Etwas klärt sich auf im Fall des Sebastian Edathy
Es ist nicht mehr die Rede von Kinderpornografie, sondern von Nackt- oder Posingfilmen
Der Fall des Politikers Sebastian Edathy gab Anlass zum Rätseln. Am vergangenen Wochenende gab er überraschend sein Bundestagsmandat auf. Aus gesundheitlichen Gründen, hieß es. Gleich am folgenden Montag erfolgten Hausdurchsuchungen in seinen Wohnungen. Mit den Ermittlern erschien auch die Presse. Die Staatsanwaltschaft hüllte sich in eisernes Schweigen, die Boulevardpresse sprach alsbald vom Verdacht auf Kinderpornografie - ohne ihre Informationsquellen zu nennen. Nun ruderten die Medien ein Stück zurück. Das wundert nicht, wenn manche Hintergründe klar sind.
Kurz nach Bekanntwerden seines Falles verteidigte Sebastian Edathy sich: "Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornografischer Schriften bzw. hätte mir diese verschafft, ist unwahr." Die Hausdurchsuchungen beruhten nur auf "Mutmaßungen" (Rätselraten um Sebastian Edathy).
Kurz darauf legte er nach. Gegenüber Spiegel online ließ er verlauten: "Nach mir vorliegenden Informationen wirft mir die Staatsanwaltschaft ausdrücklich kein strafbares Verhalten vor." Die "Durchsuchungen waren nicht nur unverhältnismäßig, sondern stehen im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen", meinte Edathy. Die Ereignisse überschlugen sich (Edathys geschwätzige Parteifreunde). Aus der Kinderpornografie wurden "Nacktfilme" und doch wieder mutmaßliche Kinderpornografie: Die Welt verlautete in der Überschrift, dass Edathy lediglich "Nacktfilme" gekauft haben soll. Im Text war hingegen von Kinderpornografie die Rede:
Der niedersächsische SPD-Politiker Sebastian Edathy soll nach Informationen aus Sicherheitskreisen Kunde bei einem kanadischen Online-Shop gewesen sein, der kinderpornografisches Material angeboten hat.
Das "Material" wurde so beschrieben:
Bei den von Edathy erworbenen Aufnahmen soll es sich um sogenannte Posing-Videos handeln. In solchen Filmen werden leicht oder unbekleidete Kinder und Jugendliche gezeigt, jedoch keine sexuellen Handlungen.
Etwas detaillierter berichtete die Tagesschau:
Nach Einschätzungen der Fahnder handelt es sich bei dem Verdacht gegen Edathy um einen "minderschweren Fall". Die Reporterin Sarah Tacke berichtete in der tagesschau, bei den Ermittlungen zu Edathy seien Videos entdeckt worden, die zwar nicht Kinderpornografie im engeren Sinne zeigen würden, aber sogenanntes Posing, das heißt Aufnahmen von Jugendlichen, die nackt posieren würden. Tacke wies darauf hin, dass diese Angaben bislang nicht bestätigt wurden.
Nach den ersten Enthüllungen von Kinderpornografie ist nun lediglich von "Nacktbildern" und "minderschweren Fällen" von Kinderpornografie die Rede. Das teilweise Zurückrudern erklärt sich durch die Operation "Spade".
Operation "Spade"
Nach Angaben der Boulevardmedien sollen die deutschen Behörden einen Tipp aus Kanada bezüglich Edathy erhalten haben. Edathys Daten sollen in den Ermittlungen um die Operation "Spade" aufgetaucht sein. Näheres und vor allem konkrete Tatvorwürfe in Bezug auf Edathy wurden nicht bekannt.
Die Boulevardmedien berichteten seinerzeit intensiv über die Operation. Die kanadische Polizei hat einen internationalen Kinderpornoring zerschlagen. 348 Personen wurden in vielen Ländern festgenommen und 386 Kinder sind gerettet worden. Angeblich zeigten die Darstellungen "grausame sexuelle Handlungen an Kindern". Von Festnahmen oder Hausdurchsuchungen deutscher Staatsbürger wurde seinerzeit bislang nichts bekannt.
Ausgangspunkt der sich überschlagenden Meldungen war die in Kanada registrierte Firma Azov Films. Sie vertrieb seit mehreren Jahren international und unbehelligt FKK-Filme, die hauptsächlich Jungen aus der Ukraine oder Rumänien zeigten. Neben Azov Films vertreiben auch heute andere selbst in den USA tätige Firmen wie Enature ähnliche Filme und Bilder legal. Die Angebote richten sich an eine Kundschaft, die besonderes sexuelles oder sexuell-ästhetisches Interesse an jungen Menschen vor der Pubertät haben. Die Firma agierte im prüden Einflussraum der USA und Kanada öffentlich und lange Zeit unbehelligt. Nach deutschem Recht überschreiten FKK-Darstellungen die Hürde von Kinder- oder Jugendpornografie nicht, da Nacktheit nicht als Pornografie gilt und sexuelle Handlungen notwendig vorliegen müssen (§184 b und c).
