Europäisches Kryonik-Projekt zur "Lebensverlängerung" in Planung

Deutscher Kälteanlagenbaumeister will das "Überwintern" von Menschen durch Einfrieren auch auf dem alten Kontinent ermöglichen

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Der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben bekam auf der vierten europäischen Konferenz der Transhumanisten in Berlin wieder neue Nahrung: Ein deutsches Kältetechnik-Unternehmen hat ein System vorgestellt, mit dem sich die Gefrierschäden bei der Tiefkühlung von Körpergewebe minimieren und die kryonischen "Patienten" kostengünstiger aufbewahren lassen. Doch selbst in den Reihen der Transhumanisten ist die von ihren Befürwortern als Technik zur Lebensverlängerung gepriesene Kryonik äußerst umstritten.

Geht es nach dem Kälteanlagenbaumeister Rolf Sommer wird für Freunde der künstlichen Lebensverlängerung bald die Möglichkeit bestehen, sich angesichts tödlicher Krankheiten oder beim Ablauf der momentanen biologischen Uhr auch hier zu Lande beziehungsweise im angrenzenden europäischen Ausland in einer Form einfrieren zu lassen, die ein späteres Wiederauftauen von Körper und Bewusstsein zumindest möglich erscheinen lässt.

Der Kühlfachmann aus dem pfälzischen Tiefenthal hat nach eigenen Angaben verfügbare Kryotechniken, mit denen bereits Spermien oder kleine Körperteile schockgefroren werden, derart verfeinert, dass sie auch auf großvolumigere Zellkomplexe wie den gesamten menschlichen Leib ausgedehnt werden können. Zur Anwendung kommt die so genannte Vitrifizierung, in deren Verlauf Gewebe nach einer Chemikalieninjektion langsam in eine Gasphase eingelagert wird. Dabei soll die Bildung von Eiskristallen vermieden werden, die Zellen verletzen oder aufsprengen könnten.

Bisher bietet nur die Alcor Life Extension Foundation in Scottsdale, einem Wüstenvorort von Phoenix in Arizona, die Vitrizifizierung ganzer menschlicher Körper oder von Köpfen sowie die Einlagerung bei den entsprechenden Minustemperaturen an. Für Europäer ist es in den vergangenen zwei Jahren immer schwieriger geworden, sich dort einen frostigen Ruheplatz zu besorgen. Die Finanzierung des eigenen Kaltstellens läuft bei Alcor über Lebensversicherungen. Um Schwierigkeiten mit dem Geldfluss ausländischer Versicherungskonzerne zu vermeiden, akzeptiert die Stiftung inzwischen in der Regel nur noch amerikanische Policen. Die Beantragung einer Mitgliedschaft ist zudem nur direkt vor Ort möglich, was reiseunlustige Europäer zusätzlich abschrecken könnte.

Alcor Großbritannien ist gescheitert

Der Brite Garret Smyth hatte daher schon vor einigen Jahren die Idee, einen Ableger von Alcor in England zu gründen. Doch nach anfänglichem Interesse der Stiftungsverwalter in Arizona ist die "Expansion" in Richtung Europa nun ins Stocken gekommen. Die britische Niederlassung befindet sich daher momentan in der Auflösungsphase.

Smyth will den rund 20 Alcor-Mitgliedern auf dem alten Kontinent die Vitrifizierung und eventuell auch die Einlagerung der "Patienten", wie die auf die Technik schwörenden Kryoniker die tiefgekühlten Körper(teile) nennen, aber trotz des Rückzugs der Alcor-Mutter in Europa anbieten. Sommers Durchbruch kommt dem "Großvater" der Kryoniker auf dem alten Kontinent, wie sich der bereits grau behaarte Smyth selbstironisch bezeichnet, daher gerade recht: "Endlich gibt es eine preiswerte und verlässliche Kryotechnik in Europa", freut sich der Lebensverlängerungsexperte.

Der Apollo-Container als Alternative zu Sarg oder Urne

Sommer stellte seine Tiefkühlmethode auf der TransVision 2001, der vierten europäischen Konferenz der Transhumanisten, am Samstag in Berlin vor. Neu daran ist vor allem, dass der Mitbegründer der sich auf Kälte- und Klimatechnik spezialisierten Firma Sommer & Gölbert ein Verfahren entwickelt hat, bei dem das Körpergewebe bei rund 130 Grad minus – der gegenwärtigen "Höchsttemperatur" im Kryobereich – frisch gehalten werden kann. Bei den älteren Alcor-Techniken sind noch deutlich niedrigere Temperaturen erforderlich. Je kälter die Gefrierumgebung, desto größer ist allerdings die Gefahr, dass Brüche im Zellgewebe entstehen.

