Eskalation um Nagorny Karabach

Seite 2: Der aserbaidschanisch-armenische Konflikt steht im Kontext des Konflikts zwischen der Türkei und Russland

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Der aserbaidschanisch-armenische Konflikt um den "gebirgigen schwarzen Garten" ist eingebettet in die angespannte geopolitische Konstellation in der Region, die derzeit maßgeblich durch die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Türkei geprägt ist.

Moskau ist ein enger Verbündeter Armeniens, das - neben Kasachstan und Belarus - ein Mitgliedsstaat der vom Kreml ins Leben gerufenen "Eurasischen Union" ist. Die armenische Wirtschaft ist im hohen Ausmaß von Russland abhängig. Russische Unternehmen und Staatskonzerne kontrollieren den Energiesektor, den Schienenverkehr sowie einen Großteil der Telekommunikation. Zudem sind in Armenien Tausende russischer Soldaten stationiert, die den armenischen Luftraum überwachen. Im Gegenzug erhält Armenien verbilligtes Militärgerät aus Russland. Es gilt als sicher, dass Moskau im Fall eines militärischen Konflikts Armenien unterstützen würde.

Die scheinbar unverbrüchliche armenisch-russische Freundschaft hat aber in der vergangen Jahren stark gelitten, nachdem Russland ab 2013 dazu übergegangen ist, auch Aserbaidschan mit modernen Waffensystemen im Milliardenwert zu beliefern. Das Bemühen Russlands, an beide südkaukasischen Konfliktparteien Waffen zu verkaufen, könnte sich jetzt bitter rächen, da Baku aufgrund dieser geschäftstüchtigen Haltung des Kreml (die Waffenindustrie ist der einzige Devisenbringer Russlands jenseits des Energiesektors) auf eine potenzielle Äquidistanz Russlands im Konfliktfall spekulieren könnte.

Der wichtigste Verbündete Aserbaidschans ist wiederum die Türkei. Ankara bemüht sich schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als "Schutzmacht" aller postsowjetischen "Turkvölker" zu agieren und diese verstärkt in die hoch fliegenden imperialen und neo-ottomanischen Ambitionen des islamistischen Regimes um Staatsführer Erdogan einzubinden. Eine rassische außenpolitische Maxime, die alle Turkvölker unter dem Protektorat Ankaras zusammenführen will, mischt sich somit in der geopolitischen Ideologie des Erdogan-Regimes mit dem religiös-extremistischen Sendungsbewusstsein des Islamismus (diese Ideologie ließe sich als Islamofaschismus bezeichnen).

Erdogan: Die Türkei steht an der Seite Aserbaidschans "bis zum Ende"

Die engen Beziehungen zwischen Ankara und Baku, etwa auf dem Gebiet der Energiepolitik, wurden in den letzten Monaten noch verstärkt. Mitte März haben die Staatschefs Alijew und Erdogan eine Intensivierung der militärischen "Kooperation gegen den Terror" vereinbart und eine Vertiefung der energetischen Zusammenarbeit angekündigt. Aserbaidschan stehe an der Seite der Türkei, die Union beider Staaten sei "ewig und unerschütterlich", erklärte Alijew: "So wie die Türkei mächtig sein wird, so werden wir es auch sein. Unsere Kraft ist unsere Einheit."

Die Kooperation hat auch eine starke militärische Komponente. Zuletzt haben aserbaidschanische Militärflugzeuge im vergangenen März an Militärmanövern in der Türkei teilgenommen, um an den "zweiten gemeinsamen aserbaidschanisch-türkischen Militärübungen" teilzunehmen, die ab 2015 jährlich stattfinden.

Die Türkei stellte sich im Konflikt um Nagorny Karabach wiederholt vorbehaltlos hinter Aserbaidschan. Die Leugnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern 1915, die in der Türkei immer noch Staatsdoktrin ist, geht mit einer durch die islamistische Regierung in Ankara noch forcierten Konfrontationspolitik gegenüber dem "christlichen" Armenien einher. Die russische Militärbasis in Armenien wird aktuell von Ankara als Hebel benutzt, um in den USA Stimmung gegen das Land zu machen. Die Türkei habe etliche US-Lobbyfirmen angeheuert, die in Washington das "kleine Armenien" als eine "große Bedrohung" der Türkei und der NATO darstellen sollen, berichtete die Huffington Post kurz vor Ausbruch der aktuellen Feindseligkeiten.

Ankara scheint auch in der gegenwärtigen Konfrontation voll hinter Baku zu stehen. Während die Regierungen in Moskau und Washington unisono öffentlich die Einstellung der Feindseligkeiten und eine rasche Deeskalation der Lage im südkaukasischen Krisenherd forderten, ließ Erdogan alle diplomatische Rücksicht fallen: Die Türkei werde an der Seite Aserbaidschans "bis zum Ende" stehen, deklarierte der türkische Staatschef während seiner US-Visite.

Die Spannungen zwischen Russland und der Türkei, die durch den Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges über Syrien durch türkische Militärjets maßgeblich angeheizt wurden, könnten bei einer Eskalation um Nagorny Karabach eine weitere Verschärfung erfahren. Damit droht der aserbaidschanisch-armenische Konflikt zu einem neo-imperialistischen Stellvertreterkrieg zu mutieren, bei dem die gegensätzlichen geopolitischen Interessen Moskaus und Ankaras in der Region aufeinander prallen würden. Im schlimmsten Fall könnte die Eskalation im Südkaukasus den Funken bilden, der zu einem direkten militärischen Konflikt zwischen Russland und dem NATO-Mitglied Türkei führt.