Europäische Musiker überreichen Petition an das EU-Parlament
Angeblich schützen nur schärfere Urheberrechtsgesetze die "Kreativität"
Der französische Musiker Jean-Michel Jarre, Vorzeigekünstler und Künstlersprecher der International Federation of Phonographic Industries, und die irische Rockband The Corrs haben gestern eine von 1400 Musikern unterschriebene Petition an das EU-Parlament übergeben. Wer für Kreativität sei, so der Tenor, der müsse auch die Urheberrechte stärken. Europa habe Künstler und Musiker schon seit jeher durch scharfe Copyright-Gesetze unterstützte, die jetzt wieder notwendiger denn je würden. Damit neue Technologien wie das Internet zu "einem Freund und nicht zu einem Feind unserer Kreativität" werden, sollen die Parlamentarier die EU-Urheberrechtslinie verabschieden und dadurch technische Maßnahmen zum Copyrightschutz gesetzlich stützen, damit "unsere Arbeit nicht den Piraten anheim fällt".
Angst haben die Musiker und die Musikindustrie vor allem davor, dass die EU-Urheberrechtsrichtline es den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen würde festzulegen, ob privates Kopieren weiterhin möglich bleibt oder in welchem Rahmen die Verwendung von Kopien etwa für Unterrichtszwecke erlaubt ist (Ausnahmen beim Schutz von Musikrechten). Das aber ist der Musikindustrie mit ihrem Tross der Vorzeigekünstlern zu lax. Gefordert wird auch, dass die Content-Anbieter im Internet die copyrightgeschützten Dateien besser technisch schützen sollen.
Kreativität beweisen die Musiker im Verein mit der Industrie vor allem darin, dass sie mit ihrer Forderung, jetzt die Gunst der Stunde und vorhandene Techniken zu nutzen, um der Möglichkeit von Privatkopien weitestgehend ein Ende bereiten zu wollen. Zwar sind auch in der Vergangenheit weder durch Tonbandgeräte noch durch Videorekorder finanzielle Katastrophen über die Plattenfirmen und die Musiker hereingebrochen, sondern haben sich ganz im Gegenteil die Umsätze und Einnahmen eher vervielfältigt. Aber Katastrophenmeldungen mit aufgebauschten Verlustmeldungen, um Politiker zu beeindrucken, ein altes ökonomisches Modell zu verteidigen, scheint einfacher zu sein, als sich den neuen Bedingungen zu stellen. "Eine Menge Zeit, Arbeit und Geld ist nötig, um eine Aufnahme zu machen", jammert Caroline Corr von den Corrs. "Wir verlangen nur das Recht, die Kontrolle über unsere eigene Distribution ausüben zu können." Was allerdings hieße, die sicherlich auch technisch bedingten herkömmlichen "Rechte" auch des Käufers von Musik zu beschneiden, etwa Kopien für den persönlichen Gebrauch machen zu können.
So meint Jay Berman, der Vorsitzende der IFPI: "Nicht jede Kopie ist eine private Kopie. Es nichts Privates an 200 Millionen Menschen im Internet, die die Musik der anderen massenhaft produzieren. Und es ist nicht privat, wenn Firmen Kopien ohne die Zustimmung des Künstlers oder der Plattenfirma herstellen." Daher, so die "logische" Schlussfolgerung, könne man ja gleich auch technisch und juristisch dafür sorgen, dass wegen des Missbrauchs auch das private Kopieren möglichst unterbunden wird, um damit die eigenen Einnahmen zu steigern.
"Der aktuelle Text der EU-Urheberrechtrichtlinie ist nicht technikfreundlich", meint Paul Russell, der Vorsitzende von Sony Music Entertainment Europe. "Sie lässt den EU-Regierungen die Möglichkeit offen, plötzlich einzugreifen und unsere technischen Maßnahmen zu stören. Das ist nicht gut für die Musikbranche und für den europäischen Markt. Kurz, diese Richtlinie würde die Verwendung von technischen Maßnahmen so ungewiss machen, während sie doch eigentlich genau das Gegenteil machen sollte, nämlich Technologien zu stärken, die zur Unterbindung von Piraterie entwickelt wurden." Am liebsten wäre es der Industrie, sie hätte freie Hand, über eine vom Gesetz bedingungslos geschützte Technik das Urheberrecht selbst zu regeln. Das allerdings wurde nicht nur zugunsten der Copyright-Inhaber geschaffen, sondern auch für die Nutzer und Bürger. Die sind aber von den Kreativen und ihren Vermarktern nur noch als Melkkühe vorgesehen.
"Wenn jemand etwas stiehlt, dann wird dies als ungesetzlich betrachtet", beteuert Jarre im Schulterschluss mit der IFPI. Jay Berman droht unheilschwanger, dass jetzt bereits 25 Millionen illegale Musikdateien im Internet vorhanden seien und der Branche dadurch 1999 ein Umsatzverlust von 1,4 Milliarden Euro entstanden sei. Die EU habe geringere Steuereinnahmen - und überhaupt seien 600000 Jobs in Gefahr, wenn nicht schnell die Gesetze verschärft werden (zur sich steigernden Rhetorik des Untergangs der Kultur durch das Internet siehe auch: Schutz des geistigen Eigentums ist die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft)
In einem Zeitraum von 8 Stunden habe man 17000 illegale Dateien von Michael Jarre und 18000 von Corr im Internet gefunden. Da passt es doch, dass Jarre zumindest nicht sagt, er sei deswegen verarmt: "Für uns ist das gut gelaufen, aber wir müssen die Künstler schützen, die das Kapital benötigen, um weiter voranzukommen." Das ist natürlich richtig selbstlos gedacht, aber man fragt sich doch, ob es dann, wenn bei erfolgreichen Künstlern vermutlich auch mehr "illegale" Kopien im Netz und anderswo existieren und sie sowie ihre Plattenfirmen gleichwohl noch nicht am Hungertuch nagen, wirklich nötig ist, mit solchen rhetorischen Geschützen aufzufahren, um letztlich nicht nur gegen kommerzielle Raubkopierer, sondern auch gegen die eigenen Fans vorzugehen und unter gesetzlichem Schutz eigentlich das Urheberrecht unterlaufen zu wollen. Gegenüber diesen Forderungen ist allemal eine Abgabe auf Computer und andere Geräte vorzuziehen (Bundesregierung will Urheberrechts-Abgaben für PC-Komponenten), selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass die Forderungen der Musikindustrie und mancher Musiker dann nicht umgesetzt werden, das Urheberrecht noch weiter zu verschärfen.