Daneben kann Sommer ein deutlich billigeres Lagerungssystem vorweisen als Alcor. In seinem vollautomatisierten und überwachungsfreien "Apollo-Container" finden bis zu sechs neuro-kryonische Patienten Platz. Zusammen mit dem Anschluss an einen Stickstofftank, aus dem die Kühlkraft kommt, schätzt Sommer die Kosten für einen solchen Container auf 15.000 Euro. Dazu kommen laufende Wartungsgebühren von rund 1000 Euro sowie die Kosten für die eigentliche Vitrifizierung. Insgesamt sei das System damit deutlich günstiger als das Angebot der Alcor-Stiftung, die 50.000 Dollar für das Kalthalten eines Kopfes und 150.000 Dollar für eine Ganzkörper-Konservierung verlangt.

In Deutschland ist der Aufbau einer ähnlichen Patientenaufbewahrungsfabrik wie in Arizona allerdings momentan nicht möglich. Laut Gesetz besteht hier zu Lande "Friedhofzwang". Demzufolge müssen kryonisch aufbereitete Körper genauso wie Leichen entweder unter die Erde gebracht oder eingeäschert in einer Urne bestattet werden. Der Gesetzgeber machte sich bei diesem Erlass vor allem Sorge um die Hygiene und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Für die Kryo-Fans unter den Transhumanisten ist diese Regelung allerdings ein Gräuel. Für sie ist ein Mensch erst tot, wenn sämtliche "Informationszustände" in den Zellen zerstört sind. Durch die Vitrifizierung wird ihrer Theorie nach der Zustand der "Biostasis" erreicht, der die Identität des Eingelagerten bewahren hilft.

Von der Kältetechnik zum Beerdigungsinstitut

Auf der Suche nach Auswegen schwebt Sommer momentan vor Augen, vitrifizierte Kryo-Patienten in Zwischenlager nach Frankreich oder in die Benelux-Länder zu überführen, die keinen Friedhofzwang kennen. Auch eine Zusammenarbeit mit den Überresten von Alcor Großbritannien halten alle Beteiligten für möglich. Prinzipiell gelöst hat Sommer dagegen bereits das Problem der "Ersten Hilfe" für die Einfrierwilligen: Um zu verhindern, dass die Patienten kurz vor oder nach ihrem Ableben "unsachgemäß" behandelt werden, hat der unorthodoxe Ingenieur die Mehrheit an einem Beerdigungsinstitut erstanden. Damit will er den Transfer von Kryonikern unter kontrollierten Konditionen ermöglichen.

Als Full-Service-Dienstleister sieht sich die Sommer & Gölbert Gesellschaft allerdings nicht. Um die rechtzeitige Vitrifizierung zu gewährleisten ist schließlich ein enges Netz logistischer Experten- und Einsatzzentren nötig, die große Summen für den Aufbau und den Betrieb verschlingen. Sommer hofft daher auf die Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus (De Trans), die das Projekt finanziell unterstützen soll.

Doch De Trans ist ein sehr kleiner Verein mit etwa 20 festen Mitgliedern, von denen viele noch mitten im Studium sind. Kapital ist daher kaum vorhanden. Zudem sind nur etwa 20 Prozent der Transhumanisten auch bekennende Kryoniker, die sich selbst einmal einfrieren lassen wollen.

Wo bleibt die Mikrowelle für tiefgekühlte Körper?

Umstritten ist die Vitrifizierung großvolumiger menschlicher Gewebe selbst bei den zukunftsoffenen Anhängern der Postbiologie nicht etwa wegen religiöser Skrupel oder aufgrund von Frankenstein-Gespinsten. Vielmehr stört es zahlreiche Transhumanisten, dass es für das Auftauen der Kryo-Patienten noch keine befriedigenden Lösungen gibt. "Gefragt ist ein ähnlich gleichmäßiges Aufwärmverfahren wie bei einer Mikrowelle", erläutert Sommer.

Die Schwierigkeit dabei bestehe darin, den Entfrostungsprozess unter Kontrolle zu halten. "Sonst haben wir schnell Schnitzel", sagt der Techniker, der sich selbst das Prädikat "realistischer Transhumanist" zuschreibt. Darunter versteht er einen Pragmatiker, der "mit den gegenwärtigen Mitteln" an die Lebensverlängerung herangeht und die großen Visionen – wie etwa die Hoffnung auf die Nanomedizin zur Reparatur von Gewebebrüchen – zunächst außen vor lässt.

Trotz der rechtlichen, logistischen und finanziellen Probleme tippt Sommer, dass es in Europa spätestens in drei Jahren die ersten in den kalten Stickstoff eingelagerten Patienten geben wird. "Auch das mit dem Auftauen wird schon bald klappen", ist der Kryo-Vorreiter optimistisch - selbst wenn das mit dem ewigen Leben wohl doch noch eine andere Sache sei.