European Media Art - oder doch keine Kunst?
Ironie, Nostalgie und viel freies Flottieren beim EMAF in Osnabrück
Alexei Shulgin aus Moskau trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Not an Artist" und hat sich seine PC-Tastatur wie eine E-Gitarre umgehängt. Der Mann mit dem Aussehen und dem Charme eines mediokren Hippie-Revival-Straßenmusikers nennt sich "386 DX - The First Cyber-Punk-Rock-Band". Shulgin (genauer: Text-to-Speech- und MIDI-Files seines PCs) spielt sich durch die großen Hits von den Sechzigern bis heute - von "California Dreaming" bis zu "Smells Like Teen Spirit". Es ist es eine wahre Freude, mit dem Russen eine Stunde lang die alten Songs abzufeiern. Die bunte Lightshow, die an beste Ossi-Disco-Zeiten oder fragwürdige Seniorenbälle erinnert, tut ein übriges. - Was daran aufregend sein soll?
Rein gar nichts, wären nicht Graphics, Sound und Voice ausnahmslos mit besagtem 386er mit 4 Mb RAM erzeugt worden. - Alexei Shulgin war nicht nur die Stimmungskanone auf dem diesjährigen European Media Art Festival in Osnabrück. Der Mann, der auch seine "Thank you"-Ansagen im Computer synthetisierte und dessen künstlerische Autorenschaft, dessen Selbstausdruck sich einzig und allein auf Pose und Präsenz beschränkte, lieferte den wohl entscheidendsten Kommentar zum Diskurs über die neuen Medien seit langem: Eine Technologie, die lediglich zehn Jahre alt ist, wirkt heute so liebevoll anachronistisch und gnadenlos trashig wie ein Schlager oder Heimatfilm aus den Sechzigern. Damit ist zur technologischen Determiniertheit, zum nicht überschreitbaren technischen Stand der Dinge, zum immerwährenden "So Far"-Charakter der Medienkunst beinahe schon alles gesagt, kurz: zur Endgültigkeit der Vorläufigkeit. Und noch mehr: Zwar spricht Shulgin nicht mit dem Publikum, er singt nicht, er komponiert nicht. Aber seine Verweigerungsgeste hat dennoch nichts vom abgelutschten "Tod des Autors" oder von der "Krise des Subjekts". Shulgin gibt dem Anti-Star- und Anti-Künstler-Spiel den entscheidenden nächsten Dreh: Seine Performance ist echtes Entertainment und technikphilosophischer Kommentar zugleich; selten waren Untiefen der Unterhaltung und lichte Höhen der Reflexion derart stimmig vereint. (vgl. 386dx: Die erste Cyberpunk-Band der Welt und 386dx homepage)
Von der Techno-Nostalgie zur Plunderphonie
Vicki Bennett aus London nennt sich "People Like Us" und ist eine der Mitbegründerinnen der aktuellen Plunder Culture - im Verein mit Acts wie u.a. "Barbed", "Muzictoerist", "Tape-Beatles". Vicki unterhält nicht (nur), sie ironisiert nicht (nur), sie psychedelisiert ihr Publikum und subversiert Klänge und Images auf eine Art und Weise, wie man sie seit der Hochblüte der Industrial-Kultur - man denke etwa an die frühen Videoexperimente von "Psychic TV" - nicht mehr erlebt hat. Mittels Audio- und Video-Sampling von Erziehungsfilmchen aus den Fünfzigern, Images aus Österreich und den Alpen (ein immer wiederkehrendes Motiv) und Dokumentationen aus der Anfangszeit des Computers erzeugt Bennett einen repetitiven, in den besten Momenten gefährlich trancehaften Ton-Bild-Flow, der unterhält und irritiert, immersiv-anziehend und bedrohlich-abstoßend zugleich ist. "People Like Us" ist dabei - ähnlich wie Shulgin in Bezug auf den postmodernen Abgesang von Autor und Subjekt - mehr als bloße Non-Linearität und die konsequente Verweigerung eines Narrativs. Plunderphonics ist Appropriation und Found Footage mit anderen Mitteln und subkulturellen Wurzeln, es ist die subversive Aneignung von Bildern und Klängen in einem Post-Industrial-Kontext, der unzählige neue Spielarten des Komponierens mit bereits existierendem Material erlaubt.
Oberflächlich betrachtet, macht ein Act wie Bauhouse aus Berlin genau dasselbe. Auch Bauhouse dekonstruiert und decodiert, repetitiert und rekonstruiert. Doch gelingt es den relativ glatten, fast schon kommerziellen Eingriffen von Bauhouse kaum, mehr zu sein als schöne Clip-Ästhetik für den Tanzboden. Und genau das zeigte sich auch deutlich bei der Abschlussparty des "European Media Art Festival", dem "Veejay Groove 1.3", bei dem neben Bauhouse auch die - ebenfalls relativ straighten - Ton/Bild-Konstrukteure von D-Fuse (London) auftraten. Bei der Diskussionsrunde "Clicks and Cuts" äußerte dann auch ein Mitglied von Bauhouse den Wunsch, DJs und VJs möchten endlich als Künstler und nicht nur als Kollektoren anerkannt werden, damit ihnen die richtige Wertschätzung zuteil werde. Ein Anliegen, das Alexei Shulgin und Vicki Bennett so wohl nicht unterschreiben würden: Beide machen keinen Kommerz, der mit Kunst flirtet, sondern (allenfalls) Kunst, die mit Kommerz kokettiert.
