen ist sauber].

Immerhin plant die AGW eine Reihe von Gehölzstreifen für einen Biotopverbund mit zwei weiteren Bauernhöfen der Umgebung. Allerdings dauere das Verfahren für die neue Flurordnung bereits 8 Jahre. Leider sei man, wenn man in Brandenburg eine staatliche Förderung für entsprechende Flächen bekommen wolle, verpflichtet, beispielsweise auf Blühstreifen 36 Blumenarten zu pflanzen, die zum Teil überhaupt nicht als Saatgut verfügbar seien. Hinderlich sei auch, dass der Land-Eigentümer bzw. Pächter keine solchen Naturschutzflächen wollten, um ihren Profit mit dem Land zu maximieren.

Die aktuell vorhandenen 5 ha Blühflächen von insgesamt 1500 ha machen nur winzige 0,33% der Fläche aus - und das bei riesigen Feldgrößen. Skandalös ist aus Sicht des Autors, dass es keine gesetzlich vorgeschriebenen Mindest-Flächenanteile für solche Schutzflächen gibt, weder von der EU, noch der Bundesrepublik oder dem Bundesland. Aus ökologischer Sicht ist das viel zu wenig!

Glyphosat und der Glaube an Institutionen und Big-Pharma

Unbehagen äußert man im Gespräch auf Seiten der AGW über das Wort "Pestizide", jedoch nicht über die Chemikalien selber. Ein Unbehagen, das der Autor auch schon von anderen Bauern gehört hat, die Pestizide einsetzen. Es handelt sich bei dem Wort um einen Anglizismus, wobei "pest" Schädlinge im Englischen heißt.

Im Deutschen klingt das Wort nach Kampfbegriff gegen Ackerchemie, was moniert wird. Ja, warum denn eigentlich nicht? Ein Kampfbegriff ist genau das, was wir brauchen, um den schädlichen Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft endlich dahin zu stellen, wo er hingehört: An den Pranger.

Und obwohl man kein Problem mit diesen Chemikalien hat, beteuert man, den Glyphosat-Einsatz in den letzten Jahren bereits stark reduziert zu haben - und nimmt auch den Umstand zur Kenntnis, dass Glyphosat aller Voraussicht nach ab 2023 in der EU verboten sein wird. Man scheint nach Empfinden des Autors irgendwie hoffnungsvoll, dass das Ende des krebserregenden Pflanzen- und Insektenvernichters doch noch gekippt wird.

Es wäre nicht das erste Mal, wie der skandalöse Coup des Agrarministeriums mit seinem Agrochemie-Lobbyisten, dem Landwirtschaftsminister Schmidt, im Jahr 2017 gezeigt hat. Bei der Abstimmung in der EU hatte sich Schmidt für die Bundesrepublik entgegen der Absprache mit seiner Bundesregierung enthalten und damit eine Entscheidung zugunsten der Weitererlaubnis von Glyphosat erzwungen.

Bei der Agrargenossenschaft argumentiert man, das Bundesinstitut für Risikobewertung habe die Chemikalie für nicht krebserregend erklärt. Man vergisst dabei aber zum einen, dass neben dem Krebsrisiko das Insektensterben und die ökologisch "toten" Glyphosat-Monokulturfelder im Zentrum der Kritik stehen - und dass andererseits das Bundesinstitut für Risikobewertung keine sonderlich weiße Weste hat, wenn es um die Bewertung eines Hauptprodukts des "globalen Champions" Bayer geht:

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat nach Einschätzung eines Plagiatsprüfers für seinen Glyphosat-Bericht wesentliche Angaben von Herstellern des umstrittenen Unkrautgifts wörtlich übernommen. Es sei "offensichtlich, dass das BfR keine eigenständige Bewertung der zitierten Studien vorgenommen hat", erklärte Stefan Weber heute bei der Vorstellung eines von ihm erstellten Sachverständigengutachtens in Berlin. Über "zahlreiche Seiten hinweg" seien Textpassagen "praktisch wörtlich übernommen" worden.

