Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte untergräbt das antirussische Magnitski-Narrativ
Das Gericht sieht den Steuerberater Bill Browders nicht als Helden, sondern als des Steuerbetrugs Verdächtigen, verurteilt aber die Haftbedingungen
Der Magnitski-Fall wurde zu einer der massivsten antirussischen Kampagnen. Und ausgerechnet Bill Browder, der frühere Investmentfond-Verwalter von Hermitage, der in Russland während der Wild-West-Zeit nach dem Ende der Sowjetunion viel Geld für sich und eine Investoren machte, was die Menschen in Russland arm macht, aber neue Oligarchen schuf, konnte sich darüber als großer Menschenfreund und Kämpfer für die Menschenrechte profilieren. Das allerdings mit einer Fakestory, die aber in all dem antirussischen Fieber von den meisten nicht hinterfragt wurde. Vor kurzem entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über eine Klage der Angehörigen von Sergei Magnitiski (Magnitskiy) in einer differenzierten Form, die aber Hauptpunkte von Browders Narrativ zurückweist.
Browder machte aus dem Fall des unschuldig zu Tode gekommenen angeblichen Whistleblowers ein Buch zur Selbstdarstellung und schaffte es, den Namen Magnitiski in einigen Ländern in Sanktionsgesetzen festzuschreiben, mit denen Menschen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, belangt werden sollen. Im Prinzip wäre das nicht schlecht, aber die Wirklichkeit sieht so aus, dass die Menschenrechtsverletzer, die politisch genehm sind, natürlich ausgespart bleiben. Browder wird sich hüten, für Sanktionen etwa gegen Saudi-Arabien zu werben. Aber Browder, der schon aus Gründen der Steuervermeidung aus den USA nach Großbritannien umgesiedelt ist, scheint nun als Weltverbesserer aufzutreten, möglicherweise um die von ihm falsch erzählte Geschichte seines Steuerberaters zu begraben.
Die Erzählung vom bösen russischen Staat und einem aufrechten Whistleblower, der für Recht und Gerechtigkeit in den Tod geht, ist so einfach wie betörend, dass sie Browder vermutlich selbst durch häufige Wiederholung glaubt. Er selbst sagt, dass es "sich viel besser anfühlt, was ich jetzt mache, als dies der Fall war, als ich Hedgefond-Manager war. Ich bin viel glücklicher, wenn ich für Gerechtigkeit als für Geld zu kämpfe." Browder inszeniert sich als Putins "Feind Nr. 1", so auch der Titel seines Buches, als ob er in Augenhöhe mit dem russischen Präsident kämpfen würde.
Eine schöne Geschichte über das böse Russland
Die Geschichte war auch zu schön und passte in die Narrative des Westens. 2007 habe die Polizei das Büro von Hermitage Capital in Moskau mit brutalem Vorgehen grundlos untersucht und Dokumente geklaut. Sein Steuerberater Magnitski sollte den Grund eruieren. Er soll herausgefunden haben, dass die leitenden Polizisten hinter der Razzia einen gewaltigen Steuerbetrug in Höhe von 230 Millionen US-Dollar begangen hätten, die ihnen die russische Steuerbehörde zurückbezahlt habe. Magnitski soll dies der Polizei gemeldet haben, daraufhin wurde er von den Polizisten verhaftet, die er angezeigt hatte. Im Gefängnis soll man ihn unter Druck oder sogar gefoltert haben, damit er die Anzeige zurücknimmt. Magnitski soll standhaft geblieben sein und sei schließlich von Polizisten in einer Gefängniszelle im November 2009 zu Tode geprügelt worden.
"Browders Buch ist eine detaillierte Hommage an Magnitskis Berufsethik und Mut. Und es ist eine Abrechnung mit Putin." - Tim Neshitov, Süddeutsche Zeitung, 06.02.15. Werbetext zur deutschen Übersetzung vom Hanser Verlag: "Bill Browder, Investor, kämpft in Russland gegen die Oligarchen und gegen Putin – und wird zum Menschenrechtsaktivisten."
