Exilrussen im Dienst der Ukraine überschreiten Grenze zu Russland
Ukrainische Einheiten aus russischen Staatsbürgern dringen ins russische "Mutterland" ein. Beteiligt sind Liberale, aber auch Rechtsextreme. Ziel: Destabilisierung der Grenzregion.
Gestern drangen zum zweiten Mal exilrussische, für die Ukraine kämpfende Einheiten ins russische Mutterland ein. Mehrere Dutzend Kämpfer überquerten mit Unterstützung mindestens eines Panzers und eines Schützenpanzers beim russischen Ort Kosinka in der Region Belgorod die Grenze und rückten offenbar bis in die nahe Kleinstadt Grajworon mit etwa 6.000 Einwohnern vor. Der prorussische Telegramkanal Rybar berichtet von insgesamt zwölf eingedrungenen gepanzerten Fahrzeugen, darunter zwei Kampfpanzern.
Kämpfe mit Opfern und Flucht der Bevölkerung
Beim Vorstoß kam es zu Kämpfen und auch zu großen Fluchtbewegungen der örtlichen Bevölkerung. Nach Angaben des örtlichen Gouverneurs von gestern nachmittags wurden dabei acht Personen verletzt, eine Frau kam bei der Flucht zu Tode. Unter den Verletzten ist der stellvertretende Leiter der örtlichen Verwaltung.
Der Gouverneur von Belgorod verhängte den sogenannten Zustand einer "Anti-Terror-Operation", eine Art Ausnahmezustand. Er gibt den Sicherheitsbehörden erweiterte Befugnisse. Die Kämpfe dauern laut russischer Presse zur Stunde noch an, der Gouverneur spricht in diesem Zusammenhang am heutigen Morgen laut der Zeitung Kommersant von "anhaltenden Säuberungen".
Die Absetzbewegungen der Einheimischen, auch aus der nahen Großstadt Belgorod gibt es Aufnahmen, die den Eindruck einer Massenflucht erwecken, war vor allem der zögerlichen Informationspolitik der russischen Seite geschuldet. Selbst die regierungsnahe Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta stellte fest, dass zunächst in den Staatsmedien und auf Regierungsseiten überhaupt keine Informationen zu bekommen waren, weshalb die Menschen in der Grenzregion die Sozialen Medien durchforsteten und sich Gerüchte verbreiteten.
Währenddessen ertönte örtlich Sirenenalarm. Auch nach Bestätigung des Gouverneurs soll die Stadt Grajworon inzwischen weitgehend menschenleer sein. Unterbringungsmöglichkeiten würden nach seinen Worten für Inlandsflüchtlinge geschaffen.
"Ukrainische Saboteure" vs. "Exilrussische Oppositionelle"
Nach Beendigung der Schockstarre war gemäß der Sprachregelung direkt aus dem Kreml von Dimitri Peskow in Russland von "ukrainischen Saboteuren" die Rede, die nach Russland eingedrungen seien. Bekannt ist jedoch auch dort, dass es sich zumindest von der Nationalität bei den eingedrungenen Soldaten nicht um Ukrainer handelt. Das ist jedoch für Russlands Offizielle ein unangenehmer Aspekt.
Es geht konkret um Kämpfer der beiden Einheiten "Legion Freiheit Russlands" und das "Russische Freiwilligenkorps", die nicht nur auf ukrainischer Seite kämpfen, sondern natürlich auch von diesen ausgerüstet und logistisch unterstützt werden. Das "Freiwilligenkorps" dokumentierte den Einmarsch nach Russland umfassend auf Telegram.
Bei einer davon, der "Legion" handelt es sich um eine Truppe aus übergelaufenen russischen Kriegsgefangenen, die offiziell Teil der internationalen Freiwilligeneinheiten der ukrainischen Armee sind. Sie kämpfen unter der weiß-blau-weißen Flagge der russischen Opposition und ist mit exilrussischen Liberalen verbunden.
Die andere, das "Russische Freiwlligenkorps" besteht vor allem aus rechtsextremen exilrussischen Kämpfern. Dass beide Einheiten militärisch kooperieren, ist dabei ein Novum. Ein erster Vorstoß über die Grenze geschah noch in Eigenregie des Freiwilligenkorps und hatte einen wesentlich begrenzteren Umfang.
Einige Beteiligten sind inzwischen namentlich bekannt, meldet die russische Nachrichtenagentur Tass. So kämpfe Alexej Lewkin vor Ort, ein bekannter russischer Nationalist. Er ist einer der Akteure hinter dem rechten Freiwilligenkorps und wurde gemäß der exilrussischen Onlinezeitung Medusa auf Videoaufnahmen identifiziert, die das Korps selbst als Beleg seiner Aktion online gestellt hat.
Eine der Einheiten ist regulärer Teil der Kiewer Armee
Die Regierung in Kiew dementierte zur Militäraktion jede direkte Beteiligung. Es ist jedoch bereits seit Längerem eine Linie in Kiew, sich zu Aktionen im russischen Hinterland grundsätzlich nicht zu bekennen, wie etwa dem Drohnenangriff auf den Moskauer Kreml vor wenigen Wochen.
Das ukrainische Verteidigungsministerium sprach als Zweck der Aktion von der "Schaffung einer Sicherheitszone zum Schutz ziviler Ukrainer" wegen des Beschusses aus der russischen Grenzregion. Der Sprecher stellte fest, dass die Ukraine diese Aktion "begrüßt". Eine solche "Sicherheitszone" würde von der Ukraine auch nach einem militärischen Sieg verlangt.
Tatsächlich ist die "Legion Russische Freiheit" als Teil der ausländischen Freiwilligeneinheiten wirklich ein Teil der ukrainischen Armee und wohl am besten mit einer Fremdenlegion vergleichbar. Die Einheit wird von der Ukraine ausgebildet und bewaffnet. Russische Kriegsgefangene, die beitreten wollen, werden zunächst von den Kiewer Sicherheitsdiensten überprüft. Anders verhält es sich mit dem "Russischen Freiwilligenkorps", das nicht offiziell Teil der Kiewer Truppen ist, jedoch ebenfalls ohne deren Hilfe nicht existieren würde.
Somit steht die Kiewer Behauptung, hier hätten exilrussische Oppositionskräfte eigenständig gehandelt, auf sehr dünnem Boden. Vielmehr dürfte klar sein, dass die Aktion, wie viele andere im russischen Hinterland, der Destabilisierung des russischen Kriegsgegners dient und mit diesem Ziel die wirklichen Drahtzieher in Kiew sitzen, auch wenn in ihren Reihen tatsächlich Russen mit dem Ziel der Beseitigung der Regierung Putins kämpfen.
Ob dieses Engagement wiederum die Hexenjagd auf Oppositionelle in Russland selbst verstärkt, werden die nächsten Wochen zeigen.