Aerzteblatt.de

Auch zu erwähnen im Zusammenhang mit fragwürdigen Zulassungsbehörden in Deutschland, ist das Ausbringungsverbot des krebserregenden Pestizids DDT im Jahr 1972, wobei die Schädlichkeit für den Menschen bereits seit 1962 bekannt gewesen war. Das Verbot erfolgte also erst 10 Jahre nach der Erkenntnis der Gefährlichkeit. Außerdem durfte DDT noch fünf Jahre, weiter bis 1977 hergestellt und exportiert werden. DDT war zuvor seit den 1940er-Jahren von Industrie und konventionellen Bauern als harmloses Wundermittel gefeiert worden.

Ein weiteres Beispiel der Kumpanei zwischen deutschen Behörden und Großkonzernen war unter anderem der Duogynon-Skandal in den 1970ern hier im Bereich von Big Pharma. Nur so viel zur mangelnden Integrität und kriminellen Energie deutscher Aufsichts- und Zulassungsbehörden.

Man scheint in Welsickendorf also trotz aller der Glaubwürdigkeit entgegenstehender Skandale auf Behörden wie das BfR zu vertrauen, auch wenn sie der Welt-Gesundheitsorganisation WHO widersprechen.

Aber nicht nur in Bezug auf Glyphosat zeigt man sich bei der AGW weitgehend unkritisch, sondern auch, wenn es um Neonicotinoide geht, die erwiesenermaßen zum Bienensterben beitragen und die beispielsweise auf konventionell angebautem Raps eingesetzt werden. Man hat kein Argument in Bezug auf den Einsatz von Neonicotinoiden im Lichte des fatalen Insektensterbens, sieht aber auch keinen akuten Änderungsbedarf. Man könnte es mangelndes Problembewusstsein nennen.

Streitfall Rinderhaltung und Milchproduktion

Man scheint sich bei der Agrargenossenschaft Welsickendorf in puncto Milchproduktion als positives Beispiel für einen Konventionellen Betrieb zu halten. Positiv ist, dass man seit 2015 kein Gen-Soja aus Brasilien einsetzt, dessen Anbau dort maßgeblich für die Zerstörung der Regenwälder mitverantwortlich ist. Man versuche zudem, den Einsatz von Antibiotika bei den Rindern zu minimieren und gebe Antibiotika nur bei Krankheiten, also nicht standardmäßig zum Futter dazu. Die Kühe würden auch durchschnittlich 6 Jahre alt werden, was ein wenig über dem Durchschnitt für Hochleistungsrinder liege. Auch das Verhältnis der Zahl der Kühe (350) zur Anbaufläche (1500 ha) sei positiv.

Das ist ja schön und gut, aber die Grundprobleme bleiben: Die Rinder sind eine Holstein-Hochleistungsrasse, die ausschließlich dafür optimiert wurde, möglichst viel Milch zu produzieren. Die Euter sind viel zu groß und die Tiere bekommen Kraftfutter v.a. aus Mais, das nur etwas mit Heu angereichert ist. Die Tiere leiden allein durch ihre über- und fehlgezüchtete Existenz, vergleichbar mit überzüchteten Hunderassen mit all ihren gesundheitlichen Gebrechen.

Der Autor hat den Eindruck, man sei sogar stolz auf den Stall, der 2011 für viel Geld gebaut wurde. Der Stall ist aber zugleich auch das Gefängnis, in das die Kühe ihr Leben lang eingesperrt sind. Sie dürfen in ihrem gesamten Leben niemals grasen, wie das artgerecht ist. Auch stehen oder liegen die Kühe auf Bitumenböden, bedeckt mit einer (immerhin dünnen) Schicht von Fäkalien und Urin, nicht aber auf Natur-Streu bzw. Stroh, wie in der ökologischen Landwirtschaft vorgeschrieben.

