Schutz des geistigen Eigentums ist die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft
Die Musikindustrie kämpft für das Gute bei der Sicherung des Eigentums und knüpft ihr Wohlergehen an das des Internets
Die Musikindustrie ist in Nöten - sagt sie jedenfalls. Das Internet mit MP3, Napster oder Gnutella verwandelt alle Nutzer in Diebe. Angeblich hat jetzt eine Untersuchung erstmals belegt, dass Napster zu finanziellen Verlusten durch geringere Verkaufszahlen von CDs führt. Und auf einer Veranstaltung beschwor Seagram-Chef Edgar Bronfman, dass der Schutz des geistigen Eigentums nicht nur für das Überleben des Internet, sondern auch der Kultur überhaupt unabdingbar ist. Zumindest geht es für ihn dabei um die zentrale und entscheidende Herausforderung für diese technische Revolution".
Letzte Woche endlich hatte die Musikindustrie anscheinend gefunden, was sie für ihren Kampf gegen die Heerscharen der Räuber im Netz dringend zur Legitimation benötigte: einen Beleg, dass Programme wie die Musikbörse Napster tatsächlich die Verkäufe von CDs zurückgehen lassen. In aller Regel sind nämlich die jährlichen, rituell gemeldeten Verluste, die stetig wachsen, reichlich spekulativ, um nicht zu sagen, übertrieben.
Eine Untersuchung, die von Reciprocal, Anbieter von Diensten zur Verwaltung digitaler Rechte, also selbst höchst interessiert an einem bestimmten Ergebnis, in Auftrag gegeben wurde, hatte herausgefunden, dass der Verkauf von CDs in 3000 Geschäften in der Nähe von Universitäten um vier Prozent zwischen 1998 und 2000 zurückgegangen sind, während sie ansonsten zwischen vier und acht Prozent gestiegen sind, zwischen dem 1. Quartal 1999 und dem 1. Quartal 2000 sogar um 7 Prozent. Ganz so schlimm scheint es also nicht um die Musikindustrie bestellt zu sein, gleichwohl kommentierte gleich Amy Weiss, Sprecherin der rührigen Recordning Industry Association of America (RIAA.): "Das Ergebnis ist nicht überraschend und bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen. Das weist auf die Wichtigkeit hin, die Rechte der Künstler im Internet zu schützen."
Zunächst sieht es ja tatsächlich so aus, dass die Musikindustrie möglicherweise durch Napster Verluste haben könnte, wenn man annimmt, dass die meisten Benutzer Studenten sind - und dies auch stimmt. Insgesamt liegen die Verkaufzahlen von CDs im ersten Quartal 2000 bei "120 Prozent der Gesamtsumme des 1. Quartals 1997, die Verkäufe bei den ausgewählten Geschäften, wahrscheinlich durch starkes Tauschen von Musikdateien, aber nur bei 98 Prozent der Gesamtsumme vom 1. Quartal 1997." Und zwischen 1997 und 1998 sind die Verkäufe in den 3000 Geschäften um Universitäten noch um 12 Prozent angestiegen, danach aber gesunken. Seltsam - und nicht kommentiert - ist nur, dass in den 67 Geschäften, die sich in der Nähe von Universitäten befinden, welche seit Februar den Zugang zu Napster blockiert haben, der Verkauf von CDs mit sieben Prozent noch tiefer als bei den anderen Geschäften absank. Sind da die Studenten über das Vorgehen der Musikindustrie sauer und boykottieren das Kulturgut? Oder wird möglicherweise Napster auch dort mehr verwendet, wo es mehr Menschen mit weniger Geld gibt? Es könnte ja durchaus sein, dass sich zwar Menschen möglicherweise Musikdateien mittels Napster herunterladen, aber nicht bereit sind - und es vielleicht finanziell auch nicht können -, sich die entsprechenden CDs zu kaufen, wenn sie nicht kostenlos an die Musik heran können.
