Ex-US-Botschafter: Was ist aus Amerika geworden?

Seite 2: 11. September und die ewige Kriegserklärung

Wir sind noch weit entfernt von der Welt, die wir anstreben, aber wir dürfen nicht verzweifeln, denn wir glauben, dass sich die Menschen überall auf der Welt im Grunde nach den gleichen Dingen sehnen wie die Amerikaner: Frieden, Freiheit, Sicherheit und die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestimmen.

Und obwohl wir nicht versuchen, anderen unser politisches System aufzuzwingen, können wir unsere tiefe Bewunderung für die mutigen Menschen in anderen Ländern nicht verbergen, die nur das anstreben, was US-Amerikaner als ihr Geburtsrecht betrachten.

Es sei denn, sie leben in Gaza oder im palästinensischen Westjordanland.

Auch wenn es ein Tag der nationalen Freude ist, gibt es kein Thema, das uns mehr beschäftigt als die Frage der Erhaltung des Weltfriedens. Wir sind dankbar, dass wir in Frieden mit der Welt leben und kein einziger amerikanischer Soldat irgendwo auf der Welt in einen Kampf verwickelt ist.

Dennoch sind wir besorgt über das hohe Niveau der Rüstung und die Tendenz einiger Länder, sie einzusetzen, anstatt Streitigkeiten friedlich beizulegen. Wir teilen die Besorgnis aller denkenden Menschen über das zerstörerische Potenzial von Atomwaffen im Besonderen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert und die USA forderten ihren Rückzug. In der Folge zogen sie sich im Einklang mit einem von den USA ausgehandelten Abkommen zurück.

Aber dann, nach dem 11. September, marschierten die USA ein und blieben 20 Jahre lang, ohne eine demokratische Gesellschaft schaffen zu können. Eine anschließende Invasion im Irak mit fadenscheinigen Gründen beseitigte die irakische Regierung und gab dem ISIS Auftrieb.

Dann fielen die USA ohne Kriegserklärung in Syrien ein und versuchten erfolglos, die dortige Regierung (die wir anerkannt haben) zu stürzen und auch die ISIS zu bekämpfen, die als Folge der US-Invasion im Irak entstanden war.

US-amerikanische Soldaten sind heute in mehr als 80 Ländern stationiert. Wir geben mehr für Waffen aus als alle anderen Staaten bezogen auf die von Parlamenten zu bestimmenden Ausgaben, und nun führt die Biden-Administration so gut wie offiziell Krieg gegen Russland, eine ebenbürtige Atommacht.

Eine gescheiterte Doktrin

Aus diesem Grund hat Präsident Reagan eine umfangreiche Reduzierung der Atomwaffen vorgeschlagen. ... Wir haben auch zahlreiche andere Vorschläge gemacht, von denen wir glauben, dass sie das gegenseitige Vertrauen stärken und die Gefahr eines Konflikts verringern würden. Alle zielen auf überprüfbare Gleichheit und Ausgewogenheit auf beiden Seiten. Auf diese Weise bräuchten die einander gegenüberstehenden Bündnissysteme einen Angriff des anderen nicht zu fürchten. ...

Ja, und 1991 haben wir eine massive Reduzierung der Atomwaffen ausgehandelt, biologische und chemische Waffen verboten und konventionelle Waffen in Europa begrenzt. Der Kalte Krieg wurde durch eine Vereinbarung beendet, nicht durch den Sieg einer Seite über die andere.

Doch mit Beginn der zweiten Bush-Regierung zogen sich die USA einseitig aus allen wichtigen Rüstungskontrollverträgen zurück und starteten eine "Modernisierung" des US-amerikanischen Atomwaffenarsenals im Umfang von einer Billion Dollar. Obwohl es nach 1990 keinen Warschauer Pakt mehr gab, erweiterten die USA die Nato und weigerten sich, ein Abkommen auszuhandeln, das die Sicherheit Russlands gewährleistet.