Die Euter der Kühe sind teilweise so groß, dass sie Probleme beim Laufen haben dürften. Was aber besonders grotesk ist: 1. die produzierte Milch wird direkt nach China exportiert - und 2. die Agrargenossenschaft macht laut eigener Aussage seit 2017 Verluste mit dem Geschäft mit Milch. Die Produktion gehe nur deshalb weiter, um die Liquidität zu sichern. Für die Milch bekommen konventionelle Bauern gerade einmal 40 Cent von der Molkerei - und das sei einfach nicht kostendeckend.

Diese vollkommen außer Kontrolle geratenen Verhältnisse in der konventionellen Milchwirtschaft wurden im vergangenen Jahr in der Dokumentation "Das System Milch" umfassend dargestellt. Zwei Zitate aus der Doku sind bezeichnend für die Welten, die da zwischen "Ökos" und "Konventionellen" aufeinanderprallen. Ein interviewter dänischer Öko-Milchbauer mit 1.600 Kühen sagt:

Und beinahe alle Kühe verbringen den ganzen Sommer im Freien. Wir wollen nicht gestresst werden. Also stressen wir auch nicht die Tiere.

Auf der anderen Seite sagt ein interviewter konventioneller dänischer Milchbauer zu seinem Sohn:

Im Moment sind wir zu 100% verschuldet. […] Wir sind mit allen im Krieg. Das musst du in deinen Kopf reinbekommen, wenn du den Hof übernimmst. Es gibt kein Erbarmen. Manchmal musst du ein Arschloch sein.

In Europa findet eine starke Überproduktion konventioneller Milch statt, die zum einen maßgeblich zur Verseuchung des Grundwassers mit Nitrat beiträgt, zur Vernichtung der Regenwälder in Brasilien - und in Form von Milchpulver auch die afrikanischen Märkte überschwemmt und dort die Existenz der Kleinbauern vernichtet. Daneben werden männliche Kühe nach der Geburt ihrer dauerträchtigen Kuhmütter wie Abfall behandelt und nach wenigen Monaten der Mast um die Ecke gebracht.

Auf all diese skandalösen Aspekte sei an dieser Stelle aber nicht weiter eingegangen. Und es treffen auch nicht alle diese Dauerskandale auf die Agrargenossenschaft Welsickendorf zu. Positiv sind hier die eher geringe Nitratausbringung und die Fütterung ohne Gen-Soja. Andererseits wird auch die Milch, die in Welsickendorf produziert wird (obwohl man mit ihr keinen Cent verdient) nach China verschifft, wo sage und schreibe 94% der Bevölkerung laktoseintolerant sind. Sie kriegen von Milch Blähungen und Durchfall. Wenn das ganze konventionelle "System Milch" nicht so himmelschreiend denaturiert und krank wäre, müsste man wohl laut lachen.

Erneuerbare Energien

Die AGW betreibt eine eigene Photovoltaik-Anlage mit 94 kWp, deren Strom ins Netz eingespeist wird. Man hätte ursprünglich zwar geplant, zusätzlich dazu eine größere Biogasanlage (500 kW) zu bauen, um das ganze Dorf mit Wärme zum Heizen zu versorgen; allerdings sei das gescheitert am Unwillen der Anwohner, die u.a. Angst gehabt hätten wegen vermuteter Geruchsbelästigungen (welche faktisch aber nicht vorhanden sei). Die nun vorhandene 75kW-Anlage laufe nur für den eigenen Wärmebedarf.

Man betreibt daneben eine Pelletheizung, die allerdings nicht mit dem Holz aus den eigenen 55 ha Wald beheizt wird. Lieber hätte man aber die größere Biogasanlage gehabt. Des Weiteren ist ein Windpark angrenzend an das Dorf und zum Teil auf den Flächen der Agrargenossenschaft geplant. Es sei allerdings noch unklar, ob alle Pächter und der Bürgermeister hier grünes Licht geben werden und der Planer Prokon bald mit dem Bau beginnen könne.

Seltsamerweise scheint man bei der AGW skeptisch zu sein in Bezug auf die Windkraft, wobei der Autor kein echtes Argument heraushören konnte, außer vielleicht, das würde zu viel Fläche verbrauchen (was nicht stimmt, weil man ja um die Anlage herum Landwirtschaft betreiben kann). Die Ziele der bundesdeutschen "Energiewende" scheinen zwar akzeptiert, aber ohne große Begeisterung betrachtet zu werden, insbesondere wenn es um das eigene Handeln geht.