Der Filmemacher Andrei Nekrasov hat über die Geschichte einen Film gedreht. Er war zuerst beeindruckt von der Geschichte des aufrechten Helden, der ein Verbrechen aufdeckt und dafür getötet wird. Er hatte mit Browder gesprochen, der ihm seine Version erzählte, sei aber dann bei Recherchen skeptisch geworden, was minutiös im Film nachvollzogen wurde, um schließlich zur Erkenntnis zu kommen, dass vieles an der Geschichte Browders nicht stimmt (Andrei Nekrasov, Vetta Kirillova: Bill Browder und seine Geschichte vom Tod des angeblichen Whistleblowers Magnitski, Magnitski-Fall: Die Erinnerungslücken des Bill Browder). Browder hat seine Geschichte auch erst gesponnen, als Magnitski bereits gestorben war. Interessant ist auch, dass Nekrasov seinen Film, der Browders Machenschaften kritisch hinterfragt, in Kooperation mit ZDF/ARTE gedreht hatte, aber dass Arte kurz vor der Ausstrahlung auf Initiative von Browder die Sendung am 3. Mai 2016 absagte. Seitdem konnte der Film nicht in Kinos gezeigt werden. Telepolis hatte den Filmemacher im Juni 2018 in den Telepolis-Salon eingeladen und den Film "The Magnitsky Act" gezeigt.
Jetzt hat der EGMR am 27. August ein wenig bekanntes Urteil gefällt. Bill Browder - aber auch die Menschenrechtsorganisation HRW - geben sich erfreut, nehmen aber das Urteil höchst einseitig zur Kenntnis. Geradezu dreist verbreitet Browder Fake News an seine Anhänger:
The ECHR decision also completely destroys the lies and propaganda about Sergei Magnitsky that the Russian government and their paid smear campaigners in the West have been trying to spread for many years.
Bill Browder
Er spricht von seinem Sieg der Magnitski-Familie, "vergisst" aber zu erwähnen, dass das Gericht einige Beschuldigungen abgewiesen hat.
HRW macht auch klar, nicht neutral zu sein. Die Organisation geht ebenso wie Browder nur auf die im Urteil bestätigten Anklagen gegen Russland ein, also dass Magnitiski in der Haft misshandelt wurde. Er war lange Zeit in einer überfüllten Zelle eingesperrt und wurde medizinisch nicht angemessen behandelt, was zu seinem Tod geführt habe. Von Folter ist nicht die Rede. Und die Untersuchung des Todes mitsamt Autopsie oder Auswertung der Überwachungskameras sei nicht ausreichend durchgeführt worden. 2013 war er posthum als des Steuerbetrugs schuldig verurteilt worden, aber das Verfahren wurde abgebrochen. Für das EGMR war dieser posthume Prozess unfair, eine Verurteilung nach dem Tod sei eine Rechtsverletzung.
Gute Gründe, Magnitski wegen Steuerbetrugs zu verdächtigen und zu inhaftieren
Das Gericht hielt allerdings auch fest, dass die russischen Behörden "gute Gründe hatten, Herrn Magnitski zu verdächtigen, in einen Steuerbetrug verwickelt zu sein". Es war also nach Ansicht des Gerichts gerechtfertigt, dass Magnitiski inhaftiert wurde, der damit nicht als Aufdecker, sondern als Verdächtigter betrachtet wird. Beanstandet wird aber die lange Haft, für die die Behörden keine ausreichenden Gründe geliefert hätten. Allerdings sagt das Gericht auch, dass die russischden Behörden nicht im "schlechten Glauben oder in Täuschung" gehandelt hätten: "Die Ermittlungen in den behaupteten Steuerbetrug, die zu Magnitskis Verhaftung führten, haben lange vor seiner Beschwerde über den Betrug von Polizisten begonnen. Die Entscheidung , ihn zu verhaften, wurde gemacht, nachdem die Ermittler erfahren hatten, dass er zuvor ein britisches Visum beantragt, Fahrkarten nach Kiew gebucht und nicht an seiner registrierten Adresse gewohnt hatte."
Damit nicht genug, sagt das Gericht auch, dass die Beweise gegen Magnitski "für einen objektiven Beobachter ausreichend" seien, dass er die in Frage stehende Straftat begangen hat. Die Liste der Gründe seien "spezifisch und ausreichend detailliert" gewesen. Das Gericht hatte nicht die Schuld Magnitiskis festzustellen. Gleichwohl sieht es die Anklage als gerechtfertigt an. Das würde auch bedeuten, dass Magnitskis Chef, also Bill Browder, auch nicht der Unschuldsengel ist, wie er sich darstellt, sondern auch direkt in den Steuerbetrug verwickelt sein könnte, den er russischen Polizisten vorwirft.
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