Ex-US-Botschafter: Was ist aus Amerika geworden?
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Jack Matlock über Israel, die Ukraine und US-Demokratie. Zustand seines Lands sei erschreckend. Warum er seine 1982-Rede in Prag nicht mehr halten könnte. Gastbeitrag.
Beim Durchstöbern meiner angesammelten Unterlagen bin ich gerade auf die englische Übersetzung einer Rede gestoßen, die ich am 4. Juli 1982 in der Tschechoslowakei gehalten habe, als ich US-amerikanischer Botschafter in Prag war. Damals herrschte in der Tschechoslowakei ein von der Sowjetunion aufgezwungenes kommunistisches Regime.
Als ich sie durchlas, stellte ich zu meiner Bestürzung fest, dass ich viele der Aussagen in dieser Rede heute nicht mehr aufrichtig machen könnte.
Hier sind einige der wichtigsten Absätze und meine heutigen Überlegungen dazu:
Ich freue mich, dem tschechoslowakischen Volk zum 206. Jahrestag der Unabhängigkeit meines Landes Grüße zu übermitteln. Es ist ein Tag, an dem wir Amerikaner die Gründung unserer Nation als unabhängige, demokratische Republik feiern, und ein Tag, an dem wir uns erneut der Verwirklichung der Ideale unserer Gründerväter widmen.
Für uns ist das Fundament dieser Ideale die Aussage, dass Staaten und Regierungen vom Volk geschaffen werden, um dem Volk zu dienen, und die Bürger die Regierung kontrollieren müssen, anstatt von ihr kontrolliert zu werden. Darüber hinaus glauben wir, dass es Bereiche des menschlichen Lebens gibt, wie die freie Meinungsäußerung, die Ausübung und Lehre religiöser Überzeugungen und das Recht der Bürger, unser Land zu verlassen und nach Belieben zurückzukehren, die keine Regierung einschränken darf.
Können wir heute wirklich sagen, dass unsere Bürger "die Regierung kontrollieren"? Zweimal in diesem Jahrhundert haben wir Präsidenten eingesetzt, die Millionen von Stimmen weniger erhielten als ihre Gegner.
Der Oberste Gerichtshof hat Rechte außer Kraft gesetzt, die von einer entscheidenden Mehrheit unserer Bürger unterstützt wurden. Die Stimmen für den US-Senat zählen in einem bevölkerungsreichen Staat weit weniger als in einem Staat mit weniger Bürgern.
Oligarchie statt Demokratie
Unternehmen und Einzelpersonen können praktisch unbegrenzt Geld einsetzen, um politische Kandidaten zu fördern oder zu verunglimpfen und im Kongress für günstige steuerliche und regulatorische Rahmenbedingungen Lobbyarbeit zu betreiben.
Der Oberste Gerichtshof hat de facto entschieden, dass Unternehmen auch Bürger sind! Das klingt für mich eher nach einer Oligarchie als nach einer Demokratie.
Wir sind eine Nation, die sich aus Menschen aus allen Teilen der Welt zusammensetzt, und wir sind von allen Kulturen der Welt genährt worden. Was uns eint, ist das Ideal, eine freie und wohlhabende Gesellschaft zu schaffen.
Im Laufe unserer Geschichte sind wir mit vielen Herausforderungen konfrontiert worden, aber wir haben sie überwunden durch einen Prozess der offenen Diskussion, des Ausgleichs konkurrierender Interessen und letztlich durch die Wahrung des absoluten Rechts unserer Bürger, ihre staatlichen Repräsentanten zu wählen und die Politik zu bestimmen, die ihr Leben beeinflusst.
Seit wann haben wir in der Arbeit des US-Kongresses eine offene Diskussion und einen Ausgleich zwischen konkurrierenden Interessen gesehen? Wie kommt es, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten tagelang keinen Sprecher des Repräsentantenhauses hatten?
Unsere Gesellschaft ist nicht perfekt, und wir wissen sehr wohl, dass wir manchmal unseren Idealen nicht gerecht geworden sind. Denn wir verstehen die Wahrheit, die Goethe so eloquent ausgedrückt hat, als er schrieb: "Es irrt der Mensch, solange er strebt".
Deshalb halten wir zwar an unseren Idealen als Zielen und Leitlinien des Handelns fest, sind aber davon überzeugt, dass kein Einzelner und keine Gruppe ein Monopol auf Weisheit besitzt und unsere Gesellschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, Vorschläge zu machen und Gruppen zu organisieren, um ihre Ansichten zu fördern.
Es sei denn, Sie sind ein Mitglied des US-Kongresses, das sich für die Grundrechte der Palästinenser einsetzt, in Freiheit in ihrem angestammten Land zu leben, oder Studenten der Columbia University, die dasselbe machen wollen.
Wenn wir Amerikaner den Jahrestag unserer Nation feiern und uns erneut ihren Idealen verschreiben, tun wir dies ohne die Annahme, dass unser politisches und wirtschaftliches System – so gut es uns auch gedient hat – etwas ist, das man anderen aufzwingen muss. So wie wir die Vielfalt im eigenen Land bewahren, wollen wir sie auch in der Welt bewahren.
So wie jeder Mensch einzigartig ist, so ist es auch jede Kultur und jede Gesellschaft, und alle sollten das Recht haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, auf ihre eigene Weise und ohne Zwang von außen. Das ist eines der Hauptziele unserer Außenpolitik: auf eine Welt hinzuarbeiten, in der die menschliche Vielfalt nicht nur toleriert, sondern auch geschützt wird, eine Welt, in der Verhandlungen und Kompromisse an die Stelle von Gewalt als Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten treten.
Es sei denn, Sie leben in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder in Palästina ... oder im Iran, in Kuba oder in Venezuela.