Exporterfolg: Milliardenauftrag für Siemens aus Ägypten

Ägyptens autokratischer Präsident al-Sisi. Foto (2017): Ägyptisches Ministerium für Kommunikation und IT/CC BY 4.0

Der größte Auftrag in der Unternehmensgeschichte - und eine gute Gelegenheit für Außenministerin Baerbock, um über die regelbasierte Orientierung des Geschäftspartners al-Sisi nachzudenken?

Siemens hat den größten Auftrag seiner 175-jährigen Geschichte erhalten, berichtet die Tagesschau heute. Zusammen mit zwei Partnern - Orascom Construction und arabischen Vertragspartnern - hat Siemens Mobility einen Vertrag mit einer nationalen ägyptischen Behörde - Egyptian National Authority for Tunnels (NAT) - über den Bau eines 2.000 Kilometer langen Bahnnetzes für Schnellzüge geschlossen.

Der Auftragswert für Siemens liegt insgesamt bei 8,1 Milliarden Euro. Siemens Mobility soll 41 Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge, 94 Desiro-Regionalzüge und 41 Vectron-Güterlokomotiven liefern, wie das Unternehmen mitteilt. Darüber hinaus schließe der Vertrag auch modernste Bahninfrastruktur-Technik ein, acht Betriebs- und Güterbahnhöfe sowie einen Wartungsvertrag über 15 Jahre.

Es entstehe das sechstgrößte Hochgeschwindigkeitsbahnsystem der Welt und es könnten bis zu 40.000 lokale Arbeitsplätze geschaffen werden.

Das ist eine durch und durch gute Nachricht – bis hierher. Sehr viel weiter geht der Tagesschau-Bericht auch nicht, außer dass er noch ein paar technische Einzelheiten nennt, wo dann auch kurz die Vorteile für die ägyptische Bevölkerung genannt werden: Rund 90 Prozent sollen Zugang zu dem neuen Bahnnetz haben.

Dagegen deutet die Süddeutsche Zeitung zumindest eine Problemlage an, die bei anderen Handelspartnern deutscher Unternehmen in jüngster Zeit in den Vordergrund gestellt wurde: die Menschenrechte.

Siemens-Chef Roland Busch haben den Vertrag zusammen mit Kamel al-Wazir, dem ägyptischen Verkehrsminister, unterschrieben, berichtete die SZ heute Mittag und verwies dabei sachte auf die dunklere Seite der good news: "Anwesend war auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der autoritäre und umstrittene Herrscher kam 2013 per gewaltsamem Staatsstreich an die Macht."

Internationale Kooperation könne es "nur auf der Grundlage der fundamentalen Normen der internationalen Ordnung geschehen, die von allen geachtet und verteidigt werden müssten", gab das deutsche Außenamt kürzlich anlässlich der Enthüllungen aus China über schwerste Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang bekannt.

Es ging um Verfolgungen, Folterungen, massenhaften Inhaftierungen und Misshandlungen von Uiguren in dieser chinesischen Region, die über die "Xinjiang Police Files" eine Welle der Empörung in der Öffentlichkeit auslösten.

Menschenrechte - ein elementarer Bestandteil der internationalen Ordnung

"Die Menschenrechte seien ein elementarer Bestandteil der internationalen Ordnung, für deren Schutz sich Deutschland weltweit einsetze", lautete ein Grundsatz aus dem Auswärtigen Amt zur Sache. Deutschlands China-Politik müsse sich ändern, forderten laut Tagesschau Politiker der Ampel-Parteien; "Schluss mit dem Verdrängen", kommentierte man im ARD-Flaggschiff.

Gilt der seit der kürzlichen Zeitenwende verstärkte Blick auf regelbasiertes Verhalten von Vertragspartnern deutscher Unternehmen jetzt für alle Länder?

Das wäre dann auch eine gute Nachricht für Oppositionelle und inhaftierte Akademiker in Ägypten. Endlich werden ihre Pein und die Härten - miserabelste Haftbedingungen, Polizeigewalt, nicht selten Folter und Angst vor einer Todesstrafe oder endloser Inhaftierung -, denen sie ausgesetzt sind, die nötige Aufmerksamkeit bekommen, weil sich jetzt, da Ägypten neu im Fokus steht, die deutsche Öffentlichkeit darum kümmert und dieses Unrecht nicht mehr verdrängt wird?

Wie viele politische Gefangene genau in ägyptischen Gefängnissen sitzen, ist nicht bekannt. Schätzungen (einschließlich derjenigen des deutschen Think-Tanks Stiftung für Wissenschaft und Politik) nennen über 60.000. Die ägyptische Publikation Mada Masr verweist auf den Bericht einer Organisation für Transparenz, der von über 16.000 politischen Fällen in Ägypten spricht, die 2020 und 2021 mit "gerichtlichen Maßnahmen" konfrontiert waren.

Der US-Politik-Professor Marc Lynch, seit vielen Jahren Spezialist für Ägypten, hält sich mit solchen Zahlenangaben zurück, er begnügt sich mit der Nennung von "Tausenden".

Hört man seinem aktuellen Interview mit Mai El-Sadany über den Umgang der ägyptischen Machthaber mit Oppositionellen zu (c.a. ab Minute 44:00), so erfährt man vieles über das Unrechtssystem (kein rechtsstaatliches Verfahren, miserable Haftbedingungen) in Ägypten. Es ist ein "offenes Geheimnis", dass man in dem Land, wenn man nicht gerade ein auswärtiger Urlauber ist und zur falschen Zeit, am falschen Ort das Falsche sagt, auf Nimmerwiedersehen irgendwohin verschwinden kann.

Es trifft nicht nur politische Oppositionelle, sondern auch, was viel weniger bekannt sei, akademische Kreise in größerem Umfang, so Mai El-Sadany, die sich im Interview exemplarisch mit dem Fall von Alaa Abdel Fattah beschäftigt, der als Ikone unter Ägyptens Oppositionellen über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist und derzeit mit einem Hungerstreik versucht, auf die erbärmliche Lage der politischen Gefangenen in Ägypten aufmerksam zu machen.

Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Ägypten muss man nicht lange suchen. So heißt es im aktuellen Bericht von Amnesty International, der vor ca. einer Woche erschien:

Während Ägypten sich auf die COP27 vorbereitet, sitzen Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, friedliche Demonstranten, Rechtsanwälte, Oppositionspolitiker und Aktivisten in ägyptischen Gefängnissen. Oppositionspolitiker und Aktivisten sitzen in ägyptischen Gefängnissen unter Bedingungen fest, die gegen das absolute Verbot von Folter und andere Misshandlungen verstoßen, nur weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Seit Präsident Abdelfattah al-Sisi an der Macht ist, setzen die ägyptischen Behörden Anti-Terror-Gesetzen und anderen drakonische Gesetzen als Repressionsmittel ein, um friedliche Kritiker zum Schweigen zu bringen und jegliche Opposition abzuschrecken.

Amnesty International

So böte sich der Riesenauftrag für Siemens doch als gute Gelegenheit an, um nach Jahren der Verdrängung auch über die regelbasierte Orientierung auch dieses Vertragspartners nachzudenken?