Europäische Polizeidatenbanken: Vom Fahndungs- zum Ermittlungssystem

Seite 2: Europaweites Echtzeit-Ermittlungssystem

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Neu ist der Vorschlag, dass auch die Polizeiagentur Europol heimliche Fahndungen nutzen darf. Zwar dürfte Europol keine eigenen Artikel 36-Ausschreibungen erstellen, diese jedoch auslesen und mit den eigenen Informationen abgleichen. Derzeit darf Europol nur im Einzelfall auf das SIS II, das Visa-Informationssystem und die Fingerabdruckdatenbank EURODAC zugreifen. Nach den November-Anschlägen in Paris hatte der Rat der Europäischen Union im vergangenen Jahr gefordert, die Voraussetzung zu schaffen, um "systematisch die Europol-Datenbanken mit dem SIS II abzugleichen". Hierfür müsste allerdings die Verordnung für das SIS II geändert werden. Noch in diesem Jahr will die Europäische Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorlegen, auch die EURODAC-Verordnung soll diesbezüglich erweitert werden.

Europol würde dadurch seine Position als Schaltstelle für den europäischen Datentausch weiter ausbauen. Wenn etwa mehrere Mitgliedstaaten zur gleichen Zeit zur selben Person oder zum selben Fahrzeug ermitteln, könnte Europol die betreffenden Behörden unterrichten. In Den Haag betreibt Europol mehrere Datenbanken zu besonderen Phänomenen von Terrorismus und organisierter Kriminalität sowie das übergreifende Europol Informationssystem (EIS). Geplant ist, dass jeder neue Eintrag bei Europol unmittelbar mit dem SIS II abgeglichen wird. Später könnte der Ausbau auf weitere Datenbanken folgen, es entstünde dann ein europaweites Echtzeit-Ermittlungssystem.

Im Gegensatz zu den einzelnen Mitgliedsstaaten könnte Europol auch solche Informationen abgleichen, die aus europäischen Nicht-SIS-Mitgliedstaaten oder von Behörden aus den USA angeliefert werden. Europol ist unter anderem die Zentralstelle für Finanzermittlungen und beaufsichtigt das EU-US-Abkommen zur Kontrolle verdächtiger Finanzströme (das sogenannte SWIFT-Abkommen). Es berechtigt Ermittler aus den USA, in der EU getätigte Finanztransaktionen abzufragen, darunter Stammdaten, Post- oder Mailadressen der Kontoinhaber oder Telefonnummern.

Daten auch aus den USA

Europol hat hier eine Doppelrolle: Eine Abteilung soll die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen überwachen. Ermittler aus Den Haag oder aus den EU-Mitgliedstaaten können aber selbst Daten in den USA anfordern (Wer kontrolliert Europol?). Nach den November-Anschlägen in Paris hatten französische Behörden die Einrichtung einer dauerhaften "Task Force Fraternité" bei Europol angestoßen. Die dort abgestellten 21 Europol-Bediensteten sowie vier "nationalen Experten" arbeiten auch mit US-Behörden zusammen. Die Polizeiagentur erhielt unter anderem Hunderte Hinweise und Berichte aus dem SWIFT-Abkommen und dem EU-US-Passagierdatenregister.

Im Januar hat Europol ein Europäisches Zentrum für Terrorismusbekämpfung (ECTC) in Den Haag eröffnet. Nach Vorbild der deutschen "Gemeinsamen Zentren" sollen dort Informationen auch von Geheimdiensten angeliefert werden können. Die am ECTC beteiligten Stellen kommunizieren über das verschlüsselte SIENA-Netzwerk von Europol, derzeit allerdings nur im niedrigsten Geheimhaltungsgrad "VS - Nur für den Dienstgebrauch" (EU Restricted). In diesem Herbst ist der Upgrade auf "VS - Vertraulich" (EU Confidential) vorgesehen.

Inzwischen hat Europol eine "geschlossene Nutzergruppe" für die Staatsschutzabteilungen eingerichtet. Auf diese Weise können einzelne Stellen bi-und multilateral verschlüsselt miteinander kommunizieren. Aus Deutschland ist das Bundeskriminalamt als Kontaktstelle für deutsche Sicherheitsbehörden in den Informationsaustausch eingebunden. Obwohl nicht zur Europäischen Union gehörend, soll auch das Kommunikationsnetzwerk der in den bleiernen 70er Jahren gegründete Police Working Group on Terrorism (PWGT) bei Europol eingegliedert werden. Dann dürften dort auch geheime Informationen ("EU Secret") getauscht werden.

Wer kontrolliert die neuen Werkzeuge und Kompetenzen?

Fraglich ist, wie die erheblichen neuen Kompetenzen Europols von der Öffentlichkeit und den Parlamenten kontrolliert werden sollen. Die neue Europol-Verordnung tritt im Mai 2017 in Kraft. Im Unterschied zur früheren Fassung sollen den nationalen Parlamenten mehr Informationsrechte zustehen. Gemeinsam mit EU-Abgeordneten bilden sie einen parlamentarischen Kontrollausschuss. Dessen Aufgabe besteht aber vor allem im Lesen von Berichten, nur in Ausnahmefällen kann der Ausschuss Europol-Bedienstete befragen.

Schon seit einigen Jahren wirbt Europol mit seinen Fähigkeiten zur Datenanalyse. Selbst programmierte Software zum Data Mining oder zur Darstellung sozialer Netzwerke ermöglichen Funktionen, die nicht in allen Mitgliedstaaten erlaubt sind (Europol will Quasi-Geheimdienst werden). Für diese technischen Werkzeuge sind laut einem Bundestagsgutachten keine neuen Kontrollmöglichkeiten zu erwarten.

Die neue Verordnung stärkt lediglich die "politische Überwachung" von Europol. Auch in Den Haag vollzieht sich die Verlagerung der Polizeiarbeit ins sogenannte Vorfeld. Es ist möglich, dass der neue Kontrollausschuss diese Hinwendung von der Strafverfolgung zur Gefahrenabwehr problematisiert. Eine Änderung dieser Praxis ist aber unter den gegenwärtigen politischen Koordinaten nicht zu erwarten.