Insektensterben

Bild: Free-Photos / Pixabay

Zerstörung von Lebensräumen, Pestizide und Lichtverschmutzung. Neoniconitoide bleiben ein globales Problem

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn es um Insektensterben geht, wird oft auf das "Windschutzscheiben-Phänomen" verwiesen: Heute kleben wesentlich weniger Insektenreste auf Windschutzscheiben als noch vor einigen Jahrzehnten. Das Massensterben von Insekten ist eine seit Jahren sichtbare und hörbare menschengemachte Naturkatastrophe. Eine neue Meta-Studie bestätigt diese Beobachtung.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science wurde die bisher größte Auswertung der weltweiten Insektenvorkommen veröffentlicht. Die Meta-Analyse des Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDIV) und der Martin-Luther-Universität (MLU) kombinierte 166 Langzeituntersuchungen an 1.676 Standorten, die zwischen 1925 und 2018 durchgeführt wurden, um Entwicklungen in Insektenbeständen zu untersuchen. Sie zeigt einen Rückgang von fast 25% in den letzten 30 Jahren.

Demnach stellten die Wissenschaftler eine durchschnittliche Abnahme der terrestrischen Insektenhäufigkeit um neun Prozent pro Jahrzehnt, dagegen eine Zunahme der Süßwasserinsektenhäufigkeit um elf Prozent pro Jahrzehnt fest. Doch Wasserinsekten machen nur etwa zehn Prozent aller Insektenarten aus und bestäuben keine Nutzpflanzen.

Jonathan Chase, Professor am iDiv und an der MLU, bestätigt das Windschutzscheiben-Phänomen: "Viele Insekten können fliegen, und es sind diejenigen, die von den Windschutzscheiben der Autos zerquetscht werden. Unsere Analyse zeigt, dass fliegende Insekten im Durchschnitt tatsächlich abgenommen haben. Die meisten Insekten sind jedoch weniger auffällig und leben außerhalb der Sichtweite - im Boden, in Baumkronen oder im Wasser."

Für die neue Studie analysierten die Forscher auch Daten aus vielen dieser verborgenen Lebensräume. Dabei habe sich gezeigt, dass heute im Durchschnitt weniger Insekten im Gras und am Boden leben als früher - ähnlich wie die Fluginsekten. Im Gegensatz dazu sei die Zahl der in Baumkronen lebenden Insekten im Durchschnitt weitgehend unverändert geblieben.

Umweltschutz zeigt Wirkung - bei Wasserinsekten

Der Verlust von Insekten werde durch die Zerstörung von Lebensräumen, Pestizide und Lichtverschmutzung verursacht. Die Untersuchung analysierte auch, wie sich die Verlustrate im Laufe der Zeit veränderte. "Europa scheint es jetzt schlechter zu gehen - das ist auffallend und schockierend. Aber warum das so ist, wissen wir nicht", sagte van Klink. In Nordamerika flachen die Rückgänge ab, aber auf niedrigem Niveau. Anderswo gebe es zu wenig Daten.

Die Studie zeichnet jedoch auch ein positives Bild: Insekten, die (einen Teil) ihres Lebens unter Wasser leben, wie Mücken und Eintagsfliegen, verzeichnen eine durchschnittliche jährliche Zunahme von 1,08%. Dies entspricht einer Zunahme von 38% über 30 Jahre. Dieser positive Trend sei in Nordeuropa, in den westlichen USA und seit Anfang der 1990er Jahre auch in Russland beobachtbar.

Für Jonathan Chase ist dies ein gutes Zeichen: "Diese Zahlen zeigen, dass wir diese negativen Trends umkehren können. In den vergangenen 50 Jahren wurden an vielen Orten auf der Welt verschiedene Maßnahmen zur Sanierung unserer verschmutzten Flüsse und Seen ergriffen. Dies hat möglicherweise die Erholung vieler Süßwasserinsektenpopulationen ermöglicht. Es stimmt uns hoffnungsvoll, dass wir den Trend bei den derzeit rückläufigen Populationen umkehren können".

