Existenz von Netzkulturinitiativen in Österreich gefährdet

Bedrohte Netzkulturinitiativen wenden sich mit Hilferuf an die "3 Weisen". Ist unter der ÖVP-FPÖ-Regierung politische Gefälligkeit ausschlaggebend für Förderung?

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In einem dramatischen Hilferuf an die "3 Weisen" versuchen österreichische Netzkulturinitiativen ihre gefährdeten Projekte zu retten. Die in den österreichischen Medien als die "3 Weisen" titulierten, von der EU eingesetzten Experten, Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari, der spanische Ex-Außenminister und frühere EU-Kommissär Marcelino Oreja und der deutsche Verfassungsjurist Jochen Frowein, sollen herausfinden, ob die Lage in Österreich mit der ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung die Aufhebung der EU-Sanktionen rechtfertigt. Die Botschaft der Netzeristas an die "3 Weisen": In Österreich herrscht keine Normalität.

Ein halbes Dutzend an Netzkulturprojekten in mehreren österreichischen Bundesländern, die eine Vielzahl an Funktionen erfüllen, vom Internetzugang für Kulturinitiativen und Künstler über das Webhosting bis hin zu herausragenden Netzkunstprojekten und Veranstaltungen, ist von einem totalem Entzug der Fördermittel bedroht. Schon vor Monaten hatten die nichtkommerziellen Organisationen ihre Förderanträge eingereicht. Die zuständige Abteilung in der "Sektion Kunst", der sogenannte "Medienkunstbeirat" hat diese Anträge positiv beurteilt. Danach muss nur noch der zuständige Staatssekretär seine Unterschrift unter den Förderbescheid setzen, normalerweise eine Formalie. Doch dem neuen Staatssekretär, Ex-Burgschauspieler Franz Morak, wird keine große Liebe für Netzkulturinitiativen nachgesagt. Woche für Woche verstreicht, ohne dass der erwartete Bescheid einlangt.

Die Netzkulturinitiativen, die bereits zum Jahresbeginn ein konsortium.Netz.kultur als gemeinsame Lobbying-Plattform gegründet hatten, fürchten politische Absichten hinter der Verzögerungstaktik - die finanzielle Austrocknung der freien Medienszene. Für die meisten von ihnen bestehen die Fördermittel jeweils zu einem Drittel aus Mitteln von Bund, Land und Stadt. Solange der Bund nicht zahlt, geben auch die anderen Stellen keine Förderzusagen. Für einige der im konsortium.Netz.kultur gemeinsam auftretenden Vereine droht schon im Herbst ein frühzeitiges Ende. Am deutlichsten spricht Martin Wassermair von Public Netbase aus, was wohl viele denken:

Die Kulturserver (allen voran Public Netbase) spielen für den österreichischen Widerstand gegen die Regierung von FPÖ und ÖVP eine wichtige Rolle, weil sie Plattformen ermöglichen, auf denen der Protest und die Dissidenz in vielfältiger Form zum Ausdruck kommen. Die Netbase selbst hat sich von Anfang an mit einem Webprojekt auch aktiv daran beteiligt, das seitdem für großes Aufsehen sorgt - government-austria.at/.

Martin Wassermair, Public Netbase

Public Netbase steht insbesondere im Kreuzfeuer. Dem international anerkannten Projekt wurden mit Wirkung vom April 2001 die Räumlichkeiten im Museumsquartier in Wien gekündigt. Darüberhinaus flatterte dem Verein Ende Mai ein Schreiben ins Haus, dass demnächst eine Wirtschaftsprüfung über die sachgemäße Verwendung von Fördermitteln in den vergangenen Jahren ins Haus steht. Laut Pressestatement von Netbase wird die "sachgemäße Verwendung" allerdings ohnehin Jahr für Jahr von den zuständigen Förderstellen geprüft, die wiederum vom Österreichischen Rechnungshof kontrolliert werden. Laut Netbase gab es noch nie eine Beanstandung. Auch sei es unüblich, dass "eine Auftragserteilung an ein privates Wirtschaftsprüfungsunternehmen im Kulturbereich" erfolgt.

Staatssekretär Morak rechtfertigte die Entscheidung für die Wirtschaftsprüfung damit, dass sie auf einer "Empfehlung des Medienkunstbeirats" basiere. Doch im Anschluss an diese Äußerung Moraks distanzierte sich der Medienkunstbeirat entschieden und sagte, solche Empfehlungen abzugeben sei nicht seine Aufgabe. Public Netbase t0 stellte im Rahmen eines öffentlichen Schlagabtauschs konfrontativ die Frage an den Staatssekretär Morak "ob politische Gefälligkeit das ausschlaggebende Kriterium einer Förderung" sei.