Es wurde aber auch mit Kinderpornografie gehandelt. Konkrete Ermittlungen nahm die kanadische Polizei im Oktober 2010 auf. Bereits 2011 wurde der Inhaber von Azov Films verhaftet und seine Computer inklusive der Kundendatenbank beschlagnahmt. Er wurde zahlreicher Vergehen beschuldigt, darunter dem Vertrieb von Kinderpornografie und der Leitung einer kriminellen Organisation. Erst Ende 2013 wurden in einer international koordinierten Aktion zahlreiche Kunden von Azov Films verhaftet. Es fanden Hausdurchsuchungen statt, Kinder der Kunden wurden aus ihren Familien entfernt und in staatliche Obhut genommen (Gerettete Kinder oder was man darunter versteht). Bei zumindest einem der Kunden wurde eine umfangreiche kinderpornografische Sammlung gefunden. Dort waren die berichteten "grausamen sexuellen Handlungen an Kindern" zu finden. Und es gestanden mehrere Männer, darunter ein Polizist und ein Vorschullehrer, kinderpornografische Videos hergestellt zu haben.
Kommentar: Edathys Fall
Nachdem die Boulevardmedien zunächst bei Edathy von Kinderpornografie schrieben, ist jetzt nur noch von "Nacktbildern" oder von "Posing-Videos" die Rede, allerdings unter pikanten Anspielungen auf Kinderpornografie. Aber auch von Posing (von: posierend) kann bei FKK-Filmen nicht die Rede sein. Das natürliche Verhalten nackter Kinder (katholische Moraltheologen, die die Korrektheit menschlichen Handelns an ihrer "Natürlichkeit" fest machen, mögen diesbezüglich die Realität konsultieren) ist das Gegenteil von "Posieren". Geschweige denn, dass posierende nackte Kinder per se das Kriterium von sexuellem Missbrauch, das sexuelle Handlungen voraus setzt, oder von Pornografie erfüllen.
Sollte Edathy, wie bislang vermutet werden kann, "nur" solche Filme gekauft haben, dann würden Edathys Aussagen auch Sinn machen. Er kann dann wahrheitsgemäß behaupten, dass ihm ausdrücklich kein strafbares Verhalten im Sinne von Kinderpornografie vorgeworfen wurde. So kann er auch behaupten, dass er sich nicht des Besitzes oder der Besitzverschaffung von Kinderpornografie schuldig gemacht hat. Das würde auch erklären, weshalb Edathy die Durchsuchungen nicht per se als rechtswidrig, sondern lediglich als "unverhältnismäßig" kritisierte. Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein - und dann muss man sich nicht wundern, wenn die Feuerwehr anrückt.
Die schnelle Zeitabfolge zeigt aber auch, dass die Ermittlungsbehörden Edathy schon länger im Visier hatten. Kurz nach der Niederlegung seines Bundestagsmandats erfolgten die Durchsuchungen. Die Ermittler hatten zu diesem Zeitpunkt wohl genügend Informationen, um es zu wagen, einen Antrag auf einen Durchsuchungsbeschluss stellen zu können.
Bleibt Edathys überraschende Niederlegung des Mandats. Waren es tatsächlich gesundheitliche Gründe? Oder wurde er vorab über die Ermittlungen "informiert" (von wem)? Ein Politiker, der mutmaßlich Nacktaufnahmen von Jungen konsumiert, kann selbst im beginnenden 21. Jahrhundert seine Karriere beenden.
Sollten tatsächlich lediglich Erkenntnisse über FKK-Bilder die einzigen Anhaltspunkte der Staatsanwaltschaft sein, ergeben sich weitere Fragen. Juristisch begibt sich ein Staatsanwalt bei FKK-Bildern nach dem Motto "Wo Rauch ist, ist auch Feuer" auf sehr dünnes Eis. Politisch ist das bei einem Bundestagsmitglied umso brisanter. Zu leicht kann der Staatsanwalt der "falschen" Person auf die Füße treten und im beruflichen Abseits landen. So ein Fall kann aber auch ein Karrieresprungbrett bedeuten. Ein im politischen Spiel versierter Staatsanwalt kann sich empfehlen, indem er die "richtige" Person verfolgt. Oder man konnte ihm Protektion zusichern, mit dem unausgesprochenen Versprechen, dass dies seiner Karriere förderlich ist.
Der ermittelnde Staatsanwalt wurde in den Boulevardmedien in diesem hoch aufgehängten Fall namentlich nicht erwähnt. Vielleicht steht ihm eine steile Karriere bevor, die man nicht so genau beobachtet wissen will. Perfide ist aber das System auch in einer anderen Beziehung. Wenn man Edathy eventuell zum Vorwurf machen will, dass er mutmaßlich Videos nackter Jungen bezogen hat, dann sollte man auch Manns genug sein und diesen Vorwurf klar und deutlich äußern. Ein Mann kann in Frieden sterben, wenn er in einer offenen Schlacht verloren hat. Aber von medialen und politischen Attentätern gemeuchelt zu werden, gehört nicht in das Repertoire westlicher Heldenlegenden. Diese Form des politischen Mordes ist eher dekadenten Gesellschaften zuzuschreiben. Der Fall Edathy ist wohl ein Spiegel unserer Gesellschaft.
(Einige Angaben wurden am 14.2. korrigiert, d. Red.)