Die Aufgabe, die vor allen Völkern der Welt liegt, um Frieden zu schaffen und zu bewahren, ist nicht einfach. Die Probleme sind komplex und können nicht durch vereinfachende Slogans gelöst werden, sondern nur durch anhaltende Anstrengungen.

Dennoch schienen die USA seit den späten 1990er-Jahren von einer falschen und simplen Doktrin motiviert zu sein, der zufolge die Welt dazu bestimmt sei, so zu werden, wie die USA, und die USA berechtigt seien, ihre wirtschaftliche und militärische Macht einzusetzen, um den Rest der Welt so umzugestalten, dass er dem Bild von sich selbst entspricht (die Neocon-These).

Es handelte sich dabei letztlich um eine Version der gescheiterten "Breschnew-Doktrin", die von der UdSSR bis zu ihrer Abschaffung durch Gorbatschow verfolgt wurde. Wie bei der Breschnew-Doktrin war der Versuch ein völliges Fiasko, aber die Biden-Regierung scheint in Unkenntnis der Gefahren für das amerikanische Volk entschlossen zu sein, daran festzuhalten.

Hundert "Superbomben" made in USA

Dennoch spreche ich heute mit Optimismus zu Ihnen, denn ich weiß, dass mein Land in das 207. Jahr seiner Unabhängigkeit mit der Entschlossenheit geht, nicht nur die Freiheiten zu bewahren, die wir zu Hause haben, sondern auch unsere Energien und Ressourcen der Erhaltung des Friedens in der Welt zu widmen.

Aber heute, im 248. Jahr der amerikanischen Unabhängigkeit:

Die USA schicken hundert "Superbomben", die zum Abwurf auf Gaza bestimmt sind. Die BLU-109 "Bunker Busters", von denen jede über 900 Kilogramm wiegt, durchdringen Kellerbetonbunker, in denen sich Menschen verstecken, berichtete das Wall Street Journal am 1. Dezember.

Seit dem 7. Oktober haben die USA 15.000 Bomben und 57.000 Artilleriegranaten nach Israel geschickt, so die Zeitung.

Einzelheiten über den Umfang und die Anzahl der gelieferten Waffen wurden bisher nicht bekannt gegeben.

Auf der Liste stehen auch mehr als 5.000 nichtlenkbare Mk82-Bomben, mehr als 5.400 Mk84-Bomben mit 900-Kilo-Sprengkopf, etwa 1.000 GBU-39-Bomben mit kleinem Durchmesser und etwa 3.000 JDAMs, so das Journal.

Diese Nachricht steht in krassem Widerspruch zu den Erklärungen von US-Außenminister Antony Blinken, wonach die Vermeidung ziviler Opfer für die Vereinigten Staaten ein Hauptanliegen sei.

Die USA lieferten auch die Bombe, die auf das Flüchtlingslager Dschabaliya abgeworfen wurde und 100 Menschen tötete, darunter möglicherweise einen Hamas-Führer, so das Journal.

Wiederholte Aufrufe der Länder der Welt durch die Vereinten Nationen zu einem Waffenstillstand wurden von den USA und den ihnen folgenden Staaten nicht unterstützt.

Die Militärausgaben machen einen großen Teil der per Gesetzgeber freigegebenen Haushaltsgelder in den USA aus, und das Militärpersonal stellt den größten Teil der Arbeitskräfte der Regierung.

Die Waffen werden mit C-17-Militärfrachtflugzeugen direkt aus den USA nach Tel Aviv transportiert.

Oh Gott, was ist nur mit uns geschehen?

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Jack F. Matlock war US-Botschafter in der Sowjetunion (1987-1991) und in der Tschechoslowakei (1981-1983). Er agierte zudem als leitender Direktor für europäische und sowjetische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat von US-Präsident Ronald Reagan. Matlock arbeitete darüber hinaus als Kennan-Professor am Institute for Advanced Study und hat zahlreiche Artikel und drei Bücher über die Verhandlungen zur Beendigung des Kalten Krieges, den Zerfall der Sowjetunion und die US-Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges geschrieben.