Europäischer Raketenschild: Die Illusion der Unverwundbarkeit

Seite 2: Möglichkeit zum Abfangen ballistischer Raketen

Mit Nato BMD soll seitdem die Möglichkeit des Abfangens von ballistischen Raketen durch mit SM-3-Abfangraketen bestückten MK-41-Batterien geschaffen werden, die auf See ("Aegis"), und im rumänischen Deveselu sowie im polnischen Redzikowo ("Aegis ashore") nun in Operation sind.

Die SM3 Block IIA wurden im November 2020 auf den möglichen Abschuss einer anfliegenden Interkontinentalrakete getestet – wohingegen bei der Beschreibung der "iranischen Bedrohung" immer noch von Mittelstreckenwaffen gesprochen wurde.7

Mittlerweile ist Nato BMD durch die Integration von offensiven Luftkriegskomponenten (u. a. der Atombomberflotten im Rahmen der nuklearen Teilhabe) zum Nato Integrated Air and Missile Defence Framework (Nato IAMD) weiterentwickelt worden – unter dem Kommando des Nato Air Command in Ramstein.

21 Staaten Europas wollen Luftsicherheit selbst organisieren

Nunmehr wollen 21 europäische Unterzeichnerstaaten selbst für ihre eigene Luftsicherheit sorgen (so zumindest die Außendarstellung) – das jedoch auch strikt unter Nato-Kommando. Kanzler Scholz begründete in seiner Rede am 22. Juni 2022 in Prag die Initiative, Europa brauche "ein besseres Zusammenspiel der Verteidigungsanstrengungen", gerade "im Hinblick auf den Krieg im Osten".

Das Projekt ESSI ist sowohl im politischen als auch im wissenschaftlichen Diskurs umstritten. Neben industriepolitischen, aber auch politischen Widersprüchen ist der grundlegendste Streitpunkt die Frage der konkreten Fähigkeiten, die das System besitzen soll.8

Die Zielsetzung, eine "umfassende Sicherheit" vor militärischen Flugkörpern, insbesondere vor einem russischen Angriff, zu schaffen, haben Scholz' Rede implizit, und seither eine Reihe anderer Beiträge im politischen Berlin explizit, formuliert.9

Wenn Hysterie die Debatte über Sicherheitsfragen prägt

Dabei wird schon mit der Verwendung der Bezeichnungen "Schild" oder "Schirm" für ESSI eine Art Unverwundbarkeit nahegelegt, wie selbst von der SWP kritisiert wurde. Wie aber steht es um die Erreichbarkeit solch einer militärischen Zielsetzung?

Es scheint, dass in der Hysterie, die so viele politischen Beiträge zur Ukraine-Krise kennzeichnet, auch in dieser Frage mehr und mehr grundlegende Debatten und Erkenntnisse der Sicherheitspolitik und der Naturwissenschaften ignoriert werden. Um die Grenzen solcher Ambitionen deutlich werden zu lassen, lohnt es sich, den Blick auf zwei grundsätzliche Szenarien des Einsatzes für ein europäisches Luftabwehrsystem zu richten.