Takeover im Kunstsystem illustriert, aber kaum thematisiert
Die Performances des diesjährigen EMAF haben damit schon viel gesagt zur Diskussion um Technik und Mensch, um Medien und Kunst. Der von der ars electronica festgestellte "Takeover" des angestammten Terrains der Kunst durch (vormalige) Nicht-Künstler wurde durch das EMAF bereits hautnah illustriert: In den Gesprächsrunden stellten sich sowohl Online-Filmfirmen vor als auch Netzkunst-Initiativen, sowohl Spieleprogrammierer als auch Webcaster im Kontext von Net-Art. Sind Online-Games und Filmdatenbanken nun auch schon European media art? Das stand nicht zur Debatte, und die Kontingenz des Programms konnte man je nach Laune und Tagesverfassung als notwendigen Versuch von Grenzüberschreitungen oder als liebloses Potpourri wahrnehmen. (vgl. Endlich: Ars Electronica schafft die Kunst ab!)
Viele Themen wurden in den EMAF-Gesprächen nur kurz angerissen und klarerweise zu wenig vertieft. Etwa die Frage, ob Netzarchive generell sinnvoll sind oder nicht. Lebt das Netz von der Flüchtigkeit, Vergänglichkeit und letztlich auch Non-Lokalität (im Sinne einer nicht immerwährend garantierten Wiederauffindbarkeit) von Information? Das Multimedia- und Webcast-Künstlerduo Station Rose, das seinen Vortrag von der Art Frankfurt zum EMAF streamte, bejaht dies. Für Station Rose ist es der vergängliche Moment der Echtzeit, der den Kick des Netzes ausmacht. Die Idee der Archivierung ist für sie ein Relikt aus der Materialität. Wolfgang Strauss und Monika Fleischmann von dem Projekt Netzspannung, einer derzeit im Aufbau befindlichen Kartographie von Netz- und Medienkunst, sehen dies klarerweise ganz anders. Netzspannung bemüht sich etwa um eine Landkarte der Multimedia-Ausbildung, um eine Erfassung studentischer Medienprojekte und viele andere Archivierungs- und Vernetzungsagenden. Beide Initiativen, die Webcastings von Station Rose und das Netzlabor von Netzspannung wurden in dem Forum Get Connected zwar hintereinander vorgestellt, aber technische Probleme verhinderten eine gemeinsame, vertiefende Diskussion.
Kongress zu Content-Debatte und Medien-Voyeurismus
Zur völligen Farce geriet hingegen eine im Rahmen des Student Forums veranstaltete Diskussion mit dem Titel "Content First?": Zwei Lehrende bundesdeutscher Hochschulen schafften es weder rhetorisch noch inhaltlich, auch nur eine einzige anschlussfähige These zur Differenzierung von Form und Inhalt (oder auch von Kontext und Content/Text) zu formulieren. Eine angekündigte Podiumsdiskussion endete in mühsamen Einzelbefragungen und in quälendem Nachhaken durch die überforderte Diskussionsleiterin. Man darf nicht hoffen, dass die eingeladenen Gäste repräsentativ für die deutsche Hoch- und Fachhochschulausbildung im multimedialen Bereich waren.
Hingegen bot der Kongress Mediale Selbstinszenierungen durchaus Anschlussfähiges von hohem reflexiven Niveau: Ulrike Bergermann von der Universität Paderborn sprach über die Ent-Dualisierung von Mensch und Maschine am Beispiel des Björk-Videos "All is Full of Love" und deren möglicher Interpretation im Lichte der Geschlechterdifferenz; die Berliner Filmemacherin Eva Hiller widmete sich der Entdifferenzierung von Privatheit und Öffentlichkeit. Besonders beeindruckend: Ihre noch fast ungeschnittenen, direkt von den Produktionsfirmen bezogenen Aufnahmen von öffentlichen Auftritten von Hollywood-Stars. Die britische Performance-Gruppe "Gob Squad" mit ihren Interventionen jenseits aller Kategorien bewies zum Abschluss des Kongresses einmal mehr, dass Kunst als Konstruktion von Identitäten und Kontexten noch immer der Anlass für Wahr- und Falschnehmungen besonderer Art sein kann - und sei es auch nur, dass der eigene Voyeurismus rückgespiegelt wird.
Es bleibt in Summe ein positiver Eindruck vom diesjährigen Media Art Festival. In der Kürze dieser Rezension können die zahllosen gezeigten Filme und Webprojekte sowie die Installationen an mehreren Schauplätzen Osnabrücks nicht einmal hochselektiv erwähnt werden. Wer nachlesen will: Ein Programmbuch mit allen teilnehmenden Künstlern ist bei info@emaf.de zu bestellen.