Gleichwohl, für Edgar Bronfman, Chef von Seagram und damit auch von Universal Music Group, steht der Untergang nahe bevor. Auf einer von Real Networks organisierten Konferenz sprach er davon, dass man sich gemeinsam auf eine Mission begeben habe, die "lebenswichtig ist, um die nach Information und Unterhaltung gierigen Welt besser bedienen zu können." Die zentrale Frage, um die sich heute angesichts der Möglichkeiten und vor allem der Gefahren des Internet alles drehe, sei der Schutz des geistigen Eigentums oder die "absolut sichere Lieferung des Content". Dabei muss sogar der Zweite Weltkrieg, der Sieg der Alliierten und schließlich der Untergang der Sowjetunion herhalten, denn es waren Gerechtigkeit und Fairness - also die Wahrung der Besitzverhältnisse - die letztlich zum Sieg der freien Welt geführt haben. Überhaupt geht es natürlich nicht um Profit, sondern um das Gute, das hinter ihm steht: "Letzten Endes geht es bei diesem Kampf nicht nur um den Schutz von Musik oder Videos, von Software oder Computerspielen. Es ist auch kein Kampf um das Versprechen der Technik oder deren Grenzen. In seinem Kern geht es einfach um Gut und Schlecht."
Bronfman versucht das Problem jedem auf einfache Weise klar zu machen. "Alle verstehen 'Eigentumsrechte' sehr gut, die auch universell akzeptiert werden. Sie besitzen ein Haus. Sie besitzen ein Auto. Sie gehören Ihnen - Sie besitzen es. Es ist Ihr Eigentum. Aber auch Ihre Ideen gehören Ihnen. Und 'geistiges Eigentum' ist Eigentum. Aber da gibt es diejenigen, die glauben, dass deswegen, weil Technik es ermöglicht, auf Eigentum zuzugreifen und es sich anzueignen, das, was Ihnen gehört, Ihnen irgendwie nicht mehr gehört." Und das ist schlimm, denn wenn geistigen Eigentum nicht geschützt wird, dann wird es das Schicksal des Bisons erleiden, also aussterben - und dazu gleich auch noch das Internet, das nicht "losgelöst von der zivilisierten Gesellschaft und den fundamentalen Rechten, auf denen sie basiert", existieren kann.
Ohne Inhalte, die streng als geistiges Eigentum geschützt werden, wäre doch das Internet nichts weiter als eine "wertlose Ansammlung von schweigenden Maschinen mit grauen Bildschirmen". Seagram und die anderen Kollegen kämpfen im Namen aller anderen, die mit dem Internet zu tun haben, um den Erhalt der "Sonne des Internet", um die sich alles dreht: den von der Unterhaltungsindustrie gelieferten Content, durch den erst andere Soft- und Hardware Bedeutung gewinnt. Und das ist eine Art Kreuzzug: "Ohne den Content würde das Internet in einem Tag sterben." Und weil der Content geschützt werden muss, verspricht Bronfman als "Leiter eines der größten Contentunternehmen der Welt", für "den Schutz der Kreativität und des Genies der Künstler überall sowie derjenigen, die sich in diesem Raum befinden, zu kämpfen." Damit meinte er wohl die doch nicht ganz so wichtigen Entwickler von Software wie die von Real Networks.
Dabei geht es auch, aber nicht nur um den Kampf vor den Gerichten. Erfolgreich sei man bereits bei myMP3.com, Napster, DeCSS und iCraveTV gewesen: "Wir werden unseren Kampf in jedem Land, vor jedem Gericht und an jedem Ort ausfechten, wo unsere fundamentalen Rechte angegriffen und verletzt werden." Als Tonbänder und Fotokopiergeräte auf den Markt kamen, haben man auch neue Lösungen dafür finden müssen, was man privat kopieren könne, ohne dass dies ein Diebstahl sei. Auf diese auch heute wieder entscheidende Frage geht Bronfman aber nicht weiter ein, sondern sagt nur, dass man dies technisch lösen werde. Das aber heißt, dass die Käufer, die geistiges Eigentum erwerben, vermutlich möglichst wenig Rechte an ihrem Eigentum haben sollen, geht es nach den verkaufenden Rechteinhabern - und die haben zur Zeit politisch ein größeres Gewicht, was man auch an der europäischen Urheberrecht-Richtlinie sehen kann.
