Eurobonds kaum noch aufzuhalten

Damit alle ihr Gesicht wahren können, werden sich die Staaten auf maximale Versprechen und minimale Durchgriffsrechte einigen und zügig die Eurobonds ins Leben rufen

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Wie auch immer die am kommenden EU-Gipfel anstehenden Entscheidungen im Detail auch ausfallen werden, irgendwie scheint sich die scharfe Ablehnung der "Eurobonds" durch die Bundesregierung gerade dahingehend aufzulösen, dass zwar die teilnehmenden Staaten irgendwie versprechen müssen budgetär künftig sehr brav zu sein, um Eurobonds-Gelder zu erhalten, es wird aber keine generell wirksamen Durchgriffsrechte geben, wie sie von einer übergeordneten EU-Institution beansprucht werden müssten, um als Europäische Wirtschaftsregierung bezeichnet werden zu können. Das dürfte jedenfalls eine Bedingung von Ländern wie Österreich oder Holland sein, die noch nicht in der Situation sind, sich ihre staatliche Budget-Souveränität für ein paar Euros abkaufen zu lassen.

Jedenfalls dürften sich die Eurozonestaaten rascher auf Sparsamkeitsversprechungen einigen können, als auf eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung, die tief in die fiskalische Souveränität der Staaten eingreifen würde und vielleicht sogar die Harmonisierung der Steuersysteme vorantreiben könnte. Sicherlich werden den Schuldnern Sanktionen angedroht. Und wie etwa eine künftige rechts- oder linkspopulistische Eurozonenregierung, die sich heute vielleicht noch nicht einmal abzeichnet, damit umzugehen vermag, wird sicher spannend werden können.

Vermutlich ersparen sich aber auch die künftigen Krisenländer die Frage, wozu überhaupt eine Regierung wählen, wenn diese dann keine Budgethoheit hat, weil wohl auch Frankreich hier keine allzu drastischen Maßnahmen zulassen wird. Absurd wäre es, wenn sich die Bedingungen der Eurobonds an den Strafzahlungen orientieren, die der im Sommer beschlossene "Sixpack" des EU-Parlaments zur Budgetstabilität beinhaltet, der Geldbußen für hartnäckige Schuldensünder von bis zu 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorsieht, schließlich kann ein Pleitestaat keine Strafzahlungen leisten.

Angesichts der Notlage dürfte aber kein Weg daran vorbei gehen - und damit alle ihr Gesicht wahren können, werden sich die Staaten auf maximale Versprechen und minimale Durchgriffsrechte einigen und die Eurobonds ins Leben rufen.

Niedrige Zinsen für solidarische Haftung

Vermutlich werden die neuen Bonds dann tatsächlich zur Verbesserung der Lage beitragen können, schließlich sind die Märkte offenbar schon jetzt bereit, jede auch nur halbwegs positive Nachricht mit Luftsprüngen zu feiern. So dürften hochliquide Anleihen herauskommen, für die eine Art von solidarischer Haftung aller Eurozonestaaten besteht, was am Markt für niedrige Zinsen sorgen sollte.

Wie niedrig diese tatsächlich ausfallen, ist indes kaum absehbar. Denn einerseits müssten diese Bonds, weil zusätzlich auch weitere Staaten haften, eigentlich über eine bessere Bonität verfügen als deutsche Bundesanleihen. Sofern einmal entsprechend viele in Umlauf sind, müssten die Zinsen der Eurobonds dann theoretisch noch niedriger ausfallen als die von Bundesanleihen, wodurch sie die Bundesanleihen als "Benchmark" (an der alle anderen Emissionen des Euroraums gemessen werden) ersetzen müssten.

Anderseits könnten die Marktteilnehmer auch vermuten, dass Deutschland im Krisenfall eher die Bedienung der Eurobonds ausfallen ließe als eigene Emissionen, was für einen Zinsaufschlag gegenüber den Bundesanleihen spräche, jedenfalls so lange Deutschland vergleichsweise solide Staatsfinanzen glaubhaft machen kann. Sollte sich Deutschland aber auch nur halbwegs plausible Garantien für diese Bonds abringen lassen, sollten die Aufschläge jedenfalls nicht allzu hoch ausfallen.

