"Es ging und geht um geostrategische Interessen"

Seite 4: "Zugriff auf die Rohstoffe und die Kontrolle von Transportwegen in der Region"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weshalb scheint man im Westen eher dazu bereit zu sein, eine Herrschaft des IS oder anderer sunnitischer Extremisten zu tolerieren, als das Baath-Regime, wieso überwiegt die Angst vor dem Einfluss Russlands, besonders aber des Iran in der Region - trotz der bisherigen Erfahrungen? Verstehen Sie noch die strategischen Entwürfe, welche sich dahinter verbergen?

Karin Leukefeld: Es geht um den Zugriff auf die Rohstoffe und die Kontrolle von Transportwegen in der Region. Der Mittlere Osten ist - aus westlicher Sicht - nur ein Schritt auf dem Weg hin nach Zentralasien, wo sich noch mehr Rohstoffe befinden. Baschar al-Assad wäre der beste Freund des Westens und der USA, wenn er ihnen wirtschaftlich und militärisch ungehinderten Zugang gewähren, wenn er Katar eine neue Pipeline durch Syrien bauen lassen, einen von Saudi-Arabien unterstützten Salafisten der Islamischen Armee (Mohamed Allousch) zum Verteidigungsminister ernennen, das Verbot der Muslimbruderschaft aufheben, Israel die besetzten Golan-Höhen überlassen und seine strategische Partnerschaft mit Russland, Iran und der Hisbollah sowie die Unterstützung der PLO aufkündigen würde. Kurzum, Baschar al-Assad müsste nur den Regime Change selber vollziehen, dann wäre der Krieg morgen vorbei. Es geht in Syrien um geostrategische Interessen.

Der Einsatz von Religion als Mittel für kriegerische Mobilisierung zur Durchsetzung von Interessen ist alt. Die Idee, den politischen Islam zum Schaden des Gegners zu nutzen, war schon Thema im Ersten Weltkrieg. Der deutsche Archäologe und Geheimdienstmann Max von Oppenheim entwickelte damals eine Strategie, wie die tiefe Gottesgläubigkeit der muslimischen Beduinenstämme militärisch genutzt werden könnte, um die Briten und Franzosen in der Region zu schwächen.

Oppenheim wollte die Muslime zum "Dschihad", zum "Heiligen Krieg", aufstacheln. Festgehalten hat er diese Ideen in einer "Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde". Hat damals nicht geklappt, aber islamistische Söldner gehören seit dem Krieg in Afghanistan zu einer festen Strategie der USA, um muslimische oder multireligiöse Staaten, die sich der US-Hegemonie nicht unterordnen wollen, zu destabilisieren. Nachzulesen bei Zbigniew Brzezinski: "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft" ["The Grand Chessboard"].

Hegen Sie die Hoffnung, dass jenes Syrien, welches in früheren Zeiten unzählige Besucher begeisterte, jenes Syrien als Wiege von Hochkulturen und ethnoreligiöser Vielfalt, flankiert von der Gastfreundschaft seiner Bewohner, noch nicht verloren ist?

Karin Leukefeld: Hätte man die Syrer ihren inneren Konflikt miteinander lösen lassen, hätte man sie dabei unterstützt, anstatt sie gegeneinander aufzuwiegeln, es wäre nie so weit gekommen. Für die Zerstörung Syriens sind die bewaffneten Gruppen und natürlich auch die Regierung verantwortlich. Aber letztlich sind es die regionalen und internationalen Akteure, die Syrien zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges gemacht haben, mit dem die Syrer selber nichts zu tun haben.

Wenn keine Waffen, keine Kämpfer, keine ausländischen Gelder in das Land flössen, könnten die Syrer miteinander einen Weg finden. Wenn die ausländischen Armeen, die sich völkerrechtswidrig in Syrien aufhalten, abzögen, wenn man aufhören würde, den Präsidenten und die Regierung zu dämonisieren, wenn man die politische Isolation, die Wirtschaftssanktionen, beenden würde, wenn man aufhören würde, die Syrer in ethnische und religiöse Gruppen aufzuteilen und gegeneinander zu bewaffnen - kurz: wenn die destruktive ausländische Einmischung aufhörte, dann wäre Frieden in Syrien in einem Jahr möglich. UNO-Vertreter haben das schon 2013 gesagt.

Dass Frieden in Syrien möglich ist, zeigen die Syrer jeden Tag. Trotz der anhaltenden Waffenlieferungen, der Medienkampagnen, der völkerrechtswidrigen Angriffe und Beschuldigungen sind die Syrer entschlossen, dem Krieg ein Ende zu bereiten. Sie leben weiterhin miteinander, sie helfen sich. Und - auch wenn man das hier nicht gern hören mag - sie werden dabei vor allem von Russland unterstützt.

Seit Anfang 2016 gibt es mehr als 1400 lokale Waffenstillstände, 82.000 Männer wurden in ein staatliches Amnestieprogramm aufgenommen, drei Millionen Menschen konnten in ihre Heimatorte zurückkehren, mehr als 30.000 Gefangene wurden freigelassen. Und diejenigen, die sich besonders stark in den lokalen Versöhnungskomitees engagieren, sind die Frauen, die ihre Männer oder Söhne in diesem Krieg verloren haben. Auf beiden Seiten. Das ist Syrien, so sind die Syrer. Sie sind auf der Suche nach Frieden mitten im Krieg. Freundlich zu denen, die in guter Absicht kommen. Hart gegenüber denen, die Syrien zerstören wollen.

Dieses Interview ist ein Auszug aus Ramon Schacks eBook: Zeitalter des Zerfalls- Gespräche zu Entwicklungen unserer Epoche.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.