Doch Bronfman hat es wohl mit der Popularität seiner Argumente allzu gut gemeint. Der Vergleich des geistigen Eigentums mit einem Auto oder einem Haus hinkt. Zumindest würde dies heißen, dass dann, wenn das Eigentum eines Autos mit dem eines Musikstückes identisch wäre, der Besitzer, der sich die Ware gekauft hat, damit machen kann, was er will. Er kann also das Musikstück wie sein Auto weiter verkaufen ... Aber weil geistiges Eigentum in Form digitaler Daten sich doch ziemlich von materiellen Gegenständen wie nur schwer massenhaft kopierbaren Häusern oder Autos unterscheidet, soll auch im Sinne von Bronfman die "zivilisierte Gesellschaft", die gegen das wilde Netz gestellt wird, das geistige Eigentum anders schützen. Gleichwohl scheint er an dem Vergleich Gefallen gefunden zu haben, wenn er sagt, dass der Zugriff auf Copyright-geschützte Inhalte ohne Bezahlung oder Genehmigung genauso falsch sei, wie wenn man in ein Geschäft geht und eine CD klaut.
Bronfman setzt natürlich auf die Technik - und gleich auf die "wachsenden Arsenale von technologischen Waffen" -, um dem Diebstahl vorzubeugen und Diebe zu identifizieren. Man könne bereits alles verfolgen, was im Internet heruntergeladen wurde, und jede Datei mit einer Kennzeichnung versehen. So lassen sich dann diejenigen, die "das Internet benutzen, um illegal Musikdateien und andere Copyright-geschützte Informationen zu erwerben", identifizieren. Dazu allerdings muss die Anonymität im Internet beendet werden. Und dazu muss selbst Bronfman dann ein wenig Erklärungen nachschieben, denn schließlich können auch in einem Geschäft CDs gestohlen werden, ohne dass man verlangen würde, jeder müsse sich etwa beim Betreten eines Ladens ausweisen und seine persönlichen Daten hinterlegen. Noch kann man in ein Geschäft gehen und völlig anonym bleiben, wenn man bar bezahlt - zumindest wenn noch keine Überwachungskamera angebracht ist.
Schluss mit der Anonymität zu machen, heißt irgendwie in Konflikt mit dem Recht auf Privatheit und dem Schutz persönlicher Daten zu geraten. Man dürfe aber, wie Bronfman uns erklärt, keineswegs Privacy mit Anonymität gleichsetzen. Es gibt zwar ein Recht auf Privacy, nicht aber auf Anonymität, die eigentlich nur bedeute, dass man "mit dem Stehlen, mit dem Hacken oder mit der Verbreitung illegaler Inhalte im Internet" durchkommen kann. Das aber sei Anarchie und eine Unterminierung der Grundlagen unserer zivilisierten Gesellschaft, deren erstes Gebot der unbedingte Schutz des Eigentums ist, dem letztlich alles zu unterstellen ist. Keineswegs äußerte sich Bronfman dagegen über das Eindringen der Firmen in die Privatsphäre durch das Sammeln persönlicher Daten, was man auch als eine Art Diebstahl verstehen könnte. Anonymität sei letztlich nur das "digitale Äquivalent für eine Skimaske, die man aufsetzt, um eine Bank zu berauben." Andere Gründe, Anonymität zu wahren, kennt der Contentlieferant mit seiner simplen Weltanschauung offenbar nicht, die letztlich nur verkündet, dass es allen gut geht, wenn es uns, der Musikindustrie, gut geht, die für die Sonne über uns allen sorgt ....