Um diesen Zins – vermutlich mit einem nicht unbedeutenden Aufschlag - an Staaten wie Italien oder Spanien weiterzureichen, werden dann voraussichtlich bestimmte Bedingungen zu erfüllen sein, die wohl – um die Zustimmung insbesondere Deutschlands zu finden – auch Eingriffe in die Souveränität der Schuldnerländer umfassen werden, sollten diese gebrochen werden. Die betroffenen Regierungen würden also nur dann Gelder erhalten, wenn sie dem explizit zustimmen, so dass ihnen immerhin die Entscheidung bleibt, hohe Marktzinsen in der Hoffnung zu akzeptieren, dass es sich nur um vorübergehende Probleme handelt. Oder eben die billigen EU-Gelder zu nehmen, dafür aber Eingriffe in die eigene Souveränität zu riskieren, bis die Bonds mehrheitlich getilgt sind.

Unklar bleibt freilich, ob etwa auch eine widerspenstige Regierung sich vertragskonform verhalten würde, sollten die EU-Gremien tatsächlich unangenehme Eingriffe vorzunehmen beschließen, dennoch könnte die Eurozonenkrise tatsächlich rasch beendet sein, sollten die Eurobonds gut am Markt untergebracht werden können, jedenfalls wenn man unter Eurozonenkrise die Weigerung der Märkte versteht, mehr oder weniger insolvente Staaten billig zu finanzieren.

Die Rolle der EZB wird entscheidend sein

Die Probleme der Banken, die sich aufgrund ihrer gewaltigen Bestände an alten Staatsanleihen gegenseitig nicht mehr vertrauen, würden sich indes nur dann signifikant verringern, sollten sich die Regierungen nicht zu einer wenigstens impliziten Garantie für die bereits ausstehenden Staatsanleihen durchringen. Dank der "Garantie" seitens EZB und EU-Kommission, dass es keine Eurozonenpleite geben werde, ist seit dem vereinbarten 50-Prozent Abschlag auf griechische Titel anzunehmen, dass die Märkte wenig auf vollmundige Versprechungen geben werden. Folglich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es bei den Eurobond-Emissionen zu Absatzschwierigkeiten kommt, insbesondere wenn sich bei den Banken die Befürchtung durchsetzt, dass es mittelfristig mit der regulatorischen Bevorzugung von Eurozonenstaatsanleihen vorbei sein könnte. Da die Nachfrage nach langfristigen Anleihen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit unter der Inflationsrate rentieren, aber auch aus "ökonomisch rationalen" Gründen beschränkt sein dürfte, kommen wir unweigerlich zur Frage nach der künftigen Rolle der EZB.

Denn werden etwa Bundesanleihen (wie zuletzt) vom Markt nicht zum gewünschten Zins aufgenommen, dann springt die Bundesbank ein und übernimmt was liegen geblieben ist. Immerhin wird die Kastration der Eurozonenländer durch ihren Verzicht auf die monetäre Souveränität mittlerweile auch von Notenbankern nicht mehr geleugnet. So hatte zuletzt Christian Noyer, Gouverneur der Französischen Nationalbank, neidvoll festgestellt, dass Länder unabhängig von ihrer fiskalischen Lage sehr niedrige Langfristzinsen hatten, wenn von der Notenbank signifikante Mengen an Schulden aufgekauft wurden. Noyer beziffert für Großbritannien den Anteil an den gesamten Staatsschuldenemissionen seit 2009 mit 58 %, für die USA mit 21% und für Europa mit zwischen neun und zehn Prozent, wobei dieser Anteil für die USA nur deswegen eher bescheiden erscheint, weil die Fed darüber hinaus Unmengen an Anleihen der im Sommer 2008 verstaatlichten US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac aufgekauft hat, die Noyer hier anscheinend nicht einrechnet.

Klar ist jedenfalls, dass es diesen Notenbanken keinerlei Mühe bereitet, Niedrigzinsen für ihre Herkunftsstaaten sicherzustellen, egal was die Ratingagenturen auch immer kritisieren mögen. Hier regiert offenbar die Kraft des Faktischen, die den Märkten zur Überzeugung verhilft, dass die Bonds jedenfalls nominell vertragskonform bedient werden würden, was zumindest für Banken als Investoren ein starkes Kaufargument ist, die weniger auf die Realverzinsung achten müssen, als Real-money-Investoren. Denn klar ist auch, dass etwa in Großbritannien die Inflationsrate trotz stagnierender Wirtschaft bei mehr als dem doppelten Zielwert liegt. Das jedoch erst, nachdem der Staat Jahre lang mehr als die Hälfte der neuen Staatsschulden monetarisiert hat, wobei noch dazu die Budgetdefizite jedes Jahr zweistellig waren.

