EuGH-Generalanwältin: Dublin III gewährt Asylbewerbern Rechte
Rückführungsanspruch kann verfallen, wenn Mitgliedsstaaten die Fristen bei Klärung von Zuständigkeiten nicht einhalten
Im Streit, wer für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist, vertritt EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston die Auffassung, dass ein Asylbewerber gegen seine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat juristisch vorgehen könne, wenn ein Staat die vorgesehenen Fristen zur Klärung der Zuständigkeit überzogen habe. Der Grundsatz, dass ein Asylbegehrender grundsätzlich im ersten von ihm betretenen EU-Mitgliedsstaat seinen Asylantrag stellen müsste, könnte dadurch ins Wanken geraten. Dies könnte im Zusammenhang mit dem aktuell von Italien vorgebrachten Argument, dass das Land von den vielen ins Land kommenden Migranten überfordert sei, besondere Bedeutung erlangen.
In einem vor dem EuGH zur Verhandlung anstehenden Verfahren geht es darum, ob ein Asylbewerber aus den Fristenregeln der Dublin-III-VO (Nr. 604/2013), die eigentlich für die Feststellung der Zuständigkeit zwischen Mitgliedstaaten relevant sind, Rechte ableiten kann und diese dann vor einem nationalen Gerichten eingeklagt werden können. Weiterhin steht die Frage zur Klärung an, wann ein Antrag auf internationalen Schutz als formell korrekt gestellt gilt. Denn ab diesem Zeitpunkt beginnen die Fristenregelungen der Dublin-III-VO zu laufen.
Vorgeschichte des Verfahrens
Ausgangspunkt des Verfahrens vor dem EuGH ist eine Vorlage des Verwaltungsgerichts Minden (Az. 10 K 5476/16.A). In Minden ist die Klage des eritreischen Staatsangehörigen Tsegezab M. anhängig. Der Kläger hatte am 14. September 2015 bei der Regierung von Oberbayern um Asyl nachgesucht. In diesem Zusammenhang legte er einen eritreischen Militärausweis vor. Am 22. Juli 2016 stellte Tsegezab M. beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen förmlichen Asylantrag.
Im Rahmen der Anhörung durch das Bamf gab er an, dass er von Libyen aus über das Mittelmeer am 4. September 2015 nach Italien gereist und dann auf dem Landweg am 12. September 2015 nach Deutschland eingereist sei. Eine am 19. August 2016 durchgeführte Eurodac-Anfrage ergab, dass ihm schon in Italien Fingerabdrücke abgenommen wurden (Eurodac-Treffer IT2LE01HRQ). Dort habe er jedoch keinen Asylantrag gestellt. Das noch am selben Tag an die italienischen Behörden gerichtete Aufnahmegesuch sei unbeantwortet geblieben.
Das Bamf sah in der Nichtbeantwortung aus Italien gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO eine implizite Stattgabe zum Aufnahmegesuch aus Deutschland. Mit Bescheid vom 10. November 2016 lehnte das Bamf den Asylantrag von Tsegezab M. als unzulässig ab. Man stellte zudem fest, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorlägen, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Denn dieses Land und nicht die BRD sei nach den einschlägigen Bestimmungen der Dublin III VO für die Entscheidung über den Asylantrag von Tsegezab M. zuständig. Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung. Aufgrund der am folgenden Tag eingereichte Klage ersuchte das VG Minden den EuGH um eine Vorabentscheidung im beschleunigten Verfahren. Es wurden insgesamt acht Vorlagefragen formuliert.
Schlussanträge der Generalanwältin
Die Generalanwältin hatte in ihren Schlussanträgen Rechtsmittel eines Asylbewerbers gegen eine Zurückschiebung aufgrund der Dublin-III-Verordnung für unionsrechtlich möglich erachtet, wenn der betroffene EU-Mitgliedstaat die einschlägigen Fristen zur Klärung der Zuständigkeit versäumt habe (Az. C-670/16). Nach Ansicht von Sharpston könne eine Person, die internationalen Schutz beantrage, die Entscheidung eines Mitgliedstaats, sie in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, mit der Begründung anfechten, dass das Aufnahmegesuch nicht innerhalb der nach der Dublin-III-Verordnung festgelegten Frist gestellt worden sei. Die Dublin-III-Verordnung sei kein rein zwischenstaatlicher Mechanismus mehr, sondern gewähre auch Einzelpersonen Rechte.
Fristen für die Mitgliedstaaten
Grundsätzlich hat ein Mitgliedstaat, in welchem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, gemäß Art. 21 Dublin-III-VO drei Monate Zeit, um die Zuständigkeit abzuklären. Wenn wie im Falle von Tsegezab M. eine Eurodac-Treffermeldung vorliegt, muss die Zuständigkeit innerhalb einer verkürzten Frist von nur zwei Monaten geklärt werden. Nach Aussage der Generalanwältin können diese Fristen nicht verrechnet werden. Sie können also nicht addiert oder aufgerechnet werden. Verstreichen die genannten Fristen ohne Aktion, bleibt genau ein Mitgliedstaat zuständig. Das ist der, in dem sich der Asylbewerber nach Antragstellung gerade befindet. In dem anhängigen Fall wäre für den Beginn der Zweimonatsfrist damit der gemeldete Eurodac-Treffer am 19. August 2016 maßgeblich. Die Entscheidung des EuGH steht noch aus - in der Vergangenheit folgte das Gericht aber häufig den Stellungnahmen seiner Generalanwälte.