Für den Autor ist das vollkommen unverständlich, wie man einerseits finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen kann - und andererseits auch nur eine Minute zögert, wenn es um Pachteinnahmen für Windkraftanlagen geht, die man quasi für nichts bekommt, also dafür, dass ein paar hundert Quadratmeter pro Anlage für Zuwegung und Fundament belegt werden.

Konfrontation zwischen konventionellen Landwirten und ökologisch orientierten Stadtmenschen

Es mag sein, dass man sich bei der Agrargenossenschaft Welsickendorf Gedanken macht um Ökologie, Tierschutz und erneuerbare Energien. Aber die Zeit drängt im Anbetracht der katastrophalen ökologischen Situation. So sind die zaghaften Versuche einer Transformation zu wenig überzeugend, viel zu langsam und reichlich spät.

Gegenüber dieser sehr klaren Haltung kann man aber auch eine zurückhaltendere Position einnehmen, wie ein in der ökologischen Landwirtschaft tätiger Freund des Autors, der an dieser Stelle auch zitiert werden soll:

Das Umdenken in der Landwirtschaft ist ein Prozess und man sollte die konventionelle Landwirtschaft nicht gegen die ökologische ausspielen.

Es sei seiner Meinung nach nicht unbedingt zielführend, wenn die Gesellschaft Bauern direkt angreife. Auch sei die Ökolandwirtschaft nicht perfekt, zumal Landwirte hier häufiger mit dem Trecker aufs Feld fahren müssten, was mehr CO²-Ausstoß verursache (dafür verwenden sie kein Kunstdünger, für dessen Produktion auch hohe Emissionen entstehen). Sinnvoll aus seiner Sicht sei:

Agrarsubventionen an andere Faktoren [zu] koppeln als nur an die Flächengrößen. Die Hauptsorge der Bauern ist, dass sie nicht mehr wirtschaftlich genug arbeiten können, um von ihrer Arbeit leben zu können.

Eine Umstellung auf den biologischen Anbau kann man auch nicht ohne weiteres machen. Zum einen muss man erstmal lernen, was man tun muss, und zum anderen braucht man auch die entsprechenden Vertriebswege. Gerade in der Umstellungsphase ist das extrem risikoreich.

Das mag ja alles stimmen, aber es sieht nicht so aus, als könnten wir es uns leisten zu warten, wenn es um die Umstellung zu ökologischeren Anbaumethoden und eine weniger intensive wie ethischere Tierhaltung geht - weder in diesem Land, noch international.

Auf diese aus größeren Teilen der Gesellschaft kommende Forderung nach der Umstellung konventioneller Landwirtschaft auf flächendeckenden Ökolandbau, wird häufig erwidert, die Welt müsse ernährt werden und das gehe wohl nicht mit ökologischer Landwirtschaft allein. Im Gespräch mit der Agrargenossenschaft kam das Argument auch, allerdings war man sich immerhin einig darüber, dass der hohe Flächenanteil, der in der Landwirtschaft für die Produktion von Tierfutter aufgebraucht wird (rund 60% der Agrarflächen in Deutschland) zu hoch ist, bzw. dass es sinnvoll wäre, den Fleischkonsum zu reduzieren.

Allein durch eine solche Reduktion (auch der Flächen für Tiernahrung), würden riesige Flächen frei werden, die entsprechend für den Mehrbedarf durch die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft frei würden.

Dem Argument aber, die Ernährung der Menschheit ginge nur mit Großstrukturen und industrieller Landwirtschaft, wird im Übrigen inzwischen sogar von der UN widersprochen. Die Grundaussage der Vereinten Nationen in ihrem Weltagrarbericht ist in diesem Satz prägnant zusammengefasst:

Als neues Paradigma der Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts formuliert er: Kleinbäuerliche, arbeitsintensivere und auf Vielfalt ausgerichtete Strukturen sind die Garanten einer sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung durch widerstandsfähige Anbau- und Verteilungssysteme.

