Europäischer Gerichtshof an Polen: Unverbindliche Ermahnung
Die PiS wird sich um das Urteil nicht scheren, neue "Reformen" des Justizsystems stehen an
Das Urteil fiel nicht so klar aus, wie es die polnische Opposition erwartet hatte und die Regierung interpretiert es auf ihre Art: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat am Dienstag das Oberste Gericht in Warschau dazu aufgefordert zu untersuchen, ob die dort angegliederte Disziplinarkammer unabhängig wäre, auch der Landesrichterrat sei zu prüfen. Die Art in Weise, wie die Kammer entstanden sei, gebe Anlass zu "berechtigtem Zweifel". Bei der Besetzung des Rates sei es zu "Unregelmäßigkeiten" gekommen.
Beide Organe gelten als wichtigste Instrumente der Partei "Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS), die kürzlich unter Premierminister Mateusz Morawiecki zum zweiten Mal eine Regierung gebildet hat. Die PiS will eine nationalkonservative Veränderung Polens und greift seit Herbst 2015 massiv in das Rechtssystem ein. Mit der seit 2018 tätigen Kammer können Richter aber auch Staatsanwälte sowie Anwälte mit Strafen belegt werden, die bei einer gewissen Höhe Berufsverboten gleichkommen.
Der Landesrichterrat (KRS), der die Unabhängigkeit der Gerichte garantieren soll, entschied über die Besetzung der Disziplinarkammer. Der KRS kann die Nominierung und Amtsenthebung von Richtern landesweit durchsetzen und wurde per Gesetzesreform im März 2018 mit regierungsnahen Richtern durch Staatspräsident Andrzej Duda besetzt, entschieden wurde über die Besetzung durch den Sejm. Duda gilt bis auf geringe Ausnahmen als Kooperationspartner und hat bislang viele umstrittene Gesetze unterschrieben.
Das Oberste Gericht in Warschau hatte nun selbst um eine Beurteilung des Gerichtshofs in Luxemburg gebeten. Der EuGH war es auch, der diesem Gericht wieder zu einem Status als unabhängige Instanz verhalf: Das polnische Parlament musste auf dessen Anweisung im November 2018 die Zwangspensionierung von 23 Richtern des Obersten Gerichts, darunter die Vorsitzende Malgorzota Gersdorf, wieder zurücknehmen.
Sollte der Landesrichterrat nicht untersucht und reformiert werden, so drohe Polen nach Ansicht des twitternden Rechtsprofessors und Regierungskritikers Marcin Matczak das rechtliche Chaos. Denn dann könnten sich Richter in Polen und der EU auf das EuGH berufen und Urteile von polnischen Richtern, die durch den seit März 2018 wirkenden Landesrichterrat eingesetzt worden sind, als nichtig ansehen.
Polen: Reform des Justizwesens ist Angelegenheit der Mitgliedsländer
Bereits 13 NGOs haben an die Regierung appelliert, das Urteil des Gerichtshofs umzusetzen, um einem Chaos vorzubeugen. Doch es sieht derzeit nicht danach aus.
Michal Dworzyk, Chef der Kanzlei des Premierministers erklärte, man werde die Beurteilung durch das Verfassungsgericht prüfen lassen. Dieses gilt als bereits gleichgeschaltet.
Überhaupt sieht die polnische Regierung viel Spielraum in diesem Fall. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki hat bereits im Vorfeld in einem Interview betont, dass die EU den Mitgliedsländern die "Vielseitigkeit" in deren Traditionen der Rechtssysteme anerkennen solle. Das Urteil kommentierte der Nationalkonservative recht selbst bewusst: Er freue sich, "dass das Europäische Gericht erkannt habe, dass die Reform des Justizwesens Angelegenheit der Mitgliedsländer ist und es so bleibt". Das polnische Gerichtswesen bedürfe weiterhin einer "tiefgreifenden Reform".
Da das EuGH das Oberste Gericht als "Entscheider" bestimmt hat, wird die Regierung nun versuchen, dieses wieder mit loyalen Juristen zu besetzen. Der Landesgerichtsrat hat bereits angekündigt, 11 neue Kandidaten zu nominieren. Leszek Mazur, der Vorsitzende des KRS hatte zudem dem Obersten Gericht die Kompetenz abgesprochen, seiner Institution die Kompetenz abzusprechen, um es verkürzt auszudrücken.
Dies bedeutet, dass sich die PiS um das Urteil aus Luxemburg erstmals nicht scheren wird, wie sich die Partei auch nicht um Prozeduren schert. Derzeit gibt es im polnischen Sejm Ärger, da eine Abstimmung am Donnerstagabend über einige Posten im besagten Landesrichterrat von der Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek unterbrochen wurde. Sie befürchtete, die PiS könnte durch ein akut ungünstiges Mehrheitsverhältnis verlieren. Die polnische Opposition verlangt nun den Rücktritt Witeks und will die Staatsanwaltschaft einschalten, doch dies wird kaum etwas bewirken.
Regierung strebt weitere "Reformen" des Justizsystems an
Jaroslaw Kaczynski, Parteichef und Hauptstratege der Regierung, hat noch einiges vor mit der polnischen Justiz. Angekündigt ist eine Reform der ordentlichen Gerichte, darunter auch der Berufungsgerichte, was weitere Amtsenthebungen zur Folge hätte.
Nach der zweiten gewonnenen Wahl will Kaczynski definitiv zeigen, dass die Regierung klar das Sagen hat. So wurde Krystyna Pawlowicz, eine ehemalige Abgeordnete, dazu nominiert, Richterin im Verfassungsgericht zu werden, das bereits von loyalen Juristen dominiert wird. Pawlowicz bringt als Professorin der Rechte durchaus die entsprechende Qualifikation mit, jedoch gilt sie als aggressivste Vertreterin der Partei, die mit Attacken auf politische Gegner, wozu sie auch die EU zählt, Schlagzeilen machte. Die EU-Fahne nannte sie beispielsweise einen "Lappen", mit "Fresse halten" wandte sie sich an die Opposition.
Ein wenig kommt der polnischen Regierung zu Gute, dass juristische Kniffligkeiten, die zwar entscheidend für die Freiheit der Staatsbürger sind, zu komplex sind, um sie in einer kurzen, schlaglichtartigen Berichterstattung zu präsentieren. Somit reagieren viele Polen, und erst recht ausländische Nachrichtenkonsumenten, indifferent auf die Umwälzungen.