Essen als Distinktionsinstrument
Seite 2: Eitle Bescheidenheit
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Reinhard Jellen: Wie war das denn im Protestantismus?
Peter Mühlbauer: Es gibt eine Black-Adder-Folge, in der Puritaner parodiert werden. Die sind dort nicht nur einfarbig und schmucklos angezogen (also ohne den Pomp der anderen Figuren), sondern sie bevorzugen als Abendessen eine rohe Rübe. In diesen Ausprägungen des Protestantismus war auf jeden Fall der demonstrative Verzicht prägend.
Reinhard Jellen: Und das hat sich heutzutage quasi als Ratio des Essens durchgesetzt.
Peter Mühlbauer: Ich habe den Eindruck, dass Essen in den 1950er und 1960er Jahren erst einmal weniger ideologisch war.
Reinhard Jellen: Damals war es eben auch zum ersten Mal möglich, sich ständig die Plautze voll zu hauen.
Peter Mühlbauer: Genau, ich denke auch, das wird das Entscheidende gewesen sein. Die Neu-Ideologisierung des Essens hat meinem Eindruck nach in den 70er Jahren mit dem organic food wieder begonnen.
Reinhard Jellen: Also mit den ganzen Hippies
Peter Mühlbauer: Aber in den Siebziger Jahren konnten sich die meisten Leute Extravaganzen wie Biogemüse überhaupt nicht leisten. Heute dagegen ist bei einer relevanten Gruppe der Gesellschaft - ich würde (grob geschätzt) sagen beim oberen Viertel aller Haushalte in Deutschland - so viel im Grunde überflüssiges Geld übrig, dass man auf so etwas achten kann - also auch für Kinder und so weiter.
Die Ideologien des Essens hat Bourdieu übrigens als Distinktionsgewinne geschildert: Dazu gehört raffinierter, aufwendiger und teurer produziertes Essen, mit dem man sich von den Subalternen absetzen konnte. Auch der Erfolg des aus der Subkultur der Hippies kommenden organic food und die aktuelle Rolle des Veganismus lassen sich damit erklären.
Reinhard Jellen: Besitzen diese Essens-Ideologien ein rationales Moment?
Peter Mühlbauer: Man kann sich kulturmaterialistisch fragen, inwieweit Speiseverbote in Gesellschaften einen gesellschaftseigenen Sinn haben könnten. Zum Beispiel sind 130 jährliche Fasttage im Mittelalter gar nicht so unsinnig, wenn man damit verhindert, dass der Grundherr dem Bauern das Zug- und Zuchtvieh wegfrisst. So gesehen ergibt auch die Biber-Ausnahme bei Fastenessen Sinn, weil der Biber für Überflutungen sorgt und die Felder zerstört.
Reinhard Jellen: Du meinst, man kann derlei wirklich auf so eine sinnvolle Ebene herunterrationalisieren?
Peter Mühlbauer: Es ist eventuell ein ungewollter aber gesamtgesellschaftlich gesehen nützlicher Effekt gewesen.
Reinhard Jellen: Ist es dann auch so, dass das Schweinefleischverbot vor tausend Jahren Sinnvoll war?
Peter Mühlbauer: Beim Verzehr von rohen Schweinefleisch besteht die Gefahr einer Trichinellose, die durch parasitäre Fadenwürmer hervorgerufen wird. Vor allem in warmen Gegenden. Ein Verbot unter diesem Hintergrund zu sehen, wäre ein kulturmaterialistischer Erklärungsversuch. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser Versuch wirklich überzeugend ist, weil es im Orient auch zahlreiche christliche Gemeinden gab, die sich nie an dieses Gebot nicht gehalten haben und auch nicht ausgestorben sind. Viele Sachen kann man sich einfach nicht erklären. Es gab bei den Pythagoreern zum Beispiel ein ganz strenges Bohnen-Verbot - und kein weiß Mensch wieso.
Reinhard Jellen: Hat eventuell die zunehmende Ideologisierung des Essens etwas mit dem Wechsel vom Saumagenliebhaber Helmut Kohl zu Schröder und Fischer und ihren Leuten zu tun?
Peter Mühlbauer: Früher waren Verbote, die ökonomisch sinnvoll waren, religiös begründet. Heutzutage versucht man Verbote mit ökonomischem Sinn zu begründen. Etwa: Wer eine Kuh isst, schadet dem Klima. Oder: Wer keine Veganer-Schnitzel verputzt, ist schuld an hungrigen Kindern in Afrika. Ich glaube aber, in Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine halbreligiöse Distinktionssache - wie die Rübe bei den Puritanern in Black Adder.
Der Verzicht als Geltungskonsum spielt heutzutage eine immens wichtige Rolle. Das ist ein sehr wichtiges Distinktionsmittel - und es spielt im Endeffekt gar keine Rolle, ob es ökonomisch Sinn ergibt.
Reinhard Jellen: Interessant ist vielleicht auch der Gedanke, dass die Hippies ein ganz affirmatives Verhältnis zu Konsum und Mode in Form ihres Anti-Konsums und ihrer Anti-Mode hatten. Während andere Subkulturen durchaus ein Bewusstsein davon hatten, dass Kleidung nicht nur als Plattform für Selbstartikulation, sondern auch als Moment sozialer Kontrolle zu begreifen sei und dementsprechend Versuche unternahmen, Mode subversiv zu unterwandern, waren die Hippies von ihrer Ästhetisierung des Politischen vollends begeistert.
Die Hippies haben das Essen ruiniert, sie haben den Sex ruiniert, sie haben Politik ruiniert, sie haben die Musik ruiniert und sie haben den Film ruiniert: Haben sie überhaupt etwas, etwa bei den Drogen, richtig gemacht?
Peter Mühlbauer: Man kann sehr gut argumentieren, dass sie für eine strenge Drogenpolitik gesorgt haben, weil sie diese erst in den Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit brachten.
Reinhard Jellen: Wo wir gerade von Protestantismus, Veganismus und Hippietum sprechen, darf natürlich Blumfeld nicht fehlen: Mit welcher Speise lässt sich die Band am Besten vergleichen? Wie kann man dieses Nichts, das bis zum Letzten mit Bedeutung aufgeblasen wird, die aber nichts mehr bedeutet, kulinarisch beschreiben? Als blackaddersche Rübe mit geriebelten Lacan-Zitaten obendrauf?
Peter Mühlbauer: Blumfeld als Essen wären für mich Nudeln mit Ketchup, die als supervegane, superneue und supertolle Köstlichkeit angepriesen werden.
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