Essen als Distinktionsinstrument
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Telepolis-Tischgespräche, Teil 2: Green Smoothies
Aufgrund der zunehmenden Ideologisierung des Essens schickt Telepolis ein Team von Essenstestern in die umkämpften Linien der kulinarischen Hegemonie. Auf den rustikalen Haggis folgt eine Lebensmittelkreation aus den USA, die auch hier immer mehr Anhänger gewinnt: Durch einen Hochleistungsmixer gejagtes Obst und grünes Blattgemüse: Der Green Smoothie.
Reinhard Jellen: Ich finde, es schmeckt nicht schlecht.
Peter Mühlbauer: Ja.
Reinhard Jellen: Aber als Essensersatz ist es nur bedingt tauglich.
Peter Mühlbauer: Ich kann nicht feststellen, dass mein Hunger weniger geworden wäre, ganz im Gegenteil. Mir geht es aber oft so, dass Obst, Gemüse und Salate den Appetit erst so richtig anregen.
Reinhard Jellen: Eher zur Nahrungsergänzung geeignet als zur Substitution.
Peter Mühlbauer: Eigentlich ein Appetitmacher. Keine Ahnung wie viel man trinken müsste, um davon satt zu werden. Das 0,4-Literglas kostete jetzt 5,50 Euro, man müsste also, um ein Sättigungsgefühl zu verspüren, erheblich mehr Geld als für ein Kantinenessen ausgeben.
Reinhard Jellen: Dafür ist man aber nach dem Konsum aufgrund der ausfallenden Verdauung auch nicht so geplättet, wie bei einem Kantinenrollbraten. Wahrscheinlich ist das auch ein wesentlicher Grund, warum der Trank - in Münchener Schicki-Micki-Kreisen auch "Schmusi" genannt - so populär geworden ist: Um nach dem Mittagessen immer noch topfit für den Arbeitgeber einsetzbar zu sein und dementsprechend einen Konkurrenzvorteil vor den Kollegen zu erhalten. Und der Figur schadet es wahrscheinlich auch nicht. - Eigentlich sieht das Zeug aber aus, wie das synthetische Essen in dem 70er-Jahre-Science-Fiction-B-Movie Lautlos im Weltall.
Peter Mühlbauer: Dieser Grünen-Film, in dem die Hauptfigur alle umbringt, weil sie so an ihren Bäumen hängt?
Reinhard Jellen: Genau, ein Klassiker des Öko-Faschismus mit Bruce Dern in der Hauptrolle, wo er einen Hasen und Schnecken liebenden Astronauten spielt, der seine Kollegen in die Luft sprengt, als sie den Befehl erhalten, die Kuppeln des Raumschiffs zu sprengen, in denen sich die letzten noch erhalten gebliebenen Biotope der hoffnungslos verseuchten Erde befinden. Dazu singt Joan Baez, deren Lieder Theodor W. Adorno einstmals in etwa so kommentiert hat: Es hilft nichts, wenn sie die Schrecken von Vietnam besingt, weil sie dann mit ihren Liedern der Schrecklichkeit des Krieges noch eine weitere Dimension hinzufügt.
Peter Mühlbauer: Ich kenne von Joan Baez kein einziges gutes Stück.
Reinhard Jellen: In diesem Film ziehen jedenfalls die eher hedonistisch orientierten Astronautenkollegen das synthetische Essen den mühsam der Erde entrungenen Bio-Speisen des Bruce Dern vor und dieses sieht ironischerweise ein wenig wie diese Green Smoothies aus.
Peter Mühlbauer: Es ist mir durchaus möglich, damit auch Soilent Green zu assoziieren.
Reinhard Jellen: Hast Du eigentliche eine Theorie, warum das Essen so ideologisiert wird?
Peter Mühlbauer: Nicht direkt, aber man kann feststellen, dass es schon in der Vergangenheit Perioden gab, in denen Gesellschaften und Staaten die Nahrungsaufnahme über Religion grundlegend ideologisierten und Speisevorschriften erteilten: Im Hinduismus darf man keine Kühe essen, im Islam keine Schweine, Judentum dito, im Katholizismus gab es Fastenzeiten und Freitags kein Fleisch.
Allerdings wurden bei Letzterem die Fastenvorschriften scholastisch so umgebogen, dass der Biber als Fastenessen zählte, weil er sich ja die meiste Zeit im Wasser aufhält, wie ein Fisch.
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