Dank niedrigerer Staatsschuldenquoten und Budgetdefizite der Kernstaaten sollten die Eurobonds nun eine deutlich bessere realwirtschaftliche Unterlegung behaupten können als Großbritannien, weshalb der Absatz vermutlich auch ohne EZB sichergestellt werden könnte. Sollte den Märkten aber nicht vermittelt werden, dass im Notfall auch die EZB bereitsteht, werden sie voraussichtlich einen beachtlichen Risikoaufschlag verlangen.

Dem Einsatz der EZB als Lender-of-last-Ressort für die Eurozonestaaten steht letztendlich ihr Geldwert-Stabilitätsprimat entgegen, an dem die deutschen Entscheidungsträger offenbar weiter festhalten wollen. Diese starre Haltung wird gemeinhin den prägenden Erfahrungen Deutschlands mit der Hyperinflation der frühen 1920er Jahre zugeschrieben, wobei es vielleicht besser wäre, sich an die frühen 1930er Jahre zu erinnern. Denn nach einem überzogenen Boom in den USA und dem darauffolgenden Börsencrash hatte das unter schwersten Kriegsschulden leidende Deutschland auf strenge Haushaltsdisziplin und rigide Geldpolitik gesetzt, was die Wirtschaft so sehr zugrunde richtete, dass die Nazis demokratisch an die Macht gelangen konnten.

Die Nazis verfestigten ihre Macht, indem sie binnen Jahresfrist ein Wirtschaftswunder fabrizierten, das im Grunde auf der Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch Wechsel basierte, die von der damaligen Bundesbank diskontiert wurden. Laut Hjalmar Schacht, der diese monetären Finanzierungen organisiert hatte, hätten diese Wechsel dank des dadurch initiierten Wirtschaftsaufschwungs bei Fälligkeit auch tatsächlich bedient werden können, nur hatte Hitler dies verweigert, der alle Gelder für Rüstung und Krieg benötigte.

Warum sich die EZB aber tatsächlich so sehr gegen massive Interventionen sträubt, obwohl es anscheinend ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern gilt, dafür hat der belgische Wirtschaftsprofessor und Barroso-Berater Paul De Grauwe nun einen "ökononisch rationalen" Grund angeboten. Demnach müsse es sich nicht einfach nur um sturen Dogmatismus handeln, wie viele annehmen, sondern es liege schlicht daran, dass in einer akuten Bankenkrise eine Absenz der EZB sofort drastisch negative Folgen haben wird, die auch voll auf ihre Manager zurückfallen. Bankenkrisen eskalieren dabei sehr rasch, und ebenso zügig können sie bereinigt sein, wenn die Notenbank entschieden einschreitet.

Hingegen treten die positiven Folgen einer EZB-Absenz – nämlich dass Banken deshalb künftig weniger Risiken eingehen weil sie gelernt haben, dass sie eben nicht von der Zentralbank gerettet werden – wenn überhaupt erst sehr langfristig und weitgehend unmessbar auf. Eine Staatsschuldenkrise läuft demgegenüber sehr viel langsamer ab, so dass die Notenbank mehr Gewicht auf den langfristig disziplinierenden Nutzen legen kann, den eine Rettungsverweigerung haben könnte. Da zudem die Folgen einer EZB-Absenz sehr lange ungewiss sind, werde Grauwe zufolge die EZB so lange zuwarten, bis die Folgen einer EZB-Absenz völlig klar sein werden - und das sei erst dann der Fall, wenn die Eurozonenkrise zu einer vollen Bankenkrise eskaliert ist. Für Grauwe habe das die "deprimierenden" Konsequenzen, dass nicht nur der Hilfsbedarf bei einer Bankenkrise wesentlich höher ausfallen müsse, sondern diese auch mit einer schweren Realwirtschaftskrise verbunden sein werde.