Europa-Bashing durch die US-Finanzindustrie
Warum wird die fiskalisch weitaus stärkere und stabilere Eurozone gegenüber den USA und Großbritannien herabgesetzt?
Es war den meisten Wirtschaftsmedien eine dicke Meldung wert: Die US-Ratingagentur Standard&Poor's hat die Kreditwürdigkeit der EU und damit des europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) von AAA auf AA+ herabgesetzt. Da nur noch wenige Eurostaaten den begehrten AAA-Status besitzen, unter ihnen Deutschland, könnte man argumentieren: Das Ganze kann nicht besser sein als die Summe seiner Teile. Im Falle ESM ist aber genau das der Fall. Ausgestattet mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro steht er im Eigentum der 17 Euro-Staaten.
Die Euro-Staaten verbuchten alleine 2012 Staatseinnahmen in Höhe von 4,38 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten von Amerika nahmen im gleichen Jahr ganze 1,77 Billionen Euro ein - weniger als Frankreich und Italien zusammen.
Die Herabsetzung der EU ist Teil einer seit Jahren andauernden Abwertungsreihe für EU-Staaten. So wenig wie erklärbar war, dass die Märkte von 2001 bis 2009 Griechenland wie Deutschland bewerteten, so wenig ist nun erklärbar, warum ausgerechnet die einnahmestärksten Staaten der Welt, etwa Frankreich mit AA, schlechtere Bonität als die EU und die USA haben sollen.
Die von Standard&Poor's vorgetragene Begründung, Spannungen bei den EU-Verhandlungen seien Ausdruck schwindenden Zusammenhalts unter den EU-27-Staaten, ist nicht schlüssig, da das EU-Budget nur einen Bruchteil der Billionenbudgets der EU-27 Staaten ausmacht. Diese konnten ihre Staatseinnahmen bereits 2012 gegenüber 2011 um hervorragende 3,76 Prozent auf nunmehr auf 5,86 Billionen Euro steigern.
Nach den vorliegenden Daten von Eurostat und den nationalen Statistikämter werden auch 2013 die Einnahmen der meisten EU-Staaten deutlich wachsen. Um nun die Kreditwürdigkeit von EU- und Eurostaaten zu beurteilen, wird bisher das sogenannte Maastricht-Kriterium, also das Verhältnis von Schulden und Bruttosozialprodukt herangezogen. Dieses verschlechtert sich aber automatisch in der Rezession. Ergebnis am Beispiel Italien: Obwohl Italien bereits seit dreizehn Jahren durch umsichtige Fiskalpolitik seine Einnahmen mit den Schulden steigert, wird Italien durch das Maastricht-Kriterium immer weiter abgewertet:
Rätselhafte Abwertung Italiens von AA auf BBB+
Das sinkende BIP verschlechtert offenbar die Bonität der fleißigen Mittelstandsnation, obwohl Italien bereits an der Grenze der zumutbaren Steuer- und Abgabenlast liegt. Überraschung: Nicht Deutschland, Italien ist der Sparmeister der Eurozone.
Die Azzurri konnten trotz ihrer langanhaltenden Rezession ihre Staatseinnahmen leicht steigern - immerhin um 2,47 Prozent 2012. Selbst im Krisenjahr 2013 wird der Tesoro, wie das italienische Finanzministerium heißt, der strengste Steuereintreiber Europas, die Staatseinnahmen noch einmal leicht steigen.
Um derartige Leistungen einer innenpolitisch heiß umkämpften Steuerpolitik würdigen zu können, wurde das Basel-Kriterium entwickelt. Das sogenannte Basel-Kriterium, also Staatsschulden in Prozent der jährlichen Staatseinnahmen, ist bei wesentlichen Eurostaaten seit Jahren konstant, so bei Italien, Belgien und Österreich, etwas weniger bei Deutschland. Im Vergleich zu Großbritannien, dessen Basel-Kriterium sich von 103 Prozent im Jahre 2001 auf 212 Prozent im Jahre 2012 erhöht hat, schneiden die Eurostaaten in ihrer Kreditwürdigkeit vergleichsweise gut ab.
Da im EU-27-Schnitt das Basel-Kriterium von 100 im Jahre 2001 auf 140 im Jahre 2012 stieg (siehe Abbildung) , ist die von Standard&Poor's bekräftigte Einschätzung von Großbritannien mit AAA gegenüber der Herabsetzung der Eurozone nicht gerechtfertigt.
Da die USA 2012 nur Staatseinnahmen in Höhe von 1,77 Billionen Euro verzeichnen konnten (Deutschland: 1,19 Billionen, Frankreich: 1,05 Billionen), stellt sich die Frage, warum Standard&Poor's die fiskalisch weitaus stärkere und stabilere Eurozone gegenüber den USA und Großbritannien herabsetzt.
Dazu bedarf es keiner Verschwörungstheorie. Alle drei Ratingagenturen verdienen ihr Geld nicht mit den Länderratings, sondern mit der Bewertung von Finanzprodukten, in erster Linie in den USA und Großbritannien. Da aber durch eine längst gerechtfertigte Abwertung der beiden führenden Standorte der Weltfinanzindustrie auch deren Finanzprodukte in den Strudel des Downgrade gerieten, sorgen die Ratingagenturen weiter für gebührenden Abstand. Im Falle der EU ziemlich frei von rationalen Begründungen.