Die letzte große Auswertung, die auf 73 Studien basierte, veranlasste die Wissenschaftler, vor "katastrophalen Folgen für das Überleben der Menschheit" zu warnen, wenn die Insektenverluste nicht gestoppt würden: "Unsere Arbeit zeigt dramatische Rückgangsraten auf, die in den nächsten Jahrzehnten zum Aussterben von 40% der Insektenarten weltweit führen könnten." Als wichtigste Ursachen für den Artenrückgang wurden genannt: Der Verlust von Lebensräumen und die Umstellung auf intensive Landwirtschaft, die Urbanisierung, und die Verschmutzung durch synthetische Pestizide und Düngemittel.

Globales Problem: Neoniconitoide

Eine der Hauptursachen sind Insektenpestizide. Darunter fallen seit den 1990ern "Neonicotinoide", eine Klasse von Nervengiften, die weltweit am häufigsten gegen Insekten eingesetzt werden. Bayer-Monsanto stellt Imidacloprid und Clothianidin her, zwei der drei Neonicotinoide, die laut einer Studie von 2019 am meisten zur Gesamttoxizität beitragen. Syngenta-ChemChina stellt das dritte her, Thiamethoxam. Die Nutzung von Neonicotinoiden bleibt weltweit unreglementiert.

Qu Dongyu, der letztes Jahr zum Vorsitzenden der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gewählt wurde, mahnte zur Vorsicht: "Wir müssen bei allen neuen Produkten vorsichtig oder verantwortungsbewusst sein, nicht nur bei GVO, sondern auch bei Produkten für Pestizide, Chemikalien und sogar bei Düngemitteln. Wir müssen ihre biologische Sicherheit, ihren Einfluss auf die Umwelt berücksichtigen".

"Das, was der Biene schadet, muss weg vom Markt, denn Bienen sind systemrelevant", sagte Landwirtschaftsministerin Klöckner, als die EU vor zwei Jahren die Nutzung dieser drei Neonicotinoide auf offenen Flächen verbot. Während die Bienen PR-wirksam gerettet werden, bleibt das Grundproblem einer extensiven Landwirtschaft, die nur überlebensfähig ist, wenn sie auf Monokulturen setzt und Bauern abhängig von der Agrochemie-Industrie bleiben, erhalten (Neonicotinoide auf dem Prüfstand).

Dave Goulson, Professor für Biologie an der University of Sussex, sagte damals zur EU-Entscheidung, dass das Verbot wirkungslos bleiben würde, wenn "statt der nun verbotenen Neonicotinoide einfach andere neue Wirkstoffe mit systemischer Wirkungsweise eingesetzt werden, wie Cyantraniliprole oder Flupyradifurone."

Tatsächlich haben diese beiden Chemikalien von Bayer-Monsanto mittlerweile Neonicotinoide ersetzt. Cyantraniliprole ("Benevia") sind in Österreich und der Schweiz nicht zugelassen, werden in Deutschland derzeit gegen Spargelfliegen eingesetzt, Flupyradifurone ("Sivanto") sind ebenfalls in Österreich und der Schweiz nicht zugelassen, aber in Deutschland. Auf einer eigens erstellten PR-Seite namens "Hier sind die Fakten" erklärt Bayer die Vorzüge von Sivanto, das kein "Bienenkiller" sein soll.

Weltweit bleiben aber die "richtigen" Bienenkiller das Problem. China ist das größte Produktions- und Exportland von Imidacloprid. Solche Insektizide machen 44% aller in China eingesetzten Pestizide aus. Die Auswirkungen auf die Umwelt werden dort seit kürzlich erst untersucht. Unter anderem wurden kritische Werte von Neonicotinoiden in den großen Flüssen vorgefunden, was Auswirkungen auf die Fischpopulationen habe. Ein Verbot von Neonikotinoiden in China zeichnet sich jedoch nicht ab.

Die Agrarindustrie in den USA bleibt ebenfalls unreguliert: Heute sind landwirtschaftlich genutzte Flächen "48 Mal toxischer für Honigbienen und wahrscheinlich auch für andere Insekten als noch vor 25 Jahren", heißt es laut National Geographic. Das sei fast ausschließlich auf den weit verbreiteten Einsatz von Neonicotinoiden zurückzuführen. "Dies ist der zweite 'Stumme Frühling'. Neonicotinoide sind wie ein neues DDT, nur dass sie für Bienen tausendmal giftiger sind als DDT." Vier Nanogramm reichen bereits aus, um eine Biene zu töten.