Darüberhinaus attestiert man dem neuen Staatssekretär Franz Morak auch einfach "Inkompetenz bezüglich des Bedeutungszusammenhangs von Kunst, Kultur, Technologien und der politischen Verantwortung" seitens Publich Netbase. Dazu käme ein "neoliberales Festhalten an der vorgeblichen "Heilswirkung" des freien Marktes". Letzterer Vorwurf wird von verschiedensten Seiten wiederholt. Morak trete trotz seiner Funktion als Staatssekretär für die Sektion Kunst nur noch auf Wirtschaftsveranstaltungen auf, sagte eine Quelle in Österreich, die nicht genannt werden wollte. In bestellten Interviews unter Titeln wie "Wir sind eine Kontextgesellschaft" präsentiert er sich als Wirtschaftsexperte. Sein Argument gegen Förderung von Netzkultur: Unter den gegebenen Umständen sollten gerade diese in der Lage sein, sich am freien Markt selbst zu finanzieren.

Doch lässt man den Infight zwischen Herrn Morak und Netbase einmal beiseite, dann stellt sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsprüfung bei Netbase zu den Anträgen der anderen Netzkulturinitiativen besteht, deren Anträge ebenfalls auf Eis liegen? Winfried Ritsch von Mur.at: "Das Ärgste ist, keine Antwort zu bekommen". Laut Ritsch ist Mur.at existenziell gefährdet. Um den laufenden Betrieb zu finanzieren, habe man bereits persönlich Schulden gemacht. Schon im September müssten alle Zahlungen eingestellt werden. Ähnlich die Situation bei Servus.at in Linz. Gabriele Kepplinger weiß nur, dass der Antrag für Servus.at positiv weitergereicht wurde.

Was niemand offiziell zugeben möchte aber in der Gerüchteküche als der heißeste Tipp gehandelt wird: Das Staatssekretariat erhofft sich, dass sich die anderen Gruppen von Netbase distanzieren. Ein weiteres offenes Geheimnis, das zu bestätigen sich aber niemand gerne ins Rampenlicht stellt: Die Taktik der finanziellen Austrocknung alternativer Medienkultur, sofern sie sich nicht politisch gefällig gibt, betrifft nicht nur die Netzkultur; auch die Anträge freier Radios und anderer Organisationen, die erst in den letzten beiden Jahrzehnten eine Kultur der medialen und kulturellen Vielfalt in Österreich aufzubauen begannen, werden auf die lange Bank geschoben. Ein Minderheitensender musste bereits zusperren, viele andere nichtkommerzielle Gruppen und Organisationen sind von einem wirtschaftlich motivierten Ende bedroht.

Mit der Meinungsvielfalt ist es in dem Alpenstaat mit 8 Millionen Einwohnern ohnehin nicht weit her. "Alleine die Haider-freundliche und EU-kritische österreichische Tageszeitung "Neue Kronen Zeitung" verfügt mit einer Reichweite von 42,5% über die Deutungsmacht der "österreichischen Realität"", schrieb die Kulturpolitische Kommission, die ständige gemeinsame Vertretung österreichischer Berufs- und Interessenvertretungen der Kunst und Kultur kürzlich in einer Presseaussendung unter dem Titel "In Österreich herrscht keine Normalität". Das Kuratorium des staatlichen Senders ORF wurde gleich nach der Regierungsbildung handstreichartig mit einer ÖVO-FPÖ-Mehrheit besetzt, der aktuelle Dienst des ORF zeigt sich bereits "in desolatem Zustand", sagen Insider. Man könnte den Eindruck erhalten, dass ÖVP und FPÖ nach einer totalen Dominanz aller Medien streben, ganz im Milosevic-Stil. Es liegt nun an den "3 Weisen", diese relativ subtilen und schwer zu objektivierenden Vorgänge in einen politischen Kontext zu setzen und bei ihrer Bewertung entsprechend zu berücksichtigen.

Konsortium.Netz.kultur

mur.at (Graz)

servus.at (Linz)

Public Netbase t0 (Vienna)

Public Voice Lab (Vienna)

subnet (Salzburg)

med-user.net (Dornbirn)

www.konsortium.at/

www.netzkultur.at/

Letter of Memorandum