Weltagrarbericht

Was ist nun das Gebot der Stunde?

Fakt ist, dass die ökologische Situation in Mitteleuropa inzwischen sehr kritisch ist, vor allem für Arten, die durch die industrielle Landwirtschaft in ihrer Existenz gefährdet sind. So heißt es im Bericht zur Lage der Natur des Bundesumweltministeriums:

Die intensive Landwirtschaft führt zu einer immer stärkeren Homogenisierung der Landschaft, in der inzwischen monotone artenarme Lebensräume vorherrschen.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit / Bundesamt für Naturschutz

Die "Bewertung des Erhaltungszustandes bei den Arten" fällt laut Bericht zu 33% "ungünstig bis schlecht" aus. In anderen Worten ist ein Drittel aller Tierarten in Deutschland vom Aussterben bedroht. Und ein weiteres knappes Drittel ist in einer "ungünstigen bis unzureichenden", also auch schon schlechten Situation. Besonders schlecht ist es im Übrigen im Landschaftstyp "Grünland" um die Arten bestellt, hier sind 56% aller Arten vor dem Aussterben bedroht und weitere 34% sind in einer "ungünstigen bis unzureichenden" Situation.

Langsam bewegt sich auch die lobbyaffine EU, die ja schon ein Glyphosatverbot so lange zu verhindern wusste. Die Pestizidanwendung soll nun laut EU in 10 Jahren um die Hälfte sinken. Der Chef der Lobby für die industrielle Landwirtschaft in Deutschland, Joachim Rukwied, der seinen Laden euphemistisch "Deutscher Bauernverband" nennt, bezeichnete dieses Strategiepapier der EU einen "Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft". Manche Leute lernen es nie.

Einigkeit zwischen Agrargenossenschaft und Autor besteht auch darin, dass man in Deutschland viel zu wenig für Lebensmittel ausgibt. Durchschnittlich sind es etwa 14% des netto verfügbaren Geldes. Das geht in anderen Ländern mit mehr Wertschätzung für gute Lebensmittel besser, z.B. in Frankreich, Belgien oder Italien.

Aus den oben genannten Problemen und Katastrophen sind aus Sicht des Autors die folgenden politischen Forderungen abzuleiten:

  • Ein vorgeschriebener prozentualer Flächenanteil von 5-15% der Gesamtfläche aller Bauernhöfe für Ackerrand- Blüh- oder Gehölzstreifen
  • Verbot von Glyphosat, Neonikotiden und allen anderen chemischen Pestiziden, inklusive der Herstellung und dem Export solcher Produkte
  • Die Anpassung der Hartz-4-Sätze, damit die Transferleistungsempfänger wenigstens einen Teil ihrer Nahrung in Bio-Qualität kaufen können
  • Ein staatlich festgelegter Mindestpreis für Milch von 60-70 Cent oder mehr
  • Vorschrift, dass Milchkühe; sowohl die weiblichen, als auch die männlichen, auf der Weide grasen dürfen und im Stall auf Stroh/Naturstreu stehen können
  • Starke Exportbeschränkungen für Milchprodukte, vor allem für Milchpulver. Exportverbot von Milch und Milchpulver für Zielländer in Afrika. Außerdem Importverbot für genetisch verändertes Tierfutter (v.a. Soja aus Brasilien)
  • Vorgeschriebene durchschnittliche Mindestlebenszeit von 10 Jahren für Milchkühe und Bullen pro Bauernhof (auch durch die Auswahl robusterer Rassen und besserer Haltebedingungen)
  • Optimierung der Rinder-Rassen höchstens entsprechend einer hohen Lebensqualität der Tiere - und nicht entsprechend einer hohen Milchleistung
  • Deutlich höhere Mehrwertsteuer für konventionelles Fleisch und Milch (z.B. 35%), bei geringerer Mehrwertsteuer für Biofleisch und Biomilch (z.B. 7%).